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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Die russische Armee als Gegner

Generalität sowie den guten Ton, der in der Mehrzahl der Offizierkorps seit
Alexanders Regierung Wurzel gefaßt hatte, ein Urteil, das sich, was die Offiziers¬
korps betrifft, freilich nicht mit demjenigen des Livländers Löwenstern deckt,
sofern dasLeben der allerdings wohl besonders zügellosenHusarenoffiziere in gewisser
Weise einen Rückschluß auf die übrigen Offizierkorps zuläßt. Man wird sich
freilich hier, wie überall, hüten müssen, den Maßstab heutiger Begriffe an die
damalige Zeit zu legen. Es lag in der damaligen Zeit, daß sich im russischen
Offizierkorps unvermittelt Leute von hoher Bildung und Gesittung neben
ungebildeten und rohen Elementen fanden.

Im Generalstab überwogen in den Kriegen gegen Napoleon die Deutschen,
auch abgesehen von denjenigen Preußen, die 1812 nur vorübergehend in der
russischen Armee Aufnahme gefunden hatten. In der Generalität waren einzelne
französische Emigranten vertreten, die einflußreichsten und begabtesten Generale
aber waren ebenfalls Deutsche. Wohl bestanden die alten Gegensätze zwischen
Nationalrussen und Fremden noch fort, aber sie hatten zu jener Zeit viel von
ihrer früheren Schärfe eingebüßt. Die gemeinsam durchlebten Kriegsjahre hatten
die Kluft überbrückt. Auch waren es nicht mehr, wie ehedem, Abenteurer, diese
Deutschen in der russischen Uniform, sondern Männer, die, wenn sie auch
meistenteils ihre angestammte deutsche Art nicht verleugneten, sich doch durchaus
als russische Offiziere fühlten. Damals wurde ihnen noch nicht wie hente die
Bewahrung ihres Deutschtums durch ein auf die Spitze getriebenes russisches
Nationalgefühl erschwert. Noch 1831, im polnischen Feldzuge, herrschte in den
maßgebenden Stellen der Armee das deutsche Element durchaus vor. Der
damals dem russischen Hauptquartier zugeteilte preußische Oberst von Canitz und
Dallwitz schreibt: "Die brauchbarsten Offiziere waren Deutsche, wie denn über¬
haupt, wenn man aus dieser Armee herausgezogen hätte, was deutsch genannt
werden kann, eine ungeheure Bresche von oben herab sich aufgetan haben würde.
Diebitsch, Toll, Neidhardt, Pahlen, Berg, Geismar, ein Dutzend Obersten vom
Generalstab und Adjutanten, die besten Regimentskommandeure und eine Menge
der besten Offiziere aller Waffen waren Deutsche."

Im wesentlichen ist es immer so gewesen, von Mummies bis auf Totleben,
und die Beherrscher Rußlands wußten, daß sie auf das Pflichtbewußtsein und
die unbedingte Zuverlässigkeit dieser Deutschen in ihrem Heer bauen konnten.
Für Alexander den Ersten und Nikolaus den Ersten hatte das um so höheren
Wert, als die innere Förderung, die, wie erwähnt, der Armee durch die Be¬
rührung mit dem Auslande zuteil geworden war, auch ihre Kehrseite zeigte.
Namentlich unter den russischen Gardeoffizieren hatten infolge des Aufenthalts
in Frankreich kosmopolische liberalisierende Strömungen um sich gegriffen, wie
sie sich beim Regierungsantritt Kaiser Nikolaus' des Ersten im sogenannten
Dekabristenaufstand offenbarten. Ohnehin neigt der Russe, sobald er eine ihn
über die Masse des Volkes hinaushebende Bildung genossen hat, leicht zum
politischen Radikalismus. Ihm fehlt die kühle Überlegung und die Gabe, sich


Die russische Armee als Gegner

Generalität sowie den guten Ton, der in der Mehrzahl der Offizierkorps seit
Alexanders Regierung Wurzel gefaßt hatte, ein Urteil, das sich, was die Offiziers¬
korps betrifft, freilich nicht mit demjenigen des Livländers Löwenstern deckt,
sofern dasLeben der allerdings wohl besonders zügellosenHusarenoffiziere in gewisser
Weise einen Rückschluß auf die übrigen Offizierkorps zuläßt. Man wird sich
freilich hier, wie überall, hüten müssen, den Maßstab heutiger Begriffe an die
damalige Zeit zu legen. Es lag in der damaligen Zeit, daß sich im russischen
Offizierkorps unvermittelt Leute von hoher Bildung und Gesittung neben
ungebildeten und rohen Elementen fanden.

Im Generalstab überwogen in den Kriegen gegen Napoleon die Deutschen,
auch abgesehen von denjenigen Preußen, die 1812 nur vorübergehend in der
russischen Armee Aufnahme gefunden hatten. In der Generalität waren einzelne
französische Emigranten vertreten, die einflußreichsten und begabtesten Generale
aber waren ebenfalls Deutsche. Wohl bestanden die alten Gegensätze zwischen
Nationalrussen und Fremden noch fort, aber sie hatten zu jener Zeit viel von
ihrer früheren Schärfe eingebüßt. Die gemeinsam durchlebten Kriegsjahre hatten
die Kluft überbrückt. Auch waren es nicht mehr, wie ehedem, Abenteurer, diese
Deutschen in der russischen Uniform, sondern Männer, die, wenn sie auch
meistenteils ihre angestammte deutsche Art nicht verleugneten, sich doch durchaus
als russische Offiziere fühlten. Damals wurde ihnen noch nicht wie hente die
Bewahrung ihres Deutschtums durch ein auf die Spitze getriebenes russisches
Nationalgefühl erschwert. Noch 1831, im polnischen Feldzuge, herrschte in den
maßgebenden Stellen der Armee das deutsche Element durchaus vor. Der
damals dem russischen Hauptquartier zugeteilte preußische Oberst von Canitz und
Dallwitz schreibt: „Die brauchbarsten Offiziere waren Deutsche, wie denn über¬
haupt, wenn man aus dieser Armee herausgezogen hätte, was deutsch genannt
werden kann, eine ungeheure Bresche von oben herab sich aufgetan haben würde.
Diebitsch, Toll, Neidhardt, Pahlen, Berg, Geismar, ein Dutzend Obersten vom
Generalstab und Adjutanten, die besten Regimentskommandeure und eine Menge
der besten Offiziere aller Waffen waren Deutsche."

Im wesentlichen ist es immer so gewesen, von Mummies bis auf Totleben,
und die Beherrscher Rußlands wußten, daß sie auf das Pflichtbewußtsein und
die unbedingte Zuverlässigkeit dieser Deutschen in ihrem Heer bauen konnten.
Für Alexander den Ersten und Nikolaus den Ersten hatte das um so höheren
Wert, als die innere Förderung, die, wie erwähnt, der Armee durch die Be¬
rührung mit dem Auslande zuteil geworden war, auch ihre Kehrseite zeigte.
Namentlich unter den russischen Gardeoffizieren hatten infolge des Aufenthalts
in Frankreich kosmopolische liberalisierende Strömungen um sich gegriffen, wie
sie sich beim Regierungsantritt Kaiser Nikolaus' des Ersten im sogenannten
Dekabristenaufstand offenbarten. Ohnehin neigt der Russe, sobald er eine ihn
über die Masse des Volkes hinaushebende Bildung genossen hat, leicht zum
politischen Radikalismus. Ihm fehlt die kühle Überlegung und die Gabe, sich


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[0264] Die russische Armee als Gegner Generalität sowie den guten Ton, der in der Mehrzahl der Offizierkorps seit Alexanders Regierung Wurzel gefaßt hatte, ein Urteil, das sich, was die Offiziers¬ korps betrifft, freilich nicht mit demjenigen des Livländers Löwenstern deckt, sofern dasLeben der allerdings wohl besonders zügellosenHusarenoffiziere in gewisser Weise einen Rückschluß auf die übrigen Offizierkorps zuläßt. Man wird sich freilich hier, wie überall, hüten müssen, den Maßstab heutiger Begriffe an die damalige Zeit zu legen. Es lag in der damaligen Zeit, daß sich im russischen Offizierkorps unvermittelt Leute von hoher Bildung und Gesittung neben ungebildeten und rohen Elementen fanden. Im Generalstab überwogen in den Kriegen gegen Napoleon die Deutschen, auch abgesehen von denjenigen Preußen, die 1812 nur vorübergehend in der russischen Armee Aufnahme gefunden hatten. In der Generalität waren einzelne französische Emigranten vertreten, die einflußreichsten und begabtesten Generale aber waren ebenfalls Deutsche. Wohl bestanden die alten Gegensätze zwischen Nationalrussen und Fremden noch fort, aber sie hatten zu jener Zeit viel von ihrer früheren Schärfe eingebüßt. Die gemeinsam durchlebten Kriegsjahre hatten die Kluft überbrückt. Auch waren es nicht mehr, wie ehedem, Abenteurer, diese Deutschen in der russischen Uniform, sondern Männer, die, wenn sie auch meistenteils ihre angestammte deutsche Art nicht verleugneten, sich doch durchaus als russische Offiziere fühlten. Damals wurde ihnen noch nicht wie hente die Bewahrung ihres Deutschtums durch ein auf die Spitze getriebenes russisches Nationalgefühl erschwert. Noch 1831, im polnischen Feldzuge, herrschte in den maßgebenden Stellen der Armee das deutsche Element durchaus vor. Der damals dem russischen Hauptquartier zugeteilte preußische Oberst von Canitz und Dallwitz schreibt: „Die brauchbarsten Offiziere waren Deutsche, wie denn über¬ haupt, wenn man aus dieser Armee herausgezogen hätte, was deutsch genannt werden kann, eine ungeheure Bresche von oben herab sich aufgetan haben würde. Diebitsch, Toll, Neidhardt, Pahlen, Berg, Geismar, ein Dutzend Obersten vom Generalstab und Adjutanten, die besten Regimentskommandeure und eine Menge der besten Offiziere aller Waffen waren Deutsche." Im wesentlichen ist es immer so gewesen, von Mummies bis auf Totleben, und die Beherrscher Rußlands wußten, daß sie auf das Pflichtbewußtsein und die unbedingte Zuverlässigkeit dieser Deutschen in ihrem Heer bauen konnten. Für Alexander den Ersten und Nikolaus den Ersten hatte das um so höheren Wert, als die innere Förderung, die, wie erwähnt, der Armee durch die Be¬ rührung mit dem Auslande zuteil geworden war, auch ihre Kehrseite zeigte. Namentlich unter den russischen Gardeoffizieren hatten infolge des Aufenthalts in Frankreich kosmopolische liberalisierende Strömungen um sich gegriffen, wie sie sich beim Regierungsantritt Kaiser Nikolaus' des Ersten im sogenannten Dekabristenaufstand offenbarten. Ohnehin neigt der Russe, sobald er eine ihn über die Masse des Volkes hinaushebende Bildung genossen hat, leicht zum politischen Radikalismus. Ihm fehlt die kühle Überlegung und die Gabe, sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/264>, abgerufen am 01.09.2024.