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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Die russische Armee als Gegner

der Mannschaften den Ansprüchen, die das heutige Gefecht stellt, nicht gewachsen
war. Die Jagdkommandos verschlangen dann wiederum die wenigen Kämpfer
kaukasischer Art, die Kuropatkin sich wünschte.

Berührte er mit seinen während des Krieges erlassenen Instruktionen den
wundesten Punkt der russischen Kampftaktik, so wies er gleichzeitig auf zahlreiche
sonstige Fehler der Führung hin. So sagt er: "Eine Hauptbedingung des
Erfolges besteht in der Bekundung größter Hartnäckigkeit in der Ausführung
der gestellten Aufgabe. Man darf sich nicht scheuen, hierzu selbst die letzte
Reserve zu verausgaben." Er tadelt, daß an den entscheidenden Tagen der
Schahoschlacht bei der Ostabteilung, die die Entscheidung bringen sollte, von drei
Armeekorps eines überhaupt nicht eingesetzt, sondern als Reserve zurückgehalten
worden sei. Auch betont er, daß es falsch sei, wenn in den Bestimmungen
eines Armeekorps der Ostabteilung aller Erfolg von der Umgehung japanischer
Stellungen im Gebirge erwartet werde, während doch der Feind gleichzeitig in
der Front fest angepackt hätte werden müssen. Alles treffliche Grundsätze, gegen
die er selber freilich in erster Linie in entscheidenden Augenblicken immer gefehlt
hat. Er war unermüdlich in der Niederschrift von Verhaltungsmaßregeln für
die Truppen, von höchstem Fleiß mit der Feder, aber eben darum kein Feld¬
herr, sondern ein Theoretiker. Auf ihn treffen in gewisser Weise die Worte von
Clousewitz zu: "Es gibt Leute, die den schönsten Blick des Geistes für die
schwierigste Aufgabe besitzen, denen es auch nicht an Mut fehlt, vieles auf sich
zu nehmen, und die in schwierigen Zeiten doch nicht zum Entschluß kommen
können. Ihr Mut und ihre Einsicht stehen jedes einzeln, bieten sich nicht die
Hand und bringen darum nicht die Entschlossenheit als ein Drittes hervor."

So ist denn auch Ende Januar die Schlacht bei Sandepu wesentlich durch
Verschulden des Heerführers verloren worden.

Übertriebene Vorsicht ließ Kuropatkin wie bisher stets in erster Linie nicht
auf das Verderben des Feindes, sondern vor allem auf die eigene Sicherheit
Bedacht nehmen. Er opferte lieber bei Sandepu nutzlos 11000 Mann, als
daß er bewußt und freudig den Entscheidungskampf des ganzen Feldzuges
herausforderte.

(Schluß folgt)




Die russische Armee als Gegner

der Mannschaften den Ansprüchen, die das heutige Gefecht stellt, nicht gewachsen
war. Die Jagdkommandos verschlangen dann wiederum die wenigen Kämpfer
kaukasischer Art, die Kuropatkin sich wünschte.

Berührte er mit seinen während des Krieges erlassenen Instruktionen den
wundesten Punkt der russischen Kampftaktik, so wies er gleichzeitig auf zahlreiche
sonstige Fehler der Führung hin. So sagt er: „Eine Hauptbedingung des
Erfolges besteht in der Bekundung größter Hartnäckigkeit in der Ausführung
der gestellten Aufgabe. Man darf sich nicht scheuen, hierzu selbst die letzte
Reserve zu verausgaben." Er tadelt, daß an den entscheidenden Tagen der
Schahoschlacht bei der Ostabteilung, die die Entscheidung bringen sollte, von drei
Armeekorps eines überhaupt nicht eingesetzt, sondern als Reserve zurückgehalten
worden sei. Auch betont er, daß es falsch sei, wenn in den Bestimmungen
eines Armeekorps der Ostabteilung aller Erfolg von der Umgehung japanischer
Stellungen im Gebirge erwartet werde, während doch der Feind gleichzeitig in
der Front fest angepackt hätte werden müssen. Alles treffliche Grundsätze, gegen
die er selber freilich in erster Linie in entscheidenden Augenblicken immer gefehlt
hat. Er war unermüdlich in der Niederschrift von Verhaltungsmaßregeln für
die Truppen, von höchstem Fleiß mit der Feder, aber eben darum kein Feld¬
herr, sondern ein Theoretiker. Auf ihn treffen in gewisser Weise die Worte von
Clousewitz zu: „Es gibt Leute, die den schönsten Blick des Geistes für die
schwierigste Aufgabe besitzen, denen es auch nicht an Mut fehlt, vieles auf sich
zu nehmen, und die in schwierigen Zeiten doch nicht zum Entschluß kommen
können. Ihr Mut und ihre Einsicht stehen jedes einzeln, bieten sich nicht die
Hand und bringen darum nicht die Entschlossenheit als ein Drittes hervor."

So ist denn auch Ende Januar die Schlacht bei Sandepu wesentlich durch
Verschulden des Heerführers verloren worden.

Übertriebene Vorsicht ließ Kuropatkin wie bisher stets in erster Linie nicht
auf das Verderben des Feindes, sondern vor allem auf die eigene Sicherheit
Bedacht nehmen. Er opferte lieber bei Sandepu nutzlos 11000 Mann, als
daß er bewußt und freudig den Entscheidungskampf des ganzen Feldzuges
herausforderte.

(Schluß folgt)




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[0294] Die russische Armee als Gegner der Mannschaften den Ansprüchen, die das heutige Gefecht stellt, nicht gewachsen war. Die Jagdkommandos verschlangen dann wiederum die wenigen Kämpfer kaukasischer Art, die Kuropatkin sich wünschte. Berührte er mit seinen während des Krieges erlassenen Instruktionen den wundesten Punkt der russischen Kampftaktik, so wies er gleichzeitig auf zahlreiche sonstige Fehler der Führung hin. So sagt er: „Eine Hauptbedingung des Erfolges besteht in der Bekundung größter Hartnäckigkeit in der Ausführung der gestellten Aufgabe. Man darf sich nicht scheuen, hierzu selbst die letzte Reserve zu verausgaben." Er tadelt, daß an den entscheidenden Tagen der Schahoschlacht bei der Ostabteilung, die die Entscheidung bringen sollte, von drei Armeekorps eines überhaupt nicht eingesetzt, sondern als Reserve zurückgehalten worden sei. Auch betont er, daß es falsch sei, wenn in den Bestimmungen eines Armeekorps der Ostabteilung aller Erfolg von der Umgehung japanischer Stellungen im Gebirge erwartet werde, während doch der Feind gleichzeitig in der Front fest angepackt hätte werden müssen. Alles treffliche Grundsätze, gegen die er selber freilich in erster Linie in entscheidenden Augenblicken immer gefehlt hat. Er war unermüdlich in der Niederschrift von Verhaltungsmaßregeln für die Truppen, von höchstem Fleiß mit der Feder, aber eben darum kein Feld¬ herr, sondern ein Theoretiker. Auf ihn treffen in gewisser Weise die Worte von Clousewitz zu: „Es gibt Leute, die den schönsten Blick des Geistes für die schwierigste Aufgabe besitzen, denen es auch nicht an Mut fehlt, vieles auf sich zu nehmen, und die in schwierigen Zeiten doch nicht zum Entschluß kommen können. Ihr Mut und ihre Einsicht stehen jedes einzeln, bieten sich nicht die Hand und bringen darum nicht die Entschlossenheit als ein Drittes hervor." So ist denn auch Ende Januar die Schlacht bei Sandepu wesentlich durch Verschulden des Heerführers verloren worden. Übertriebene Vorsicht ließ Kuropatkin wie bisher stets in erster Linie nicht auf das Verderben des Feindes, sondern vor allem auf die eigene Sicherheit Bedacht nehmen. Er opferte lieber bei Sandepu nutzlos 11000 Mann, als daß er bewußt und freudig den Entscheidungskampf des ganzen Feldzuges herausforderte. (Schluß folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/294>, abgerufen am 01.09.2024.