Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.Frankreichs Provinzen im Kampf gegen Paris der Hauptstadt verleiht, und auf diese Weise entfremdet sie die Kunst dem Volks- II. Die Überzeugung von der Notwendigkeit einer Reform hat eine ganze Erst in den letzten zehn Jahren hat der Ruf nach Mündigkeit in einer Frankreichs Provinzen im Kampf gegen Paris der Hauptstadt verleiht, und auf diese Weise entfremdet sie die Kunst dem Volks- II. Die Überzeugung von der Notwendigkeit einer Reform hat eine ganze Erst in den letzten zehn Jahren hat der Ruf nach Mündigkeit in einer <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0021" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/328755"/> <fw type="header" place="top"> Frankreichs Provinzen im Kampf gegen Paris</fw><lb/> <p xml:id="ID_23" prev="#ID_22"> der Hauptstadt verleiht, und auf diese Weise entfremdet sie die Kunst dem Volks-<lb/> tum, die Literatur dem bunten Leben; sie schadet den wirtschaftlichen Inder«<lb/> essen — denn sie häuft das Kapital an einem Orte an und bewirkt eine<lb/> unvorteilhafte Verteilung der Eisenbahnlinien, die ihren Knotenpunkt in Paris<lb/> haben; sie verhindert schließlich eine geeignete Vertretung der Provinz in der<lb/> Regierungshauptstadt.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> II.</head><lb/> <p xml:id="ID_24"> Die Überzeugung von der Notwendigkeit einer Reform hat eine ganze<lb/> Reihe von Staatsmännern des neunzehnten Jahrhunderts ergriffen. Mancher<lb/> wenn auch zaghafte Schritt zur Selbstverwaltung wurde auch von der Re-<lb/> gierung gewagt. Seit 1831 gehen die Mitglieder des con8sit municipal, seit<lb/> 1333 die Mitglieder des conseil ZLNvral und d'arronäissement ans direkter<lb/> Wahl der Bürgerschaft hervor; 1837 erhielt die Kommune die Rechte eines<lb/> minsur enianLios, und seit 1882 wird der maiie auch für die Hauptorte nicht<lb/> mehr vom Präsidenten ernannt, sondern von der Bürgerschaft gewählt. Bei<lb/> der Schaffung der dritten Republik machten sich innerhalb der ^38smblöö<lb/> Nationale im August 1871 dezentralistische Tendenzen bemerkbar, die zur<lb/> Bildung eines allerdings tatenlosen Lvmite as ctecentralisation führten. Als<lb/> in der Verworrenheit der ersten verfassungslosen Jahre der Graf von Chambord<lb/> noch als aussichtsreicher Kronprätendent auftreten konnte, hoffte er die Stimmung<lb/> des Landes dadurch mit für sich zu bceinflußen. daß er die Dezentralisation<lb/> auf sein politisches Programm setzte. Der Kampf in Flugschriften und Büchern<lb/> zeugt ebenso von der Verbreitung der Idee wie ihre Aufnahme in die Ziele<lb/> gemeinnütziger Vereine. Die ,^eure Trance", einer der jüngeren nationalen<lb/> Vereine, hat in ihrem Organisationsstatut folgenden Paragraphen (Z 6): „In<lb/> wirtschaftlicher Hinsicht will sie (die ^fünf t^ranLo) Dezentralisation in der<lb/> Verwaltung, die der Zentralisierung das weite Feld der Staatsinteressen läßt,<lb/> aber an allen Punkten des Landes Initiative und Eigenbetätigung der Bürger<lb/> entwickeln soll, um die Entfaltung und Pflege aller wahren Kräfte zu bewirken."<lb/> In den Kolonien ein gleiches Abhängigkeitsverhältnis wie in der Heimat zu<lb/> schaffen, war technisch unmöglich. Ihnen mußte man also etwas mehr Freiheit<lb/> lassen, wenn ihnen auch z. B. das Recht, selbständig Anleihen aufzunehmen,<lb/> versagt blieb. Daß man im Heimatlande bisher nur so wenig erreicht hat.<lb/> hat seinen Grund in politischen Verhältnissen, auf die ich gleich zu sprechen<lb/> komme.</p><lb/> <p xml:id="ID_25" next="#ID_26"> Erst in den letzten zehn Jahren hat der Ruf nach Mündigkeit in einer<lb/> zielbewußter Organisation eine Stütze gefunden. Diese Organisation ist der<lb/> Regionalismus. der in der Theorie noch über den Dezentralismus hinausgeht<lb/> und positive Antwort über das Wie einer notwendigen Reform geben will.<lb/> Er stellt dem bisherigen Verwaltungssystem die Forderung entgegen: bestimmte<lb/> Landstriche, in denen eine Bevölkerung von gleicher Rasse, gleichen Traditionen</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0021]
Frankreichs Provinzen im Kampf gegen Paris
der Hauptstadt verleiht, und auf diese Weise entfremdet sie die Kunst dem Volks-
tum, die Literatur dem bunten Leben; sie schadet den wirtschaftlichen Inder«
essen — denn sie häuft das Kapital an einem Orte an und bewirkt eine
unvorteilhafte Verteilung der Eisenbahnlinien, die ihren Knotenpunkt in Paris
haben; sie verhindert schließlich eine geeignete Vertretung der Provinz in der
Regierungshauptstadt.
II.
Die Überzeugung von der Notwendigkeit einer Reform hat eine ganze
Reihe von Staatsmännern des neunzehnten Jahrhunderts ergriffen. Mancher
wenn auch zaghafte Schritt zur Selbstverwaltung wurde auch von der Re-
gierung gewagt. Seit 1831 gehen die Mitglieder des con8sit municipal, seit
1333 die Mitglieder des conseil ZLNvral und d'arronäissement ans direkter
Wahl der Bürgerschaft hervor; 1837 erhielt die Kommune die Rechte eines
minsur enianLios, und seit 1882 wird der maiie auch für die Hauptorte nicht
mehr vom Präsidenten ernannt, sondern von der Bürgerschaft gewählt. Bei
der Schaffung der dritten Republik machten sich innerhalb der ^38smblöö
Nationale im August 1871 dezentralistische Tendenzen bemerkbar, die zur
Bildung eines allerdings tatenlosen Lvmite as ctecentralisation führten. Als
in der Verworrenheit der ersten verfassungslosen Jahre der Graf von Chambord
noch als aussichtsreicher Kronprätendent auftreten konnte, hoffte er die Stimmung
des Landes dadurch mit für sich zu bceinflußen. daß er die Dezentralisation
auf sein politisches Programm setzte. Der Kampf in Flugschriften und Büchern
zeugt ebenso von der Verbreitung der Idee wie ihre Aufnahme in die Ziele
gemeinnütziger Vereine. Die ,^eure Trance", einer der jüngeren nationalen
Vereine, hat in ihrem Organisationsstatut folgenden Paragraphen (Z 6): „In
wirtschaftlicher Hinsicht will sie (die ^fünf t^ranLo) Dezentralisation in der
Verwaltung, die der Zentralisierung das weite Feld der Staatsinteressen läßt,
aber an allen Punkten des Landes Initiative und Eigenbetätigung der Bürger
entwickeln soll, um die Entfaltung und Pflege aller wahren Kräfte zu bewirken."
In den Kolonien ein gleiches Abhängigkeitsverhältnis wie in der Heimat zu
schaffen, war technisch unmöglich. Ihnen mußte man also etwas mehr Freiheit
lassen, wenn ihnen auch z. B. das Recht, selbständig Anleihen aufzunehmen,
versagt blieb. Daß man im Heimatlande bisher nur so wenig erreicht hat.
hat seinen Grund in politischen Verhältnissen, auf die ich gleich zu sprechen
komme.
Erst in den letzten zehn Jahren hat der Ruf nach Mündigkeit in einer
zielbewußter Organisation eine Stütze gefunden. Diese Organisation ist der
Regionalismus. der in der Theorie noch über den Dezentralismus hinausgeht
und positive Antwort über das Wie einer notwendigen Reform geben will.
Er stellt dem bisherigen Verwaltungssystem die Forderung entgegen: bestimmte
Landstriche, in denen eine Bevölkerung von gleicher Rasse, gleichen Traditionen
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