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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Aber auch hier darf man an ähnliche Figuren etwa bei Ibsen gar
nicht denken.

Allein die Blutlosigkeit all dieser Schemen lassen wir uns gern gefallen
und geben uns vor der Bühne der Täuschung willig hin, solange wir uns durch
den Witz dessen, was gesprochen wird, entschädigt sehen. Die besten Wede-
kindschen Stücke leben denn auch von den zynischen Paradoxien und witzigen
Umwertungen, die, in schneidend klugem Dialog hingestreut, Wedekinds eigentliche
Stärke sind. Und so hat er, ohne ein Dramatiker zu sein, nicht nur den "Erd¬
geist" hervorgebracht, mit der genialen Gestalt der Lulu, nicht nur die "Büchse
der Pandora", die nach häufigen Umarbeitungen nun als ein gehämmertes
und geschliffenes Meisterstück diabolisch unterirdischen Humors vor uns steht, sondern
auch die Satire des "Kammersängers", das geschlossenste seiner Stücke und fast
schon ein echtes Drama.

Allein der Schöpfer dieser Dinge hatte jahrelang keinen Erfolg, und aus
dem unbesorgten Satiriker ward ein enttäuschter, um Existenz und Anerkennung
schwer ringender Mensch. Er nahm sich selbst und sein eigenes Geschick zum
Objekt dramatischer Gestaltung, er wurde Subjektivist, das heißt das Gegenteil
eines Dramatikers, und das schlimmste: er wurde ernst. Nun freilich mußte
sich die dramatische Unzulänglichkeit enthüllen, nicht immer so kraß wie im
"König Nikolo" ("So ist das Leben"), aber bis zu seinem jüngsten Werke kraß
genug. Immer wieder stellt er sich nun selbst in all seiner menschlichen Blöße
zur Schau als den Dichter, der seine eigenen Werke, allein oder mit der Ge¬
liebten, aus heißer Seele einem rohen Publikum vorführen muß. So finden
wir ihn in "Zensur" wie in "Franziska" wie sogar im "Simson". Und wenn in
diesen letzten Stücken der Dichter-Sänger von seiner Lebens- und Kunstgenossin
schmählich betrogen wird, so sehen wir uns zu peinlichen Deutungen gedrängt,
denen wir lieber nicht nachhängen wollen.

Wedekind, jahrelang mit brutaler Gewalt von der Öffentlichkeit abgeschlossen,
hat sich endlich durchgesetzt, und es scheint ihm gut zu gehen. Der Zyniker
und Revolutionär beginnt, sich in dieser Welt einzurichten, und das Mysterium
"Franziska" enSet mit der Erkenntnis: "Die Welt ist in Wirklichkeit gar nicht
so greulich eingerichtet, wie uns gewisse Unglücksraben immer und immer wieder
gerne einreden möchten." Aber wenn es sich so verhält, so haben uns andere
bisher diese Welt besser zu schildern gewußt. Hoffen wir, daß er jetzt, seinen
jugendlichen Sexualtheorien ebenso entwachsen wie dem Jchkultus seiner Mannes¬
jahre, zur künstlerischen Bezwingung dieser Welt, wie sie nun einmal ist, gelangt.
Sein letztes Werk weckt solche Hoffnung. Zwar entpuppen sich, wie gesagt,
sogar Simson und Delilah. die biblischen Gestalten, im zweiten Akt bereits
wieder als Frank und Tilly Wedekind. Aber im ersten Akte sind es noch der
Held, der die Philister schlug, und das Weib, das ihn um seine Kraft betrog.
Und hier, wo er objektiv zu gestalten hat, bricht eine Fähigkeit des Menschen-
bildens durch, die bisher in seinem Wert noch nicht zu finden war. Wedekind


Aber auch hier darf man an ähnliche Figuren etwa bei Ibsen gar
nicht denken.

Allein die Blutlosigkeit all dieser Schemen lassen wir uns gern gefallen
und geben uns vor der Bühne der Täuschung willig hin, solange wir uns durch
den Witz dessen, was gesprochen wird, entschädigt sehen. Die besten Wede-
kindschen Stücke leben denn auch von den zynischen Paradoxien und witzigen
Umwertungen, die, in schneidend klugem Dialog hingestreut, Wedekinds eigentliche
Stärke sind. Und so hat er, ohne ein Dramatiker zu sein, nicht nur den „Erd¬
geist" hervorgebracht, mit der genialen Gestalt der Lulu, nicht nur die „Büchse
der Pandora", die nach häufigen Umarbeitungen nun als ein gehämmertes
und geschliffenes Meisterstück diabolisch unterirdischen Humors vor uns steht, sondern
auch die Satire des „Kammersängers", das geschlossenste seiner Stücke und fast
schon ein echtes Drama.

Allein der Schöpfer dieser Dinge hatte jahrelang keinen Erfolg, und aus
dem unbesorgten Satiriker ward ein enttäuschter, um Existenz und Anerkennung
schwer ringender Mensch. Er nahm sich selbst und sein eigenes Geschick zum
Objekt dramatischer Gestaltung, er wurde Subjektivist, das heißt das Gegenteil
eines Dramatikers, und das schlimmste: er wurde ernst. Nun freilich mußte
sich die dramatische Unzulänglichkeit enthüllen, nicht immer so kraß wie im
„König Nikolo" („So ist das Leben"), aber bis zu seinem jüngsten Werke kraß
genug. Immer wieder stellt er sich nun selbst in all seiner menschlichen Blöße
zur Schau als den Dichter, der seine eigenen Werke, allein oder mit der Ge¬
liebten, aus heißer Seele einem rohen Publikum vorführen muß. So finden
wir ihn in „Zensur" wie in „Franziska" wie sogar im „Simson". Und wenn in
diesen letzten Stücken der Dichter-Sänger von seiner Lebens- und Kunstgenossin
schmählich betrogen wird, so sehen wir uns zu peinlichen Deutungen gedrängt,
denen wir lieber nicht nachhängen wollen.

Wedekind, jahrelang mit brutaler Gewalt von der Öffentlichkeit abgeschlossen,
hat sich endlich durchgesetzt, und es scheint ihm gut zu gehen. Der Zyniker
und Revolutionär beginnt, sich in dieser Welt einzurichten, und das Mysterium
„Franziska" enSet mit der Erkenntnis: „Die Welt ist in Wirklichkeit gar nicht
so greulich eingerichtet, wie uns gewisse Unglücksraben immer und immer wieder
gerne einreden möchten." Aber wenn es sich so verhält, so haben uns andere
bisher diese Welt besser zu schildern gewußt. Hoffen wir, daß er jetzt, seinen
jugendlichen Sexualtheorien ebenso entwachsen wie dem Jchkultus seiner Mannes¬
jahre, zur künstlerischen Bezwingung dieser Welt, wie sie nun einmal ist, gelangt.
Sein letztes Werk weckt solche Hoffnung. Zwar entpuppen sich, wie gesagt,
sogar Simson und Delilah. die biblischen Gestalten, im zweiten Akt bereits
wieder als Frank und Tilly Wedekind. Aber im ersten Akte sind es noch der
Held, der die Philister schlug, und das Weib, das ihn um seine Kraft betrog.
Und hier, wo er objektiv zu gestalten hat, bricht eine Fähigkeit des Menschen-
bildens durch, die bisher in seinem Wert noch nicht zu finden war. Wedekind


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[0245] Aber auch hier darf man an ähnliche Figuren etwa bei Ibsen gar nicht denken. Allein die Blutlosigkeit all dieser Schemen lassen wir uns gern gefallen und geben uns vor der Bühne der Täuschung willig hin, solange wir uns durch den Witz dessen, was gesprochen wird, entschädigt sehen. Die besten Wede- kindschen Stücke leben denn auch von den zynischen Paradoxien und witzigen Umwertungen, die, in schneidend klugem Dialog hingestreut, Wedekinds eigentliche Stärke sind. Und so hat er, ohne ein Dramatiker zu sein, nicht nur den „Erd¬ geist" hervorgebracht, mit der genialen Gestalt der Lulu, nicht nur die „Büchse der Pandora", die nach häufigen Umarbeitungen nun als ein gehämmertes und geschliffenes Meisterstück diabolisch unterirdischen Humors vor uns steht, sondern auch die Satire des „Kammersängers", das geschlossenste seiner Stücke und fast schon ein echtes Drama. Allein der Schöpfer dieser Dinge hatte jahrelang keinen Erfolg, und aus dem unbesorgten Satiriker ward ein enttäuschter, um Existenz und Anerkennung schwer ringender Mensch. Er nahm sich selbst und sein eigenes Geschick zum Objekt dramatischer Gestaltung, er wurde Subjektivist, das heißt das Gegenteil eines Dramatikers, und das schlimmste: er wurde ernst. Nun freilich mußte sich die dramatische Unzulänglichkeit enthüllen, nicht immer so kraß wie im „König Nikolo" („So ist das Leben"), aber bis zu seinem jüngsten Werke kraß genug. Immer wieder stellt er sich nun selbst in all seiner menschlichen Blöße zur Schau als den Dichter, der seine eigenen Werke, allein oder mit der Ge¬ liebten, aus heißer Seele einem rohen Publikum vorführen muß. So finden wir ihn in „Zensur" wie in „Franziska" wie sogar im „Simson". Und wenn in diesen letzten Stücken der Dichter-Sänger von seiner Lebens- und Kunstgenossin schmählich betrogen wird, so sehen wir uns zu peinlichen Deutungen gedrängt, denen wir lieber nicht nachhängen wollen. Wedekind, jahrelang mit brutaler Gewalt von der Öffentlichkeit abgeschlossen, hat sich endlich durchgesetzt, und es scheint ihm gut zu gehen. Der Zyniker und Revolutionär beginnt, sich in dieser Welt einzurichten, und das Mysterium „Franziska" enSet mit der Erkenntnis: „Die Welt ist in Wirklichkeit gar nicht so greulich eingerichtet, wie uns gewisse Unglücksraben immer und immer wieder gerne einreden möchten." Aber wenn es sich so verhält, so haben uns andere bisher diese Welt besser zu schildern gewußt. Hoffen wir, daß er jetzt, seinen jugendlichen Sexualtheorien ebenso entwachsen wie dem Jchkultus seiner Mannes¬ jahre, zur künstlerischen Bezwingung dieser Welt, wie sie nun einmal ist, gelangt. Sein letztes Werk weckt solche Hoffnung. Zwar entpuppen sich, wie gesagt, sogar Simson und Delilah. die biblischen Gestalten, im zweiten Akt bereits wieder als Frank und Tilly Wedekind. Aber im ersten Akte sind es noch der Held, der die Philister schlug, und das Weib, das ihn um seine Kraft betrog. Und hier, wo er objektiv zu gestalten hat, bricht eine Fähigkeit des Menschen- bildens durch, die bisher in seinem Wert noch nicht zu finden war. Wedekind

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/245>, abgerufen am 01.09.2024.