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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Frankreich und Italien

Schwester" eingetreten wäre. Wirklich ließ man auch zuerst die italienischen
Flüchtlinge auf französischem Boden gewähren, und duldete es, daß von Frank¬
reich aus eine kleine Freischar im April 1848 in Savonen einfiel. Als diese
aber dort sofort wieder vertrieben wurde, bekümmerte man sich nicht mehr um
sie. Ebenso hütete sich der damalige Minister des Auswärtigen, Lamartine,
wohl, irgendwie das Vorgehen des Königs von Sardinien, Karl Albert, gegen
Österreich zu billigen. Im Gegenteil unterhandelte er lediglich mit Österreich, indem
er hoffte, durch diplomatische Verhandlungen die Lombardei an Sardinien, und
dafür Savoyen an Frankreich zu bringen. Ein tatsächliches Eingreifen fand
jedoch nicht statt. Es wurde allerdings unter einem der tüchtigsten fran¬
zösischen Heerführer, dem in Algier bewährten Marschall Bugeaud, eine "Alpen¬
armee" aufgestellt, die aber nicht die geringsten Anstalten machte, die Alpen zu
überschreiten. In der Kammer trat vor allem Thiers entschieden gegen jedes Ein¬
greifen Frankreichs in die italienischen Verhältnisse auf. Das einzige Interesse Frank¬
reichs war nach seiner Meinung, eine Eroberungspolitik Österreichs zu verhindern und
Sardinien nicht gänzlich fallen zu lassen. Da aber Österreich nicht an Erobe¬
rungen denke und Sardinien nicht weiter bedrohe, so entfalte jeder Grund für
ein aktives Vorgehen. Dementsprechend beschloß denn auch die Volksvertretung
der Republik, der Regierung freie Hand zu lassen und sie nur zu ermächtigen,
"einen Teil Oberitaliens zu besetzen, wenn sie dies zum Schutze der Integrität
des sardinischen Gebiets und der Ehre Frankreichs für erforderlich halte". Von
einem Eintreten für die Einheit Italiens war keine Rede mehr. Im Gegenteil
wurde bald darauf von der französischen Republik eine Unternehmung mit
bewaffneter Hand in Italien ins Werk gesetzt, die direkt gegen die italienischen
Einheitsbestrebungen gerichtet war. Auf Antrag Odilon Barrots, des ehemaligen
Führers der Opposition gegen die Bourdonenregierung, wurde die Bewilligung
eines Kredits von 1200000 Franken beschlossen, bestimmt für die Entsendung eines
Expeditionskorps unter dem Befehl des Generals Oudinot gegen Rom, wo der
Papst vertrieben und von Garibaldi und Mazzini die römische Republik aus¬
gerufen war. Um den Papst wieder einzusetzen, erschienen nun die Truppen der
französischen Schwesterrepublik in Civitavecchia. Am 30. April 1849 vor
Rom angelangt, wurden sie dort mit Kartätschen begrüßt und mußten Rom
mittels längerer Kämpfe gegen die italienischen Republikaner erobern, um es
dann dem Papst wieder auszuliefern. Seitdem blieb die Aufrechterhaltung der
weltlichen Macht des Papstes mit Hilfe der französischen Waffen ein Funda¬
mentalsatz der französischen Politik. Als Napoleon der Dritte 1859 vorüber¬
gehend die traditionelle französische Politik verlassen hatte, erschrak er selbst vor
den Folgen seiner Taten, und versuchte den ins Rollen gekommenen Stein
wiederaufzuhalten. Es gelang ihm auch noch, Savoyen, das ja schon La¬
martine begehrt hatte, und Nizza den Italienern zu entreißen, aber sonst ging
die Einheitsbewegung über die Grenzen, die er ihr hatte ziehen wollen, unauf¬
haltsam hinweg. So blieb denn nur der Schutz Roms übrig. Im Interesse dieses


Frankreich und Italien

Schwester" eingetreten wäre. Wirklich ließ man auch zuerst die italienischen
Flüchtlinge auf französischem Boden gewähren, und duldete es, daß von Frank¬
reich aus eine kleine Freischar im April 1848 in Savonen einfiel. Als diese
aber dort sofort wieder vertrieben wurde, bekümmerte man sich nicht mehr um
sie. Ebenso hütete sich der damalige Minister des Auswärtigen, Lamartine,
wohl, irgendwie das Vorgehen des Königs von Sardinien, Karl Albert, gegen
Österreich zu billigen. Im Gegenteil unterhandelte er lediglich mit Österreich, indem
er hoffte, durch diplomatische Verhandlungen die Lombardei an Sardinien, und
dafür Savoyen an Frankreich zu bringen. Ein tatsächliches Eingreifen fand
jedoch nicht statt. Es wurde allerdings unter einem der tüchtigsten fran¬
zösischen Heerführer, dem in Algier bewährten Marschall Bugeaud, eine „Alpen¬
armee" aufgestellt, die aber nicht die geringsten Anstalten machte, die Alpen zu
überschreiten. In der Kammer trat vor allem Thiers entschieden gegen jedes Ein¬
greifen Frankreichs in die italienischen Verhältnisse auf. Das einzige Interesse Frank¬
reichs war nach seiner Meinung, eine Eroberungspolitik Österreichs zu verhindern und
Sardinien nicht gänzlich fallen zu lassen. Da aber Österreich nicht an Erobe¬
rungen denke und Sardinien nicht weiter bedrohe, so entfalte jeder Grund für
ein aktives Vorgehen. Dementsprechend beschloß denn auch die Volksvertretung
der Republik, der Regierung freie Hand zu lassen und sie nur zu ermächtigen,
„einen Teil Oberitaliens zu besetzen, wenn sie dies zum Schutze der Integrität
des sardinischen Gebiets und der Ehre Frankreichs für erforderlich halte". Von
einem Eintreten für die Einheit Italiens war keine Rede mehr. Im Gegenteil
wurde bald darauf von der französischen Republik eine Unternehmung mit
bewaffneter Hand in Italien ins Werk gesetzt, die direkt gegen die italienischen
Einheitsbestrebungen gerichtet war. Auf Antrag Odilon Barrots, des ehemaligen
Führers der Opposition gegen die Bourdonenregierung, wurde die Bewilligung
eines Kredits von 1200000 Franken beschlossen, bestimmt für die Entsendung eines
Expeditionskorps unter dem Befehl des Generals Oudinot gegen Rom, wo der
Papst vertrieben und von Garibaldi und Mazzini die römische Republik aus¬
gerufen war. Um den Papst wieder einzusetzen, erschienen nun die Truppen der
französischen Schwesterrepublik in Civitavecchia. Am 30. April 1849 vor
Rom angelangt, wurden sie dort mit Kartätschen begrüßt und mußten Rom
mittels längerer Kämpfe gegen die italienischen Republikaner erobern, um es
dann dem Papst wieder auszuliefern. Seitdem blieb die Aufrechterhaltung der
weltlichen Macht des Papstes mit Hilfe der französischen Waffen ein Funda¬
mentalsatz der französischen Politik. Als Napoleon der Dritte 1859 vorüber¬
gehend die traditionelle französische Politik verlassen hatte, erschrak er selbst vor
den Folgen seiner Taten, und versuchte den ins Rollen gekommenen Stein
wiederaufzuhalten. Es gelang ihm auch noch, Savoyen, das ja schon La¬
martine begehrt hatte, und Nizza den Italienern zu entreißen, aber sonst ging
die Einheitsbewegung über die Grenzen, die er ihr hatte ziehen wollen, unauf¬
haltsam hinweg. So blieb denn nur der Schutz Roms übrig. Im Interesse dieses


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[0210] Frankreich und Italien Schwester" eingetreten wäre. Wirklich ließ man auch zuerst die italienischen Flüchtlinge auf französischem Boden gewähren, und duldete es, daß von Frank¬ reich aus eine kleine Freischar im April 1848 in Savonen einfiel. Als diese aber dort sofort wieder vertrieben wurde, bekümmerte man sich nicht mehr um sie. Ebenso hütete sich der damalige Minister des Auswärtigen, Lamartine, wohl, irgendwie das Vorgehen des Königs von Sardinien, Karl Albert, gegen Österreich zu billigen. Im Gegenteil unterhandelte er lediglich mit Österreich, indem er hoffte, durch diplomatische Verhandlungen die Lombardei an Sardinien, und dafür Savoyen an Frankreich zu bringen. Ein tatsächliches Eingreifen fand jedoch nicht statt. Es wurde allerdings unter einem der tüchtigsten fran¬ zösischen Heerführer, dem in Algier bewährten Marschall Bugeaud, eine „Alpen¬ armee" aufgestellt, die aber nicht die geringsten Anstalten machte, die Alpen zu überschreiten. In der Kammer trat vor allem Thiers entschieden gegen jedes Ein¬ greifen Frankreichs in die italienischen Verhältnisse auf. Das einzige Interesse Frank¬ reichs war nach seiner Meinung, eine Eroberungspolitik Österreichs zu verhindern und Sardinien nicht gänzlich fallen zu lassen. Da aber Österreich nicht an Erobe¬ rungen denke und Sardinien nicht weiter bedrohe, so entfalte jeder Grund für ein aktives Vorgehen. Dementsprechend beschloß denn auch die Volksvertretung der Republik, der Regierung freie Hand zu lassen und sie nur zu ermächtigen, „einen Teil Oberitaliens zu besetzen, wenn sie dies zum Schutze der Integrität des sardinischen Gebiets und der Ehre Frankreichs für erforderlich halte". Von einem Eintreten für die Einheit Italiens war keine Rede mehr. Im Gegenteil wurde bald darauf von der französischen Republik eine Unternehmung mit bewaffneter Hand in Italien ins Werk gesetzt, die direkt gegen die italienischen Einheitsbestrebungen gerichtet war. Auf Antrag Odilon Barrots, des ehemaligen Führers der Opposition gegen die Bourdonenregierung, wurde die Bewilligung eines Kredits von 1200000 Franken beschlossen, bestimmt für die Entsendung eines Expeditionskorps unter dem Befehl des Generals Oudinot gegen Rom, wo der Papst vertrieben und von Garibaldi und Mazzini die römische Republik aus¬ gerufen war. Um den Papst wieder einzusetzen, erschienen nun die Truppen der französischen Schwesterrepublik in Civitavecchia. Am 30. April 1849 vor Rom angelangt, wurden sie dort mit Kartätschen begrüßt und mußten Rom mittels längerer Kämpfe gegen die italienischen Republikaner erobern, um es dann dem Papst wieder auszuliefern. Seitdem blieb die Aufrechterhaltung der weltlichen Macht des Papstes mit Hilfe der französischen Waffen ein Funda¬ mentalsatz der französischen Politik. Als Napoleon der Dritte 1859 vorüber¬ gehend die traditionelle französische Politik verlassen hatte, erschrak er selbst vor den Folgen seiner Taten, und versuchte den ins Rollen gekommenen Stein wiederaufzuhalten. Es gelang ihm auch noch, Savoyen, das ja schon La¬ martine begehrt hatte, und Nizza den Italienern zu entreißen, aber sonst ging die Einheitsbewegung über die Grenzen, die er ihr hatte ziehen wollen, unauf¬ haltsam hinweg. So blieb denn nur der Schutz Roms übrig. Im Interesse dieses

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/210>, abgerufen am 22.12.2024.