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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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vom Baedeker und Kunstgenuß auf Reisen

sie sich durch das Reisehandbuch gängeln, sehen Multa, aber nicht Multum und
bringen auch von ihren Reisen nur ein banales, unpersönliches Allerweltswissen
mit nach Hause, von dem ihnen im Grunde nichts zum wirklichen Erlebnis
geworden ist. Denn zum Erlebnis wird uns nur das, was unserem innersten
Wesen homogen ist, von diesem aus innerem Bedürfnis heraus aufgenommen
und verarbeitet ist. Es geht im Geistigen wie im Körperlichen: Stoffe, auf
die wir keinen Appetit verspüren und die wir nicht verdauen können, sind nur
unnötiger Ballast und schaden der Gesundheit. So, wie sich unsere Reise¬
handbücher zu Kompendien der Kunstgeschichte entwickeln, verleiten sie in der
Tat viele Menschen zur Aufnahme von Material, das ihrem ganzen Wesen
nicht adäquat und darum wertlos, ja schädlich ist.




Ich hatte jüngst auf einer Spanienreise Gelegenheit in Fülle, diese Baedekcr-
kultur an lebenden Modellen zu studieren. Dabei ist Spanien noch nicht einmal
ein Fremdenland, nicht wie Italien oder die Schweiz überflutet von Leuten,
die dagewesen sein wollen. Aber vielleicht fällt darum der Baedekerreisende
doppelt unangenehm auf. weil dies Land noch nicht sich selber als Museum
oder ein großes Etablissement zur Fremdenausbeutung ansieht, wie andere
Gegenden. Die Kirchen wirken hier noch als Kirchen, man fühlt, sie sind
nicht Prunkräume und Ausstellungen von Kunst- und Luxusgegenständen, man
sieht, hier wird noch inbrünstig gebetet. Man fühlt hier auch, der Sombrero
und die Mcmtilla und andere Nationaltrachten werden nicht getragen, um von
den Fremden als urwüchsig, originell und volkstümlich bewundert zu werden,
man trägt sie nicht, weil es der Verkehrsverein unterstützt und Preise aussetzt
für das urwüchsichste und volkstümlichste Kostüm; hier in Spanien pfeift die
große Menge auf den Fremden, sieht ihn, ohne den Kopf nach ihm zu drehen,
durch die Straßen wandern und an alten Palästen läuten, die Baedeker
empfiehlt. Man lebt hier noch das eigene Leben, setzt es noch nicht als ein
im Hinblick auf Fremde arrangiertes Kostümfest oder Theater an. Am
deutlichsten empfindet man das in den Kirchen, diesen wundervollen, dämmer¬
dunklen, mystischen Räumen, die der Spanier seinem inbrünstigen, gine- und
früher so oft auch blutvollen Kultus erbaut hat. Wie verständnislos wirken
jene Fremden gerade in diesen Hallen, die sie bestaunen oder neugierig ab¬
suchen, und deren tiefsten Akkord sie niemals vernehmen.

Ich denke an einen Morgen im Dom von Sevilla. Ich war schon zu
früher Morgenstunde auf der Giralda, dem wunderbaren Glockenturm der
Kathedrale gewesen und hatte die spanischste der spanischen Städte von oben her
in all ihrer Lichtfülle gesehen. Dann war ich hinabgestiegen, hatte ein wenig
in dem stillen Orangenhof, der zur Kathedrale gehört, gerastet und darüber
nachgedacht, wie schade es sei. daß das Christentum nie daraus kam, die Natur
einzubeziehen in ihre kirchliche Architektur wie diese Mauren es taten, die ihren


vom Baedeker und Kunstgenuß auf Reisen

sie sich durch das Reisehandbuch gängeln, sehen Multa, aber nicht Multum und
bringen auch von ihren Reisen nur ein banales, unpersönliches Allerweltswissen
mit nach Hause, von dem ihnen im Grunde nichts zum wirklichen Erlebnis
geworden ist. Denn zum Erlebnis wird uns nur das, was unserem innersten
Wesen homogen ist, von diesem aus innerem Bedürfnis heraus aufgenommen
und verarbeitet ist. Es geht im Geistigen wie im Körperlichen: Stoffe, auf
die wir keinen Appetit verspüren und die wir nicht verdauen können, sind nur
unnötiger Ballast und schaden der Gesundheit. So, wie sich unsere Reise¬
handbücher zu Kompendien der Kunstgeschichte entwickeln, verleiten sie in der
Tat viele Menschen zur Aufnahme von Material, das ihrem ganzen Wesen
nicht adäquat und darum wertlos, ja schädlich ist.




Ich hatte jüngst auf einer Spanienreise Gelegenheit in Fülle, diese Baedekcr-
kultur an lebenden Modellen zu studieren. Dabei ist Spanien noch nicht einmal
ein Fremdenland, nicht wie Italien oder die Schweiz überflutet von Leuten,
die dagewesen sein wollen. Aber vielleicht fällt darum der Baedekerreisende
doppelt unangenehm auf. weil dies Land noch nicht sich selber als Museum
oder ein großes Etablissement zur Fremdenausbeutung ansieht, wie andere
Gegenden. Die Kirchen wirken hier noch als Kirchen, man fühlt, sie sind
nicht Prunkräume und Ausstellungen von Kunst- und Luxusgegenständen, man
sieht, hier wird noch inbrünstig gebetet. Man fühlt hier auch, der Sombrero
und die Mcmtilla und andere Nationaltrachten werden nicht getragen, um von
den Fremden als urwüchsig, originell und volkstümlich bewundert zu werden,
man trägt sie nicht, weil es der Verkehrsverein unterstützt und Preise aussetzt
für das urwüchsichste und volkstümlichste Kostüm; hier in Spanien pfeift die
große Menge auf den Fremden, sieht ihn, ohne den Kopf nach ihm zu drehen,
durch die Straßen wandern und an alten Palästen läuten, die Baedeker
empfiehlt. Man lebt hier noch das eigene Leben, setzt es noch nicht als ein
im Hinblick auf Fremde arrangiertes Kostümfest oder Theater an. Am
deutlichsten empfindet man das in den Kirchen, diesen wundervollen, dämmer¬
dunklen, mystischen Räumen, die der Spanier seinem inbrünstigen, gine- und
früher so oft auch blutvollen Kultus erbaut hat. Wie verständnislos wirken
jene Fremden gerade in diesen Hallen, die sie bestaunen oder neugierig ab¬
suchen, und deren tiefsten Akkord sie niemals vernehmen.

Ich denke an einen Morgen im Dom von Sevilla. Ich war schon zu
früher Morgenstunde auf der Giralda, dem wunderbaren Glockenturm der
Kathedrale gewesen und hatte die spanischste der spanischen Städte von oben her
in all ihrer Lichtfülle gesehen. Dann war ich hinabgestiegen, hatte ein wenig
in dem stillen Orangenhof, der zur Kathedrale gehört, gerastet und darüber
nachgedacht, wie schade es sei. daß das Christentum nie daraus kam, die Natur
einzubeziehen in ihre kirchliche Architektur wie diese Mauren es taten, die ihren


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[0196] vom Baedeker und Kunstgenuß auf Reisen sie sich durch das Reisehandbuch gängeln, sehen Multa, aber nicht Multum und bringen auch von ihren Reisen nur ein banales, unpersönliches Allerweltswissen mit nach Hause, von dem ihnen im Grunde nichts zum wirklichen Erlebnis geworden ist. Denn zum Erlebnis wird uns nur das, was unserem innersten Wesen homogen ist, von diesem aus innerem Bedürfnis heraus aufgenommen und verarbeitet ist. Es geht im Geistigen wie im Körperlichen: Stoffe, auf die wir keinen Appetit verspüren und die wir nicht verdauen können, sind nur unnötiger Ballast und schaden der Gesundheit. So, wie sich unsere Reise¬ handbücher zu Kompendien der Kunstgeschichte entwickeln, verleiten sie in der Tat viele Menschen zur Aufnahme von Material, das ihrem ganzen Wesen nicht adäquat und darum wertlos, ja schädlich ist. Ich hatte jüngst auf einer Spanienreise Gelegenheit in Fülle, diese Baedekcr- kultur an lebenden Modellen zu studieren. Dabei ist Spanien noch nicht einmal ein Fremdenland, nicht wie Italien oder die Schweiz überflutet von Leuten, die dagewesen sein wollen. Aber vielleicht fällt darum der Baedekerreisende doppelt unangenehm auf. weil dies Land noch nicht sich selber als Museum oder ein großes Etablissement zur Fremdenausbeutung ansieht, wie andere Gegenden. Die Kirchen wirken hier noch als Kirchen, man fühlt, sie sind nicht Prunkräume und Ausstellungen von Kunst- und Luxusgegenständen, man sieht, hier wird noch inbrünstig gebetet. Man fühlt hier auch, der Sombrero und die Mcmtilla und andere Nationaltrachten werden nicht getragen, um von den Fremden als urwüchsig, originell und volkstümlich bewundert zu werden, man trägt sie nicht, weil es der Verkehrsverein unterstützt und Preise aussetzt für das urwüchsichste und volkstümlichste Kostüm; hier in Spanien pfeift die große Menge auf den Fremden, sieht ihn, ohne den Kopf nach ihm zu drehen, durch die Straßen wandern und an alten Palästen läuten, die Baedeker empfiehlt. Man lebt hier noch das eigene Leben, setzt es noch nicht als ein im Hinblick auf Fremde arrangiertes Kostümfest oder Theater an. Am deutlichsten empfindet man das in den Kirchen, diesen wundervollen, dämmer¬ dunklen, mystischen Räumen, die der Spanier seinem inbrünstigen, gine- und früher so oft auch blutvollen Kultus erbaut hat. Wie verständnislos wirken jene Fremden gerade in diesen Hallen, die sie bestaunen oder neugierig ab¬ suchen, und deren tiefsten Akkord sie niemals vernehmen. Ich denke an einen Morgen im Dom von Sevilla. Ich war schon zu früher Morgenstunde auf der Giralda, dem wunderbaren Glockenturm der Kathedrale gewesen und hatte die spanischste der spanischen Städte von oben her in all ihrer Lichtfülle gesehen. Dann war ich hinabgestiegen, hatte ein wenig in dem stillen Orangenhof, der zur Kathedrale gehört, gerastet und darüber nachgedacht, wie schade es sei. daß das Christentum nie daraus kam, die Natur einzubeziehen in ihre kirchliche Architektur wie diese Mauren es taten, die ihren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/196>, abgerufen am 01.09.2024.