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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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vom Baedeker und Kunstgenuß auf Reisen

Kunstgelehrten, und schon erheben sich die neuesten Auflagen Baedekers zu der
imponierender Sachlichkeit und wissenschaftlichen Gründlichkeit von akademischen
Handbüchern und Nachschlagewerken. -- Eine grandiose Entwicklung! Fertig
geprägt findet man bei allen Bildern, die man gesehen haben muß, nicht nur
die sachliche Analyse, sondern auch die Werturteile und hat, wenn man sie sich
möglichst wörtlich zu eigen macht, die beruhigende Gewißheit, daß man einen
garantiert guten Geschmack vertritt, da nach Ausweis der Einleitung der Ver¬
fasser besagter Angaben Professor an der Universität Soundso und womöglich
Geheimer Regierungsrat ist.

Was ich vom Baedeker im allgemeinen gesagt habe, gilt im besonderen
z. B. vom Baedeker von Spanien und Portugal. Hier hat ein so aus¬
gezeichneter Gelehrter wie Carl Justi die kunsthistorische Einleitung und wohl
auch die sonstigen Angaben besorgt, und ohne jede Ironie kann man sich, ob
man Fachmann ist oder nicht, der Gediegenheit des kunsthistorischen Wissens
freuen, das man für 12 Mark neben den Stadtplänen und Angaben über
Hotels und Speisehüuser kauft.

Und dennoch kann man auch hier Skeptiker sein. Man kann fragen:
entspricht wirklich diese detaillierte Beschreibung aller kunstwissenschaftlicher Details
noch den Zwecken eines Reisehandbuches, das nicht nur für Kunstgelehrte, das
für alle Reisenden bestimmt ist? Zwar kann man antworten, wer zu sehr
Banause sei, um den Wert jener Angaben zu würdigen, der könne sie ja einfach
weglassenl Dann würden jene Angaben also nur eine unnötige Belastung für
die Mehrzahl der Reisenden darstellen. Aber man kann die Sache auch von
anderen Gesichtspunkten aus betrachten. Man muß bedenken, daß viele Reisende,
wenn sie ein Reisehandbuch benutzen, sich in sklavische Abhängigkeit davon begeben
und nur das sehen oder wenigstens zu sehen glauben, was dort vorgezeichnet
ist. Die Gefahr liegt nun darin, daß der wissenschaftlich gehobene Baedeker
dem Durchschnitt der Reisenden Dinge zumutet, denen der Bildungsgrad der
lodenbekleideten, mit Operngläsern bewaffneten Globetrotter nicht im geringsten
gewachsen ist, daß er infolgedessen eine unausstehliche Jnteresseheuchelei und
Scheinbildung großzieht und den Leuten den letzten Rest von selbständigem
Sehen und Beobachtung noch raubt, der ihnen in unserem beschulmeisterten
Dasein geblieben ist. Viele Leute gewöhnen sich, nur dem nachzulaufen, was
im Baedeker genannt, womöglich mit einem Stern versehen ist. Alles andere
scheint ihnen wenig oder gar nicht sehenswert. Baedeker aber betrachtet die
ganze Welt als ein großes Museum, eigens bereitet, um von Fremden mit
oder ohne.Brille bestaunt zu werden. Das mag für manche Dinge recht schön
sein, bedeutet aber im ganzen einen Verzicht auf alles Lebendige. Denn jedes
Museum ist mehr oder weniger eine Totenkammer, aus dem der Verständige
zwar die Züge des Lebens herausliest, die der Mehrzahl der Reisenden aber
niemals lebendig wird. Statt daß nun die Reisenden, aus Handwerks- und
Gewerbebanden befreit, die Welt mit unbefangenen Blicken anschauen, lassen


vom Baedeker und Kunstgenuß auf Reisen

Kunstgelehrten, und schon erheben sich die neuesten Auflagen Baedekers zu der
imponierender Sachlichkeit und wissenschaftlichen Gründlichkeit von akademischen
Handbüchern und Nachschlagewerken. — Eine grandiose Entwicklung! Fertig
geprägt findet man bei allen Bildern, die man gesehen haben muß, nicht nur
die sachliche Analyse, sondern auch die Werturteile und hat, wenn man sie sich
möglichst wörtlich zu eigen macht, die beruhigende Gewißheit, daß man einen
garantiert guten Geschmack vertritt, da nach Ausweis der Einleitung der Ver¬
fasser besagter Angaben Professor an der Universität Soundso und womöglich
Geheimer Regierungsrat ist.

Was ich vom Baedeker im allgemeinen gesagt habe, gilt im besonderen
z. B. vom Baedeker von Spanien und Portugal. Hier hat ein so aus¬
gezeichneter Gelehrter wie Carl Justi die kunsthistorische Einleitung und wohl
auch die sonstigen Angaben besorgt, und ohne jede Ironie kann man sich, ob
man Fachmann ist oder nicht, der Gediegenheit des kunsthistorischen Wissens
freuen, das man für 12 Mark neben den Stadtplänen und Angaben über
Hotels und Speisehüuser kauft.

Und dennoch kann man auch hier Skeptiker sein. Man kann fragen:
entspricht wirklich diese detaillierte Beschreibung aller kunstwissenschaftlicher Details
noch den Zwecken eines Reisehandbuches, das nicht nur für Kunstgelehrte, das
für alle Reisenden bestimmt ist? Zwar kann man antworten, wer zu sehr
Banause sei, um den Wert jener Angaben zu würdigen, der könne sie ja einfach
weglassenl Dann würden jene Angaben also nur eine unnötige Belastung für
die Mehrzahl der Reisenden darstellen. Aber man kann die Sache auch von
anderen Gesichtspunkten aus betrachten. Man muß bedenken, daß viele Reisende,
wenn sie ein Reisehandbuch benutzen, sich in sklavische Abhängigkeit davon begeben
und nur das sehen oder wenigstens zu sehen glauben, was dort vorgezeichnet
ist. Die Gefahr liegt nun darin, daß der wissenschaftlich gehobene Baedeker
dem Durchschnitt der Reisenden Dinge zumutet, denen der Bildungsgrad der
lodenbekleideten, mit Operngläsern bewaffneten Globetrotter nicht im geringsten
gewachsen ist, daß er infolgedessen eine unausstehliche Jnteresseheuchelei und
Scheinbildung großzieht und den Leuten den letzten Rest von selbständigem
Sehen und Beobachtung noch raubt, der ihnen in unserem beschulmeisterten
Dasein geblieben ist. Viele Leute gewöhnen sich, nur dem nachzulaufen, was
im Baedeker genannt, womöglich mit einem Stern versehen ist. Alles andere
scheint ihnen wenig oder gar nicht sehenswert. Baedeker aber betrachtet die
ganze Welt als ein großes Museum, eigens bereitet, um von Fremden mit
oder ohne.Brille bestaunt zu werden. Das mag für manche Dinge recht schön
sein, bedeutet aber im ganzen einen Verzicht auf alles Lebendige. Denn jedes
Museum ist mehr oder weniger eine Totenkammer, aus dem der Verständige
zwar die Züge des Lebens herausliest, die der Mehrzahl der Reisenden aber
niemals lebendig wird. Statt daß nun die Reisenden, aus Handwerks- und
Gewerbebanden befreit, die Welt mit unbefangenen Blicken anschauen, lassen


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[0195] vom Baedeker und Kunstgenuß auf Reisen Kunstgelehrten, und schon erheben sich die neuesten Auflagen Baedekers zu der imponierender Sachlichkeit und wissenschaftlichen Gründlichkeit von akademischen Handbüchern und Nachschlagewerken. — Eine grandiose Entwicklung! Fertig geprägt findet man bei allen Bildern, die man gesehen haben muß, nicht nur die sachliche Analyse, sondern auch die Werturteile und hat, wenn man sie sich möglichst wörtlich zu eigen macht, die beruhigende Gewißheit, daß man einen garantiert guten Geschmack vertritt, da nach Ausweis der Einleitung der Ver¬ fasser besagter Angaben Professor an der Universität Soundso und womöglich Geheimer Regierungsrat ist. Was ich vom Baedeker im allgemeinen gesagt habe, gilt im besonderen z. B. vom Baedeker von Spanien und Portugal. Hier hat ein so aus¬ gezeichneter Gelehrter wie Carl Justi die kunsthistorische Einleitung und wohl auch die sonstigen Angaben besorgt, und ohne jede Ironie kann man sich, ob man Fachmann ist oder nicht, der Gediegenheit des kunsthistorischen Wissens freuen, das man für 12 Mark neben den Stadtplänen und Angaben über Hotels und Speisehüuser kauft. Und dennoch kann man auch hier Skeptiker sein. Man kann fragen: entspricht wirklich diese detaillierte Beschreibung aller kunstwissenschaftlicher Details noch den Zwecken eines Reisehandbuches, das nicht nur für Kunstgelehrte, das für alle Reisenden bestimmt ist? Zwar kann man antworten, wer zu sehr Banause sei, um den Wert jener Angaben zu würdigen, der könne sie ja einfach weglassenl Dann würden jene Angaben also nur eine unnötige Belastung für die Mehrzahl der Reisenden darstellen. Aber man kann die Sache auch von anderen Gesichtspunkten aus betrachten. Man muß bedenken, daß viele Reisende, wenn sie ein Reisehandbuch benutzen, sich in sklavische Abhängigkeit davon begeben und nur das sehen oder wenigstens zu sehen glauben, was dort vorgezeichnet ist. Die Gefahr liegt nun darin, daß der wissenschaftlich gehobene Baedeker dem Durchschnitt der Reisenden Dinge zumutet, denen der Bildungsgrad der lodenbekleideten, mit Operngläsern bewaffneten Globetrotter nicht im geringsten gewachsen ist, daß er infolgedessen eine unausstehliche Jnteresseheuchelei und Scheinbildung großzieht und den Leuten den letzten Rest von selbständigem Sehen und Beobachtung noch raubt, der ihnen in unserem beschulmeisterten Dasein geblieben ist. Viele Leute gewöhnen sich, nur dem nachzulaufen, was im Baedeker genannt, womöglich mit einem Stern versehen ist. Alles andere scheint ihnen wenig oder gar nicht sehenswert. Baedeker aber betrachtet die ganze Welt als ein großes Museum, eigens bereitet, um von Fremden mit oder ohne.Brille bestaunt zu werden. Das mag für manche Dinge recht schön sein, bedeutet aber im ganzen einen Verzicht auf alles Lebendige. Denn jedes Museum ist mehr oder weniger eine Totenkammer, aus dem der Verständige zwar die Züge des Lebens herausliest, die der Mehrzahl der Reisenden aber niemals lebendig wird. Statt daß nun die Reisenden, aus Handwerks- und Gewerbebanden befreit, die Welt mit unbefangenen Blicken anschauen, lassen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/195>, abgerufen am 01.09.2024.