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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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vie russische Armee als Gegner

Armeekorps herangezogen werden konnten. Als dann auf der Westfront ein
erster Angriff auf Plewna abgewiesen worden war, und die Russen sich überall
in die Verteidigung gedrängt sahen, bildete die rumänische Armee, deren Mit¬
wirkung man bisher verschmäht hatte, eine sehr willkommene Verstärkung.

Das Mißglücken dreier gegen die Plewnaer Stellungen Osman Paschas
geführter Angriffe, davon der letzte mit einer mehr als doppelten Überlegenheit
an Infanterie und einer sechsfacher an Artillerie, ist in erster Linie den Fehlern
der Führung und der den Anforderungen neuerer Fechtart nicht gewachsenen
taktischen Durchbildung der Armee überhaupt zuzuschreiben. Es fehlte an Über¬
einstimmung der Generale untereinander und on Initiative. General von
Hasenkampf schreibt in seinem Tagebuche: "Unsere Truppen sind vorzüglich,
aber die Führer lassen vieles zu wünschen..... Sie lassen alles durchgehen.
Das Gefühl der Verantwortlichkeit fehlt vielen von ihnen gänzlich.... Wohin
man sieht, überall herrscht mangelndes Verständnis und Hilflosigkeit. Es ist
kennzeichnend, daß nach jedem größeren Gefecht die höheren Führer für mehrere
Tage die Hände in den Schoß legen und nicht allein nichts tun, sondern sogar
aufhören zu denken oder sich überhaupt um das Nächstliegende zu bekümmern.
Einige verlassen sogar die Armee, um sich auszuruhen, als ob sie eine Besichtigung
hinter sich hätten." Wir finden gleichwohl eine Anzahl vortrefflicher Generale
wie Gurko, Skobelew, Radetzki und vor allem Totleben. Der russische Soldat
hat sich auch in diesem Kriege im Ertragen von Entbehrungen und körperlichen
Mühsalen auf der alten Höhe gezeigt. Daß er im Vertrauen hierauf den
winterlichen Balkanübergang wagte, gereicht dem Großfürsten-Oberkomman¬
dierenden zum Ruhme. Er hat sich in der Leistungsfähigkeit seiner Soldaten
nach dieser Richtung nicht getäuscht.

Nicht minder wie im stummen Ertragen solcher Leiden hatten sich die
russischen Truppen auf dieser selben Paßhöhe bereits im August als Kämpfer
bewährt. Mit vollem Recht vermerkt General von Hasenkampf über diese
Gefechtstage in seinem Tagebuche: "Die angreifenden türkischen Truppen
Suleiman Paschas haben einen Opfermut bewiesen, der besser in anderer Weise
nutzbar gemacht worden wäre..." Die Unerschrockenheit, mit der drei
russische Bataillone des 36. Regiments Orlow und vier bulgarische Druschinen
die zehnfach wiederholten Angriffe von vierzig türkischen Bataillonen angenommen
und abgewiesen hätten, sei über alles Lob erhaben.

Was hier von der Abwehr gesagt ist, läßt sich nicht ohne weiteres von
der Haltung der Truppe im Angriff behaupten. Bei Plewna wurde beim
dritten Angriff die Infanterie losgelassen, ohne daß eine Wirkung der
Artillerie erzielt worden war, und ohne daß sich die Infanterie während des
Artilleriefeuers näher an den Feind herangearbeitet hatte. Ihr Angriff brach
denn auch zusammen. Nur Skobelews fortreißender Gewalt gelang es, den
Angriff an einer Stelle bis in die türkischen Verschanzungen hineinzutragen.
Da der General von den Nachbartruppen nicht unterstützt wurde, gingen jedoch


vie russische Armee als Gegner

Armeekorps herangezogen werden konnten. Als dann auf der Westfront ein
erster Angriff auf Plewna abgewiesen worden war, und die Russen sich überall
in die Verteidigung gedrängt sahen, bildete die rumänische Armee, deren Mit¬
wirkung man bisher verschmäht hatte, eine sehr willkommene Verstärkung.

Das Mißglücken dreier gegen die Plewnaer Stellungen Osman Paschas
geführter Angriffe, davon der letzte mit einer mehr als doppelten Überlegenheit
an Infanterie und einer sechsfacher an Artillerie, ist in erster Linie den Fehlern
der Führung und der den Anforderungen neuerer Fechtart nicht gewachsenen
taktischen Durchbildung der Armee überhaupt zuzuschreiben. Es fehlte an Über¬
einstimmung der Generale untereinander und on Initiative. General von
Hasenkampf schreibt in seinem Tagebuche: „Unsere Truppen sind vorzüglich,
aber die Führer lassen vieles zu wünschen..... Sie lassen alles durchgehen.
Das Gefühl der Verantwortlichkeit fehlt vielen von ihnen gänzlich.... Wohin
man sieht, überall herrscht mangelndes Verständnis und Hilflosigkeit. Es ist
kennzeichnend, daß nach jedem größeren Gefecht die höheren Führer für mehrere
Tage die Hände in den Schoß legen und nicht allein nichts tun, sondern sogar
aufhören zu denken oder sich überhaupt um das Nächstliegende zu bekümmern.
Einige verlassen sogar die Armee, um sich auszuruhen, als ob sie eine Besichtigung
hinter sich hätten." Wir finden gleichwohl eine Anzahl vortrefflicher Generale
wie Gurko, Skobelew, Radetzki und vor allem Totleben. Der russische Soldat
hat sich auch in diesem Kriege im Ertragen von Entbehrungen und körperlichen
Mühsalen auf der alten Höhe gezeigt. Daß er im Vertrauen hierauf den
winterlichen Balkanübergang wagte, gereicht dem Großfürsten-Oberkomman¬
dierenden zum Ruhme. Er hat sich in der Leistungsfähigkeit seiner Soldaten
nach dieser Richtung nicht getäuscht.

Nicht minder wie im stummen Ertragen solcher Leiden hatten sich die
russischen Truppen auf dieser selben Paßhöhe bereits im August als Kämpfer
bewährt. Mit vollem Recht vermerkt General von Hasenkampf über diese
Gefechtstage in seinem Tagebuche: „Die angreifenden türkischen Truppen
Suleiman Paschas haben einen Opfermut bewiesen, der besser in anderer Weise
nutzbar gemacht worden wäre..." Die Unerschrockenheit, mit der drei
russische Bataillone des 36. Regiments Orlow und vier bulgarische Druschinen
die zehnfach wiederholten Angriffe von vierzig türkischen Bataillonen angenommen
und abgewiesen hätten, sei über alles Lob erhaben.

Was hier von der Abwehr gesagt ist, läßt sich nicht ohne weiteres von
der Haltung der Truppe im Angriff behaupten. Bei Plewna wurde beim
dritten Angriff die Infanterie losgelassen, ohne daß eine Wirkung der
Artillerie erzielt worden war, und ohne daß sich die Infanterie während des
Artilleriefeuers näher an den Feind herangearbeitet hatte. Ihr Angriff brach
denn auch zusammen. Nur Skobelews fortreißender Gewalt gelang es, den
Angriff an einer Stelle bis in die türkischen Verschanzungen hineinzutragen.
Da der General von den Nachbartruppen nicht unterstützt wurde, gingen jedoch


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[0287] vie russische Armee als Gegner Armeekorps herangezogen werden konnten. Als dann auf der Westfront ein erster Angriff auf Plewna abgewiesen worden war, und die Russen sich überall in die Verteidigung gedrängt sahen, bildete die rumänische Armee, deren Mit¬ wirkung man bisher verschmäht hatte, eine sehr willkommene Verstärkung. Das Mißglücken dreier gegen die Plewnaer Stellungen Osman Paschas geführter Angriffe, davon der letzte mit einer mehr als doppelten Überlegenheit an Infanterie und einer sechsfacher an Artillerie, ist in erster Linie den Fehlern der Führung und der den Anforderungen neuerer Fechtart nicht gewachsenen taktischen Durchbildung der Armee überhaupt zuzuschreiben. Es fehlte an Über¬ einstimmung der Generale untereinander und on Initiative. General von Hasenkampf schreibt in seinem Tagebuche: „Unsere Truppen sind vorzüglich, aber die Führer lassen vieles zu wünschen..... Sie lassen alles durchgehen. Das Gefühl der Verantwortlichkeit fehlt vielen von ihnen gänzlich.... Wohin man sieht, überall herrscht mangelndes Verständnis und Hilflosigkeit. Es ist kennzeichnend, daß nach jedem größeren Gefecht die höheren Führer für mehrere Tage die Hände in den Schoß legen und nicht allein nichts tun, sondern sogar aufhören zu denken oder sich überhaupt um das Nächstliegende zu bekümmern. Einige verlassen sogar die Armee, um sich auszuruhen, als ob sie eine Besichtigung hinter sich hätten." Wir finden gleichwohl eine Anzahl vortrefflicher Generale wie Gurko, Skobelew, Radetzki und vor allem Totleben. Der russische Soldat hat sich auch in diesem Kriege im Ertragen von Entbehrungen und körperlichen Mühsalen auf der alten Höhe gezeigt. Daß er im Vertrauen hierauf den winterlichen Balkanübergang wagte, gereicht dem Großfürsten-Oberkomman¬ dierenden zum Ruhme. Er hat sich in der Leistungsfähigkeit seiner Soldaten nach dieser Richtung nicht getäuscht. Nicht minder wie im stummen Ertragen solcher Leiden hatten sich die russischen Truppen auf dieser selben Paßhöhe bereits im August als Kämpfer bewährt. Mit vollem Recht vermerkt General von Hasenkampf über diese Gefechtstage in seinem Tagebuche: „Die angreifenden türkischen Truppen Suleiman Paschas haben einen Opfermut bewiesen, der besser in anderer Weise nutzbar gemacht worden wäre..." Die Unerschrockenheit, mit der drei russische Bataillone des 36. Regiments Orlow und vier bulgarische Druschinen die zehnfach wiederholten Angriffe von vierzig türkischen Bataillonen angenommen und abgewiesen hätten, sei über alles Lob erhaben. Was hier von der Abwehr gesagt ist, läßt sich nicht ohne weiteres von der Haltung der Truppe im Angriff behaupten. Bei Plewna wurde beim dritten Angriff die Infanterie losgelassen, ohne daß eine Wirkung der Artillerie erzielt worden war, und ohne daß sich die Infanterie während des Artilleriefeuers näher an den Feind herangearbeitet hatte. Ihr Angriff brach denn auch zusammen. Nur Skobelews fortreißender Gewalt gelang es, den Angriff an einer Stelle bis in die türkischen Verschanzungen hineinzutragen. Da der General von den Nachbartruppen nicht unterstützt wurde, gingen jedoch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/287>, abgerufen am 01.09.2024.