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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Die russische Armee als Gegner

Es konnte nicht ausbleiben, daß die rauhe Wirklichkeit des Krieges "alle
Illusionen zerstörte, in denen sich Nikolaus zu bewegen gewohnt war," schreibt
Schiemann über die Eindrücke, die auf den Kaiser das Kriegsjahr 1828 hervor¬
gerufen hatte. Wie wenig er eine Kriegernatur war, zeigte sich auch darin,
daß er "das viele Blutvergießen nicht ansehen konnte. Er bedachte nicht, daß
jeder Tag. den seine Truppen länger vor Warna lagen, die Hospitäler füllte,
daß die Opfer, die er durch seine langsame, schlecht vorbereitete Kriegführung
den Dämonen der Pest und ihren Begleitern, Fieber, Dysenterie, Skorbut, zu¬
führte, weit zahlreicher waren, als alles, was Schwert und Geschoß nieder¬
gestreckt hätten." Er verließ im Herbst den Kriegsschauplatz. "In Petersburg
umgab ihn eine andere Atmosphäre; nicht Blut, Gestöhne der Verwundeten
und Kranken, nicht die Unordnung, die die Reihen seiner schönsten Regimenter
aufgelöst hatte; die Wirklichkeit widerlegte nicht so rücksichtslos und unmittelbar
die Zweckmäßigkeit der Verfügungen, durch die er persönlich in den Gang der
Ereignisse eingriff. Der Feldzug, der hinter ihm lag, hatte sein Selbstgefühl
schwer getroffen."

So hat er denn dem Feldmarschall Diebitsch die Fortführung des
Krieges 1829 überlassen. Dessen "zuversichtlichen, kühnem und doch vor¬
sichtigem Verhalten zu Adrianopel verdankt Nußland den glücklichen Ausgang
des Feldzuges", schreibt Moltke. Dem russischen Soldaten aber stellt er das
Zeugnis aus, er sei ebenso standhaft im Ertragen von Mühseligkeiten, An¬
strengungen, Entbehrungen und Leiden gewesen, wie unerschrocken in der
Gefahr.

Der Feldzug von 1831 in Polen mißglückte in seinem ersten Teil, weil
der Feldmarschall Diebitsch, nachdem er bei Grochow am 25. Februar vor den
Toren Warschaus die Polen geschlagen hatte, ihnen nicht scharf nachsetzte und
unmittelbar zum Sturm aus den Brückenkopf von Praga schritt. Zum damaligen
preußischen Major von Brandt äußerte er, die Geschichte würde dereinst offen¬
baren, wie viele seiner militärischen Maßnahmen durch die Humanität bedingt
worden seien. Es ist in der Tat erst durch das Schiemannsche Werk bekannt
geworden, daß sein Kaiser den Feldherrn angewiesen hatte, "die Operationen
so zu führen, daß er nicht zu viel Blut vergieße, er werde doch nicht eine zweite
Auflage des Sturmes von Praga vornehmen wollen." Wie im Türkenkriege,
scheute die weiche Seele des Kaisers, der mit Unrecht als Despot verschrien
worden ist, vor dem Ernst des Krieges zurück. Wie dort bedachte er nicht,
daß er damit seinen Soldaten wie nicht minder den rebellischen Polen weit
größere Opfer auferlegte. Daß sich der Krieg in die Länge zog. aber lieferte
in Petersburg der deutsch-feindlichen Partei einen willkommenen Anlaß zu Be¬
schuldigungen gegen den Feldmarschall und überhaupt gegen die vielen Deutschen
in leitenden Stellen der Armee.

Im Krimkriege wollte Kaiser Nikolaus die Leitung in seiner Hand be¬
halten, ein Bestreben, das sich bei der weiten Entfernung des Kriegsschauplatzes


Die russische Armee als Gegner

Es konnte nicht ausbleiben, daß die rauhe Wirklichkeit des Krieges „alle
Illusionen zerstörte, in denen sich Nikolaus zu bewegen gewohnt war," schreibt
Schiemann über die Eindrücke, die auf den Kaiser das Kriegsjahr 1828 hervor¬
gerufen hatte. Wie wenig er eine Kriegernatur war, zeigte sich auch darin,
daß er „das viele Blutvergießen nicht ansehen konnte. Er bedachte nicht, daß
jeder Tag. den seine Truppen länger vor Warna lagen, die Hospitäler füllte,
daß die Opfer, die er durch seine langsame, schlecht vorbereitete Kriegführung
den Dämonen der Pest und ihren Begleitern, Fieber, Dysenterie, Skorbut, zu¬
führte, weit zahlreicher waren, als alles, was Schwert und Geschoß nieder¬
gestreckt hätten." Er verließ im Herbst den Kriegsschauplatz. „In Petersburg
umgab ihn eine andere Atmosphäre; nicht Blut, Gestöhne der Verwundeten
und Kranken, nicht die Unordnung, die die Reihen seiner schönsten Regimenter
aufgelöst hatte; die Wirklichkeit widerlegte nicht so rücksichtslos und unmittelbar
die Zweckmäßigkeit der Verfügungen, durch die er persönlich in den Gang der
Ereignisse eingriff. Der Feldzug, der hinter ihm lag, hatte sein Selbstgefühl
schwer getroffen."

So hat er denn dem Feldmarschall Diebitsch die Fortführung des
Krieges 1829 überlassen. Dessen „zuversichtlichen, kühnem und doch vor¬
sichtigem Verhalten zu Adrianopel verdankt Nußland den glücklichen Ausgang
des Feldzuges", schreibt Moltke. Dem russischen Soldaten aber stellt er das
Zeugnis aus, er sei ebenso standhaft im Ertragen von Mühseligkeiten, An¬
strengungen, Entbehrungen und Leiden gewesen, wie unerschrocken in der
Gefahr.

Der Feldzug von 1831 in Polen mißglückte in seinem ersten Teil, weil
der Feldmarschall Diebitsch, nachdem er bei Grochow am 25. Februar vor den
Toren Warschaus die Polen geschlagen hatte, ihnen nicht scharf nachsetzte und
unmittelbar zum Sturm aus den Brückenkopf von Praga schritt. Zum damaligen
preußischen Major von Brandt äußerte er, die Geschichte würde dereinst offen¬
baren, wie viele seiner militärischen Maßnahmen durch die Humanität bedingt
worden seien. Es ist in der Tat erst durch das Schiemannsche Werk bekannt
geworden, daß sein Kaiser den Feldherrn angewiesen hatte, „die Operationen
so zu führen, daß er nicht zu viel Blut vergieße, er werde doch nicht eine zweite
Auflage des Sturmes von Praga vornehmen wollen." Wie im Türkenkriege,
scheute die weiche Seele des Kaisers, der mit Unrecht als Despot verschrien
worden ist, vor dem Ernst des Krieges zurück. Wie dort bedachte er nicht,
daß er damit seinen Soldaten wie nicht minder den rebellischen Polen weit
größere Opfer auferlegte. Daß sich der Krieg in die Länge zog. aber lieferte
in Petersburg der deutsch-feindlichen Partei einen willkommenen Anlaß zu Be¬
schuldigungen gegen den Feldmarschall und überhaupt gegen die vielen Deutschen
in leitenden Stellen der Armee.

Im Krimkriege wollte Kaiser Nikolaus die Leitung in seiner Hand be¬
halten, ein Bestreben, das sich bei der weiten Entfernung des Kriegsschauplatzes


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[0268] Die russische Armee als Gegner Es konnte nicht ausbleiben, daß die rauhe Wirklichkeit des Krieges „alle Illusionen zerstörte, in denen sich Nikolaus zu bewegen gewohnt war," schreibt Schiemann über die Eindrücke, die auf den Kaiser das Kriegsjahr 1828 hervor¬ gerufen hatte. Wie wenig er eine Kriegernatur war, zeigte sich auch darin, daß er „das viele Blutvergießen nicht ansehen konnte. Er bedachte nicht, daß jeder Tag. den seine Truppen länger vor Warna lagen, die Hospitäler füllte, daß die Opfer, die er durch seine langsame, schlecht vorbereitete Kriegführung den Dämonen der Pest und ihren Begleitern, Fieber, Dysenterie, Skorbut, zu¬ führte, weit zahlreicher waren, als alles, was Schwert und Geschoß nieder¬ gestreckt hätten." Er verließ im Herbst den Kriegsschauplatz. „In Petersburg umgab ihn eine andere Atmosphäre; nicht Blut, Gestöhne der Verwundeten und Kranken, nicht die Unordnung, die die Reihen seiner schönsten Regimenter aufgelöst hatte; die Wirklichkeit widerlegte nicht so rücksichtslos und unmittelbar die Zweckmäßigkeit der Verfügungen, durch die er persönlich in den Gang der Ereignisse eingriff. Der Feldzug, der hinter ihm lag, hatte sein Selbstgefühl schwer getroffen." So hat er denn dem Feldmarschall Diebitsch die Fortführung des Krieges 1829 überlassen. Dessen „zuversichtlichen, kühnem und doch vor¬ sichtigem Verhalten zu Adrianopel verdankt Nußland den glücklichen Ausgang des Feldzuges", schreibt Moltke. Dem russischen Soldaten aber stellt er das Zeugnis aus, er sei ebenso standhaft im Ertragen von Mühseligkeiten, An¬ strengungen, Entbehrungen und Leiden gewesen, wie unerschrocken in der Gefahr. Der Feldzug von 1831 in Polen mißglückte in seinem ersten Teil, weil der Feldmarschall Diebitsch, nachdem er bei Grochow am 25. Februar vor den Toren Warschaus die Polen geschlagen hatte, ihnen nicht scharf nachsetzte und unmittelbar zum Sturm aus den Brückenkopf von Praga schritt. Zum damaligen preußischen Major von Brandt äußerte er, die Geschichte würde dereinst offen¬ baren, wie viele seiner militärischen Maßnahmen durch die Humanität bedingt worden seien. Es ist in der Tat erst durch das Schiemannsche Werk bekannt geworden, daß sein Kaiser den Feldherrn angewiesen hatte, „die Operationen so zu führen, daß er nicht zu viel Blut vergieße, er werde doch nicht eine zweite Auflage des Sturmes von Praga vornehmen wollen." Wie im Türkenkriege, scheute die weiche Seele des Kaisers, der mit Unrecht als Despot verschrien worden ist, vor dem Ernst des Krieges zurück. Wie dort bedachte er nicht, daß er damit seinen Soldaten wie nicht minder den rebellischen Polen weit größere Opfer auferlegte. Daß sich der Krieg in die Länge zog. aber lieferte in Petersburg der deutsch-feindlichen Partei einen willkommenen Anlaß zu Be¬ schuldigungen gegen den Feldmarschall und überhaupt gegen die vielen Deutschen in leitenden Stellen der Armee. Im Krimkriege wollte Kaiser Nikolaus die Leitung in seiner Hand be¬ halten, ein Bestreben, das sich bei der weiten Entfernung des Kriegsschauplatzes

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/268>, abgerufen am 01.09.2024.