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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Frankreichs Provinzen im Kampf gegen Paris

dasselbe Thema und unterwirft alle einer mündlichen Prüfung in Paris,
während die Größe und Eigenart der deutschen Universitäten auf ihrer Selb¬
ständigkeit und historisch berechtigten Mannigfaltigkeit beruht. Bei uns gibt es
auch, Gott sei Dank, immer noch Professoren, die dem Ruf nach Berlin nicht
folgen, weil sie mit Land und Leuten verwachsen sind. In Frankreich haben
alle den brennenden Ehrgeiz, nach Paris versetzt zu werden. Der Staat sucht
sich für die bevorrechteten Pariser Institute die Begabtesten aus und entzieht
damit der Provinz viel bewußte, lebendige Kraft.

Immerhin ist für die Wissenschaft selbst der Schade nicht so groß. Sie vermag
eine gewisse Zentralisation sogar insofern ganz gut zu vertragen, als ihre
Ergebnisse dadurch leichter bekannt, geprüft und weiter fortgeführt werden können.
Die Kunst aber, die uns der Ausdruck einer Persönlichkeit ist, muß unter einem
System leiden, das formalistisch-bureaukratisch verfährt.

Dieses System hat zu einer "offiziellen" bildenden Kunst geführt. Sie
wird in der einzigen staatlichen Kunstschule gelehrt, die Frankreich besitzt: in
der ^Laäömie cle8 IZeaux-^res in Paris. Es ist leicht zu begreifen, daß sich
infolge des Privilegs in dieser Schule eine ganz bestimmte Richtung heraus¬
gebildet hat und breit macht, die noch dazu ein deutliches Beharren, ein Streben
nach erstarrender Form zeigt, um sich als legitime und echte Kunst auszugeben.
Jede Weiterentwicklung der Kunst, jedes Anpassen an die Zeitseele wird dadurch
zum mindesten stark gehemmt. Und so wird die offizielle Anerkennung der Ne¬
gierung den "pompiel's" zuteil, den akademisch Nüchternen, deren laue, wenig
aufregende Kunst dem Pariser Publikum im Salon jedes Jahr wieder bekannte
Gesichter, bekannte Stoffe und Töne vorsetzt. Die wahrhaft Schöpferischen, die
Cözanne, Manet, Meunier sind jedenfalls nicht aus der Pariser Akademie
hervorgegangen.

Ähnlich ergeht es der Literatur. Nicht, daß man versuchte, staatlich
approbierte Literaten zu züchten. Soweit ist man noch nicht gegangen, wenn
auch die ^caclemio I^lau?ÄiZö zeitweise Geschmack und Anschauungen eines
großen Teils des Publikums bestimmt hat. Aber allein die Tatsache, daß
Paris als das Haupt Frankreichs gilt, hat dem Pariser Literatentum einen
Glanz und eine verhängnisvolle Monopolstellung verschafft. Die hauptstädtische
Presse, die in ganz Frankreich Verbreitung findet und neben der nur wenige
Lokalblätter wirkliche Bedeutung haben, hat zu diesem Ruhm nicht wenig bei¬
getragen. Und nun geht es der Boulevardliteratur wie dem Maria Theresien-
taler: jeder kennt die Prägung und anerkennt nur das, was die Pariser Marke
trägt. Weh dem, der seinem Werk seinen eigenen Stempel aufdrücken will:
er kommt bei der großen Masse gar nicht zur Geltung.

Am schlimmsten ist die Kunstform dran, die am meisten mit dem Publikum
Fühlung nehmen und Rücksichten walten lassen muß: das Drama. Am Theater
zeigt sich am allerdeurlichsten, wie die Zentralisation des geistigen Lebens
Cliquenbildung und Formalismus erzeugen muß. Man kennt ja auch bei uns


Frankreichs Provinzen im Kampf gegen Paris

dasselbe Thema und unterwirft alle einer mündlichen Prüfung in Paris,
während die Größe und Eigenart der deutschen Universitäten auf ihrer Selb¬
ständigkeit und historisch berechtigten Mannigfaltigkeit beruht. Bei uns gibt es
auch, Gott sei Dank, immer noch Professoren, die dem Ruf nach Berlin nicht
folgen, weil sie mit Land und Leuten verwachsen sind. In Frankreich haben
alle den brennenden Ehrgeiz, nach Paris versetzt zu werden. Der Staat sucht
sich für die bevorrechteten Pariser Institute die Begabtesten aus und entzieht
damit der Provinz viel bewußte, lebendige Kraft.

Immerhin ist für die Wissenschaft selbst der Schade nicht so groß. Sie vermag
eine gewisse Zentralisation sogar insofern ganz gut zu vertragen, als ihre
Ergebnisse dadurch leichter bekannt, geprüft und weiter fortgeführt werden können.
Die Kunst aber, die uns der Ausdruck einer Persönlichkeit ist, muß unter einem
System leiden, das formalistisch-bureaukratisch verfährt.

Dieses System hat zu einer „offiziellen" bildenden Kunst geführt. Sie
wird in der einzigen staatlichen Kunstschule gelehrt, die Frankreich besitzt: in
der ^Laäömie cle8 IZeaux-^res in Paris. Es ist leicht zu begreifen, daß sich
infolge des Privilegs in dieser Schule eine ganz bestimmte Richtung heraus¬
gebildet hat und breit macht, die noch dazu ein deutliches Beharren, ein Streben
nach erstarrender Form zeigt, um sich als legitime und echte Kunst auszugeben.
Jede Weiterentwicklung der Kunst, jedes Anpassen an die Zeitseele wird dadurch
zum mindesten stark gehemmt. Und so wird die offizielle Anerkennung der Ne¬
gierung den „pompiel's" zuteil, den akademisch Nüchternen, deren laue, wenig
aufregende Kunst dem Pariser Publikum im Salon jedes Jahr wieder bekannte
Gesichter, bekannte Stoffe und Töne vorsetzt. Die wahrhaft Schöpferischen, die
Cözanne, Manet, Meunier sind jedenfalls nicht aus der Pariser Akademie
hervorgegangen.

Ähnlich ergeht es der Literatur. Nicht, daß man versuchte, staatlich
approbierte Literaten zu züchten. Soweit ist man noch nicht gegangen, wenn
auch die ^caclemio I^lau?ÄiZö zeitweise Geschmack und Anschauungen eines
großen Teils des Publikums bestimmt hat. Aber allein die Tatsache, daß
Paris als das Haupt Frankreichs gilt, hat dem Pariser Literatentum einen
Glanz und eine verhängnisvolle Monopolstellung verschafft. Die hauptstädtische
Presse, die in ganz Frankreich Verbreitung findet und neben der nur wenige
Lokalblätter wirkliche Bedeutung haben, hat zu diesem Ruhm nicht wenig bei¬
getragen. Und nun geht es der Boulevardliteratur wie dem Maria Theresien-
taler: jeder kennt die Prägung und anerkennt nur das, was die Pariser Marke
trägt. Weh dem, der seinem Werk seinen eigenen Stempel aufdrücken will:
er kommt bei der großen Masse gar nicht zur Geltung.

Am schlimmsten ist die Kunstform dran, die am meisten mit dem Publikum
Fühlung nehmen und Rücksichten walten lassen muß: das Drama. Am Theater
zeigt sich am allerdeurlichsten, wie die Zentralisation des geistigen Lebens
Cliquenbildung und Formalismus erzeugen muß. Man kennt ja auch bei uns


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[0026] Frankreichs Provinzen im Kampf gegen Paris dasselbe Thema und unterwirft alle einer mündlichen Prüfung in Paris, während die Größe und Eigenart der deutschen Universitäten auf ihrer Selb¬ ständigkeit und historisch berechtigten Mannigfaltigkeit beruht. Bei uns gibt es auch, Gott sei Dank, immer noch Professoren, die dem Ruf nach Berlin nicht folgen, weil sie mit Land und Leuten verwachsen sind. In Frankreich haben alle den brennenden Ehrgeiz, nach Paris versetzt zu werden. Der Staat sucht sich für die bevorrechteten Pariser Institute die Begabtesten aus und entzieht damit der Provinz viel bewußte, lebendige Kraft. Immerhin ist für die Wissenschaft selbst der Schade nicht so groß. Sie vermag eine gewisse Zentralisation sogar insofern ganz gut zu vertragen, als ihre Ergebnisse dadurch leichter bekannt, geprüft und weiter fortgeführt werden können. Die Kunst aber, die uns der Ausdruck einer Persönlichkeit ist, muß unter einem System leiden, das formalistisch-bureaukratisch verfährt. Dieses System hat zu einer „offiziellen" bildenden Kunst geführt. Sie wird in der einzigen staatlichen Kunstschule gelehrt, die Frankreich besitzt: in der ^Laäömie cle8 IZeaux-^res in Paris. Es ist leicht zu begreifen, daß sich infolge des Privilegs in dieser Schule eine ganz bestimmte Richtung heraus¬ gebildet hat und breit macht, die noch dazu ein deutliches Beharren, ein Streben nach erstarrender Form zeigt, um sich als legitime und echte Kunst auszugeben. Jede Weiterentwicklung der Kunst, jedes Anpassen an die Zeitseele wird dadurch zum mindesten stark gehemmt. Und so wird die offizielle Anerkennung der Ne¬ gierung den „pompiel's" zuteil, den akademisch Nüchternen, deren laue, wenig aufregende Kunst dem Pariser Publikum im Salon jedes Jahr wieder bekannte Gesichter, bekannte Stoffe und Töne vorsetzt. Die wahrhaft Schöpferischen, die Cözanne, Manet, Meunier sind jedenfalls nicht aus der Pariser Akademie hervorgegangen. Ähnlich ergeht es der Literatur. Nicht, daß man versuchte, staatlich approbierte Literaten zu züchten. Soweit ist man noch nicht gegangen, wenn auch die ^caclemio I^lau?ÄiZö zeitweise Geschmack und Anschauungen eines großen Teils des Publikums bestimmt hat. Aber allein die Tatsache, daß Paris als das Haupt Frankreichs gilt, hat dem Pariser Literatentum einen Glanz und eine verhängnisvolle Monopolstellung verschafft. Die hauptstädtische Presse, die in ganz Frankreich Verbreitung findet und neben der nur wenige Lokalblätter wirkliche Bedeutung haben, hat zu diesem Ruhm nicht wenig bei¬ getragen. Und nun geht es der Boulevardliteratur wie dem Maria Theresien- taler: jeder kennt die Prägung und anerkennt nur das, was die Pariser Marke trägt. Weh dem, der seinem Werk seinen eigenen Stempel aufdrücken will: er kommt bei der großen Masse gar nicht zur Geltung. Am schlimmsten ist die Kunstform dran, die am meisten mit dem Publikum Fühlung nehmen und Rücksichten walten lassen muß: das Drama. Am Theater zeigt sich am allerdeurlichsten, wie die Zentralisation des geistigen Lebens Cliquenbildung und Formalismus erzeugen muß. Man kennt ja auch bei uns

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/26>, abgerufen am 27.07.2024.