in Deutschland die Pariser Ehebruchs" und Boulevardsliteratur, deren Ansehen bei einem gewissen deutschen Publikum der Überschätzung alles Pariserischen durch die Pariser entspricht. Und man wird schon bemerkt haben, daß dieser Import immer den Namen derselben bekannten Firma trägt. Es sind in der Regel die Herren Capus, Bernstein, Guitry, Tristan Bernard, Flers und Caillavet.
Gewiß verdanken sie ihre Erfolge auch der seelischen Bequemlichkeit des Publikums, das sich lieber an einem liebenswürdig - erlogenen Leben erwärmt als an die harte Wahrheit der Wirklichkeit herangeht und sich innerlich auf¬ wühlen läßt. Aber ihre langanhaltende und allgemeine Anerkennung läßt sich doch nur durch die autoritative Stellung von Paris erklären, die der Provinz Selbstbewußtsein und Selbstachtung genommen hat. Und dies erscheint um so gefährlicher, als Truste und Privilegien die Entwicklung aufzuhalten und neue Kräfte aufzusaugen pflegen. Man wurstelt nach dem bekannten und bewährten Rezept weiter und so erstarrt die Pariser literarische Aristokratie in einer traditionellen, unfruchtbaren Technik.
Gegen die Folgen solcher Nivellierung der Persönlichkeit beginnt sich die Provinz und das künstlerische Gewissen Frankreichs zu wehren. Bei der jahr¬ hundertelangen Bedrückung der Provinz und der Jugend der Gegenbewegung kann es nicht wundernehmen, wenn man sich teilweise des Zieles nicht recht bewußt ist und den guten Willen und die Begeisterung in falsche Bahnen leitet. Man hat in Frankreich oft das Deutschland des achtzehnten Jahrhunderts als Muster angeführt, ohne zu bedenken, daß die deutschen Fürstenhöfe nicht etwa die Literatur haben entstehen lassen, sondern daß sich das künstlerische und literarische Leben einer in sich geschlossenen Einheit in der Hauptstadt kristallisierte.
Deshalb würde der geforderte Ausbau der Provinzuniversitäten zu geistigen Zentren überall wirkungslos bleiben, wo der natürliche, innerliche Zusammenhang mit der Umgebung fehlt. Und deshalb werden auch die in Avignon, Lyon, Marseille veranstalteten Uraufführungen, wiewohl sie für Frankreich ein Wagnis sind, keine Änderung bringen, solange man sich dabei begnügt, Paris in die Provinz hineinzutragen. Z. B. war die Begeisterung des ,MsrLurs 6e Trance" über das Genfer Lomits as clecentrillisation at-Amatiquö unbegründet; Mathias Mohrhardt, obwohl Schweizer von Geburt, ist doch nur ein Pariser Journalist*).
Näher kommt man dem Problem schon, wenn man Dialekt und boden¬ ständige Volkskunst als Ausgangspunkt nimmt. Im Jahre 1911 wurden die "^rckive8 cke la Parole" gegründet, deren Leitung der bekannte Pariser Professor Brunot übernommen hat; sie sollen Grammophonaufnahmen von allen Gegenden Frankreichs enthalten. C. de Danilowiz schuf vor kurzem
*) Kiercui-e 6e prance ^<z. 331.
Frankreichs Provinzen im Kampf gegen Paris
in Deutschland die Pariser Ehebruchs» und Boulevardsliteratur, deren Ansehen bei einem gewissen deutschen Publikum der Überschätzung alles Pariserischen durch die Pariser entspricht. Und man wird schon bemerkt haben, daß dieser Import immer den Namen derselben bekannten Firma trägt. Es sind in der Regel die Herren Capus, Bernstein, Guitry, Tristan Bernard, Flers und Caillavet.
Gewiß verdanken sie ihre Erfolge auch der seelischen Bequemlichkeit des Publikums, das sich lieber an einem liebenswürdig - erlogenen Leben erwärmt als an die harte Wahrheit der Wirklichkeit herangeht und sich innerlich auf¬ wühlen läßt. Aber ihre langanhaltende und allgemeine Anerkennung läßt sich doch nur durch die autoritative Stellung von Paris erklären, die der Provinz Selbstbewußtsein und Selbstachtung genommen hat. Und dies erscheint um so gefährlicher, als Truste und Privilegien die Entwicklung aufzuhalten und neue Kräfte aufzusaugen pflegen. Man wurstelt nach dem bekannten und bewährten Rezept weiter und so erstarrt die Pariser literarische Aristokratie in einer traditionellen, unfruchtbaren Technik.
Gegen die Folgen solcher Nivellierung der Persönlichkeit beginnt sich die Provinz und das künstlerische Gewissen Frankreichs zu wehren. Bei der jahr¬ hundertelangen Bedrückung der Provinz und der Jugend der Gegenbewegung kann es nicht wundernehmen, wenn man sich teilweise des Zieles nicht recht bewußt ist und den guten Willen und die Begeisterung in falsche Bahnen leitet. Man hat in Frankreich oft das Deutschland des achtzehnten Jahrhunderts als Muster angeführt, ohne zu bedenken, daß die deutschen Fürstenhöfe nicht etwa die Literatur haben entstehen lassen, sondern daß sich das künstlerische und literarische Leben einer in sich geschlossenen Einheit in der Hauptstadt kristallisierte.
Deshalb würde der geforderte Ausbau der Provinzuniversitäten zu geistigen Zentren überall wirkungslos bleiben, wo der natürliche, innerliche Zusammenhang mit der Umgebung fehlt. Und deshalb werden auch die in Avignon, Lyon, Marseille veranstalteten Uraufführungen, wiewohl sie für Frankreich ein Wagnis sind, keine Änderung bringen, solange man sich dabei begnügt, Paris in die Provinz hineinzutragen. Z. B. war die Begeisterung des ,MsrLurs 6e Trance" über das Genfer Lomits as clecentrillisation at-Amatiquö unbegründet; Mathias Mohrhardt, obwohl Schweizer von Geburt, ist doch nur ein Pariser Journalist*).
Näher kommt man dem Problem schon, wenn man Dialekt und boden¬ ständige Volkskunst als Ausgangspunkt nimmt. Im Jahre 1911 wurden die »^rckive8 cke la Parole" gegründet, deren Leitung der bekannte Pariser Professor Brunot übernommen hat; sie sollen Grammophonaufnahmen von allen Gegenden Frankreichs enthalten. C. de Danilowiz schuf vor kurzem
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Frankreichs Provinzen im Kampf gegen Paris
in Deutschland die Pariser Ehebruchs» und Boulevardsliteratur, deren Ansehen
bei einem gewissen deutschen Publikum der Überschätzung alles Pariserischen
durch die Pariser entspricht. Und man wird schon bemerkt haben, daß dieser
Import immer den Namen derselben bekannten Firma trägt. Es sind in der
Regel die Herren Capus, Bernstein, Guitry, Tristan Bernard, Flers und
Caillavet.
Gewiß verdanken sie ihre Erfolge auch der seelischen Bequemlichkeit des
Publikums, das sich lieber an einem liebenswürdig - erlogenen Leben erwärmt
als an die harte Wahrheit der Wirklichkeit herangeht und sich innerlich auf¬
wühlen läßt. Aber ihre langanhaltende und allgemeine Anerkennung läßt sich
doch nur durch die autoritative Stellung von Paris erklären, die der Provinz
Selbstbewußtsein und Selbstachtung genommen hat. Und dies erscheint um so
gefährlicher, als Truste und Privilegien die Entwicklung aufzuhalten und neue
Kräfte aufzusaugen pflegen. Man wurstelt nach dem bekannten und bewährten
Rezept weiter und so erstarrt die Pariser literarische Aristokratie in einer
traditionellen, unfruchtbaren Technik.
Gegen die Folgen solcher Nivellierung der Persönlichkeit beginnt sich die
Provinz und das künstlerische Gewissen Frankreichs zu wehren. Bei der jahr¬
hundertelangen Bedrückung der Provinz und der Jugend der Gegenbewegung
kann es nicht wundernehmen, wenn man sich teilweise des Zieles nicht recht
bewußt ist und den guten Willen und die Begeisterung in falsche Bahnen leitet.
Man hat in Frankreich oft das Deutschland des achtzehnten Jahrhunderts als
Muster angeführt, ohne zu bedenken, daß die deutschen Fürstenhöfe nicht etwa
die Literatur haben entstehen lassen, sondern daß sich das künstlerische und
literarische Leben einer in sich geschlossenen Einheit in der Hauptstadt
kristallisierte.
Deshalb würde der geforderte Ausbau der Provinzuniversitäten zu
geistigen Zentren überall wirkungslos bleiben, wo der natürliche, innerliche
Zusammenhang mit der Umgebung fehlt. Und deshalb werden auch die in
Avignon, Lyon, Marseille veranstalteten Uraufführungen, wiewohl sie für
Frankreich ein Wagnis sind, keine Änderung bringen, solange man sich dabei
begnügt, Paris in die Provinz hineinzutragen. Z. B. war die Begeisterung
des ,MsrLurs 6e Trance" über das Genfer Lomits as clecentrillisation
at-Amatiquö unbegründet; Mathias Mohrhardt, obwohl Schweizer von Geburt,
ist doch nur ein Pariser Journalist*).
Näher kommt man dem Problem schon, wenn man Dialekt und boden¬
ständige Volkskunst als Ausgangspunkt nimmt. Im Jahre 1911 wurden die
»^rckive8 cke la Parole" gegründet, deren Leitung der bekannte Pariser
Professor Brunot übernommen hat; sie sollen Grammophonaufnahmen von
allen Gegenden Frankreichs enthalten. C. de Danilowiz schuf vor kurzem
*) Kiercui-e 6e prance ^<z. 331.
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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/27>, abgerufen am 12.01.2025.
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