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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Die russische Armee als Gegner

die Folgen seiner Worte und seines Tuns zu vergegenwärtigen. Nur so läßt
sich das sympathisieren von Männern der höheren russischen Gesellschaftskreise
mit nihilistischen Schwärmern, ja Verbrechern, erklären. Kaiser Alerander der
Erste hat denn auch in seinen letzten Lebensjahren dem Offizierkorps voll Mi߬
trauen gegenübergestanden.

Einen interessanten Einblick in die inneren Verhältnisse der russischen Armee
unter Kaiser Nikolaus gewährt der Bericht eines scharfen und sachkundigen
Beobachters, des damaligen Hauptmanns von Höpfner vom preußischen General--
stcibe. über die Revue bei Kalisch im September 1839, an der auch ein Detache-
ment preußischer Truppen teilnahm.

In diesem Bericht heißt es: "Der Punkt der Ausdauer bei den nach Kalisch
rückender preußischen Truppen war der, welcher die höheren Offiziere am meisten
beschäftigte und einige Sorge veranlaßte; man kannte die ungeheuren Anstren¬
gungen, die den russischen Truppen wohl zugemutet werden, und fürchtete, dem
Anschein nach mit Recht, daß unsere jungen Leute ihnen nicht gewachsen sein
würden..... Man hatte indessen einesteils die Folgen des Marsches von
Potsdam bis Kalisch nicht genug gewürdigt und andernteils nicht berücksichtigt,
daß in den preußischen Truppen das geistige Element so erregbar ist, daß es
mit Leichtigkeit körperliche Schwächen überwindet, wenn der geringste Anstoß
gegeben wird. Dieser Anstoß erfolgte aber durch Nationaleifersucht in einem
solchen Grade, daß selbst in betreff der Ausdauer unter den obwaltenden Um¬
ständen die russischen Truppen keineswegs als Sieger anerkannt werden konnten.
Man hat bei den preußischen Truppen während der Manöver nie Marode
gesehen, wohl aber'bei den Russen, zu deren Aufnahme die hinter der Front
fahrenden Krankenwagen bereit waren.

"Bei dem letzten Manöver waren die Truppen um 4 Uhr des Morgens
aus dem Lager aufgebrochen und kamen etwa 1 Uhr mittags zum Sturm auf
Kalisch; nach diesem ging die preußische Infanterie in einem Zustand durch die
Stadt, der bewunderungswürdig war. Es waren dieselben frohen und frischen
Gesichter, dieselbe Haltung und Beweglichkeit, wie in ausgeruhtem Zustande. Es
soll dadurch keineswegs den russischen Truppen etwas von ihrer anerkannten
Kriegstüchtigkeit genommen werden, sondern möchte man im Gegenteil heraus¬
heben, daß bei dem, was dem russischen Jnfanteristen zur Herstellung der ver¬
lorenen Kräfte nach großen Anstrengungen geboten wird, man sich nicht genug
verwundern kann, daß er so Großes leistet, und die Infanterie nicht nach den
geringsten Strapazen haufenweis hinstürzt. Aber auch die Rücksichtslosigkeit der
höheren Befehlshaber tritt in dem Punkt der Ausdauer für die russische In¬
fanterie hemmend ein; sie beobachtet keine richtige Einteilung der Kräfte,
so z. B. wird man nie sehen, daß russische Infanterie, und wenn sie zwei
Meilen zum Rendezvous zu marschieren hat, jemals anhält; die Teten
schreiten unausgesetzt fort, hinten treten die Leute ohne Aufficht aus und
marodieren. . . .


Die russische Armee als Gegner

die Folgen seiner Worte und seines Tuns zu vergegenwärtigen. Nur so läßt
sich das sympathisieren von Männern der höheren russischen Gesellschaftskreise
mit nihilistischen Schwärmern, ja Verbrechern, erklären. Kaiser Alerander der
Erste hat denn auch in seinen letzten Lebensjahren dem Offizierkorps voll Mi߬
trauen gegenübergestanden.

Einen interessanten Einblick in die inneren Verhältnisse der russischen Armee
unter Kaiser Nikolaus gewährt der Bericht eines scharfen und sachkundigen
Beobachters, des damaligen Hauptmanns von Höpfner vom preußischen General--
stcibe. über die Revue bei Kalisch im September 1839, an der auch ein Detache-
ment preußischer Truppen teilnahm.

In diesem Bericht heißt es: „Der Punkt der Ausdauer bei den nach Kalisch
rückender preußischen Truppen war der, welcher die höheren Offiziere am meisten
beschäftigte und einige Sorge veranlaßte; man kannte die ungeheuren Anstren¬
gungen, die den russischen Truppen wohl zugemutet werden, und fürchtete, dem
Anschein nach mit Recht, daß unsere jungen Leute ihnen nicht gewachsen sein
würden..... Man hatte indessen einesteils die Folgen des Marsches von
Potsdam bis Kalisch nicht genug gewürdigt und andernteils nicht berücksichtigt,
daß in den preußischen Truppen das geistige Element so erregbar ist, daß es
mit Leichtigkeit körperliche Schwächen überwindet, wenn der geringste Anstoß
gegeben wird. Dieser Anstoß erfolgte aber durch Nationaleifersucht in einem
solchen Grade, daß selbst in betreff der Ausdauer unter den obwaltenden Um¬
ständen die russischen Truppen keineswegs als Sieger anerkannt werden konnten.
Man hat bei den preußischen Truppen während der Manöver nie Marode
gesehen, wohl aber'bei den Russen, zu deren Aufnahme die hinter der Front
fahrenden Krankenwagen bereit waren.

„Bei dem letzten Manöver waren die Truppen um 4 Uhr des Morgens
aus dem Lager aufgebrochen und kamen etwa 1 Uhr mittags zum Sturm auf
Kalisch; nach diesem ging die preußische Infanterie in einem Zustand durch die
Stadt, der bewunderungswürdig war. Es waren dieselben frohen und frischen
Gesichter, dieselbe Haltung und Beweglichkeit, wie in ausgeruhtem Zustande. Es
soll dadurch keineswegs den russischen Truppen etwas von ihrer anerkannten
Kriegstüchtigkeit genommen werden, sondern möchte man im Gegenteil heraus¬
heben, daß bei dem, was dem russischen Jnfanteristen zur Herstellung der ver¬
lorenen Kräfte nach großen Anstrengungen geboten wird, man sich nicht genug
verwundern kann, daß er so Großes leistet, und die Infanterie nicht nach den
geringsten Strapazen haufenweis hinstürzt. Aber auch die Rücksichtslosigkeit der
höheren Befehlshaber tritt in dem Punkt der Ausdauer für die russische In¬
fanterie hemmend ein; sie beobachtet keine richtige Einteilung der Kräfte,
so z. B. wird man nie sehen, daß russische Infanterie, und wenn sie zwei
Meilen zum Rendezvous zu marschieren hat, jemals anhält; die Teten
schreiten unausgesetzt fort, hinten treten die Leute ohne Aufficht aus und
marodieren. . . .


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/265>, abgerufen am 01.09.2024.