Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Herbert George Wells

etwas Überraschendes, etwas mit meinem Ehrbegriff im Widerstand Stehendes.
Zögernd und spät und nach manchem Mißerfolg erst schätzte ich die Kraft und
Schönheit der Liebe zwischen Mann und Weib und erfuhr, wie aus ihr eine
wehrfeste Anschauung der Weltordnung erstehen kann. Die Liebe hat mich zum
Scheitern gebracht, weil meine Laufbahn ohne Rücksicht auf jene Möglichkeit
und deren Wert geplant war. Mcichiavelli aber, so deucht mir nun, ließ beim
Betreten seines Studierzimmers nicht nur die lebendige Erde draußen, sondern
auch ihre Seele, von der er nichts ahnte . . ."

Eine leise Befremdung will den deutschen Leser angesichts solcher Bekennt¬
nisse befallen. Um sie ganz zu verstehen, muß man wohl im Auge behalten,
daß die englische Literatur von heute jegliche scharfe Beleuchtung der Geschlechts¬
beziehungen noch ebenso meidet, wie es die frühoikiorianische getan hat. Es ist
ein stillschweigendes Übereinkommen des guten Tons, an so gefährliche Dinge
nicht zu rühren, und die Psychologen unter den Dichtern wie Hardy. Meredith,
die das volle Menschentum in ihrer Darstellung erschöpfen wollen, bedienen sich
bei diesen Fragen eines eigenen, den Sinn mehr verhüllenden als klar beleuchtenden
Stils, der den nur Neugierigen schreckt und den tiefer Denkenden anzieht. Doch
dieses Verfahren widerspricht zu sehr der analytischen Klarheit von Wells Denk¬
weise, die sich auch äußerlich seinem Stil aufprägt. Und sobald einmal die
bedeutsame Frage: "Wie steht es um die zukünftige Entwicklung der Beziehungen
zwischen Mann und Weib?" in ihm aufgetaucht ist, sucht er sie auch furchtlos
von allen Seiten zu beleuchten, ohne freilich zu einem voll befriedigenden Er¬
gebnis gekommen zu sein. Denn wiewohl der Psychologe in Wells während
der Darstellung des eigentlichen Konflikts nur das allen logischen Erörterungen
fremde Leben der Leidenschaft mit den beiden Trägern der Handlung lebt, so
dämmert doch in der darauffolgenden Stille stets die Frage nach dem "Warum?"
-- analog dem Erleben der eigenen Persönlichkeit. Bei Wells wird eine Ab¬
rechnung daraus. In "'l'oro-KunZ^" führt den Helden eine Schicksalsfügung
zu der Geliebten der Kindheit, nachdem sich seine Ehe als ein Irrtum erwiesen
hat und geschieden ist. Und in der rasch wieder erwachten Leidenschaft zu der
jungen Aristokratin erfährt er, daß einzig in dieser Verbindung seines Liebes¬
lebens Erfüllung liegt. Aber Beatrice kann ihm nicht als Lebensgefährtin
folgen; sie hat sich, um auf den gewohnten Luxus nicht verzichten zu müssen,
einem alternden Standesgenossen hingegeben und hat nicht die Kraft, diese
Beziehungen zu lösen, besonders da ihr, nach dem Zusammenbruch des Tono-
Bungay-Schwindels, ein Leben voll Kampf und Entbehrung bevorstehen würde.
Hier also ist es das Weib, das gewogen und zu leicht befunden wird.

Im "I^hev NÄLliiavelli" wird als Trägerin der Schuld die verdammende
Gesellschaft bezeichnet, die zwei starke Menschen verfehmt, weil ihre Neigung sie
zueinander zwingt gegen Gesetz und Sitte, und weil sie zu stolz sind, sich
heimlich anzugehören. Was Wells bei dieser Gelegenheit über die Verächtlichkeit
,der lichtscheuen Sünder sagt, die vom Richterspruch frei bleiben, sofern sie nur


Herbert George Wells

etwas Überraschendes, etwas mit meinem Ehrbegriff im Widerstand Stehendes.
Zögernd und spät und nach manchem Mißerfolg erst schätzte ich die Kraft und
Schönheit der Liebe zwischen Mann und Weib und erfuhr, wie aus ihr eine
wehrfeste Anschauung der Weltordnung erstehen kann. Die Liebe hat mich zum
Scheitern gebracht, weil meine Laufbahn ohne Rücksicht auf jene Möglichkeit
und deren Wert geplant war. Mcichiavelli aber, so deucht mir nun, ließ beim
Betreten seines Studierzimmers nicht nur die lebendige Erde draußen, sondern
auch ihre Seele, von der er nichts ahnte . . ."

Eine leise Befremdung will den deutschen Leser angesichts solcher Bekennt¬
nisse befallen. Um sie ganz zu verstehen, muß man wohl im Auge behalten,
daß die englische Literatur von heute jegliche scharfe Beleuchtung der Geschlechts¬
beziehungen noch ebenso meidet, wie es die frühoikiorianische getan hat. Es ist
ein stillschweigendes Übereinkommen des guten Tons, an so gefährliche Dinge
nicht zu rühren, und die Psychologen unter den Dichtern wie Hardy. Meredith,
die das volle Menschentum in ihrer Darstellung erschöpfen wollen, bedienen sich
bei diesen Fragen eines eigenen, den Sinn mehr verhüllenden als klar beleuchtenden
Stils, der den nur Neugierigen schreckt und den tiefer Denkenden anzieht. Doch
dieses Verfahren widerspricht zu sehr der analytischen Klarheit von Wells Denk¬
weise, die sich auch äußerlich seinem Stil aufprägt. Und sobald einmal die
bedeutsame Frage: „Wie steht es um die zukünftige Entwicklung der Beziehungen
zwischen Mann und Weib?" in ihm aufgetaucht ist, sucht er sie auch furchtlos
von allen Seiten zu beleuchten, ohne freilich zu einem voll befriedigenden Er¬
gebnis gekommen zu sein. Denn wiewohl der Psychologe in Wells während
der Darstellung des eigentlichen Konflikts nur das allen logischen Erörterungen
fremde Leben der Leidenschaft mit den beiden Trägern der Handlung lebt, so
dämmert doch in der darauffolgenden Stille stets die Frage nach dem „Warum?"
— analog dem Erleben der eigenen Persönlichkeit. Bei Wells wird eine Ab¬
rechnung daraus. In „'l'oro-KunZ^" führt den Helden eine Schicksalsfügung
zu der Geliebten der Kindheit, nachdem sich seine Ehe als ein Irrtum erwiesen
hat und geschieden ist. Und in der rasch wieder erwachten Leidenschaft zu der
jungen Aristokratin erfährt er, daß einzig in dieser Verbindung seines Liebes¬
lebens Erfüllung liegt. Aber Beatrice kann ihm nicht als Lebensgefährtin
folgen; sie hat sich, um auf den gewohnten Luxus nicht verzichten zu müssen,
einem alternden Standesgenossen hingegeben und hat nicht die Kraft, diese
Beziehungen zu lösen, besonders da ihr, nach dem Zusammenbruch des Tono-
Bungay-Schwindels, ein Leben voll Kampf und Entbehrung bevorstehen würde.
Hier also ist es das Weib, das gewogen und zu leicht befunden wird.

Im „I^hev NÄLliiavelli" wird als Trägerin der Schuld die verdammende
Gesellschaft bezeichnet, die zwei starke Menschen verfehmt, weil ihre Neigung sie
zueinander zwingt gegen Gesetz und Sitte, und weil sie zu stolz sind, sich
heimlich anzugehören. Was Wells bei dieser Gelegenheit über die Verächtlichkeit
,der lichtscheuen Sünder sagt, die vom Richterspruch frei bleiben, sofern sie nur


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0192" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/328926"/>
          <fw type="header" place="top"> Herbert George Wells</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_606" prev="#ID_605"> etwas Überraschendes, etwas mit meinem Ehrbegriff im Widerstand Stehendes.<lb/>
Zögernd und spät und nach manchem Mißerfolg erst schätzte ich die Kraft und<lb/>
Schönheit der Liebe zwischen Mann und Weib und erfuhr, wie aus ihr eine<lb/>
wehrfeste Anschauung der Weltordnung erstehen kann. Die Liebe hat mich zum<lb/>
Scheitern gebracht, weil meine Laufbahn ohne Rücksicht auf jene Möglichkeit<lb/>
und deren Wert geplant war. Mcichiavelli aber, so deucht mir nun, ließ beim<lb/>
Betreten seines Studierzimmers nicht nur die lebendige Erde draußen, sondern<lb/>
auch ihre Seele, von der er nichts ahnte . . ."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_607"> Eine leise Befremdung will den deutschen Leser angesichts solcher Bekennt¬<lb/>
nisse befallen. Um sie ganz zu verstehen, muß man wohl im Auge behalten,<lb/>
daß die englische Literatur von heute jegliche scharfe Beleuchtung der Geschlechts¬<lb/>
beziehungen noch ebenso meidet, wie es die frühoikiorianische getan hat. Es ist<lb/>
ein stillschweigendes Übereinkommen des guten Tons, an so gefährliche Dinge<lb/>
nicht zu rühren, und die Psychologen unter den Dichtern wie Hardy. Meredith,<lb/>
die das volle Menschentum in ihrer Darstellung erschöpfen wollen, bedienen sich<lb/>
bei diesen Fragen eines eigenen, den Sinn mehr verhüllenden als klar beleuchtenden<lb/>
Stils, der den nur Neugierigen schreckt und den tiefer Denkenden anzieht. Doch<lb/>
dieses Verfahren widerspricht zu sehr der analytischen Klarheit von Wells Denk¬<lb/>
weise, die sich auch äußerlich seinem Stil aufprägt. Und sobald einmal die<lb/>
bedeutsame Frage: &#x201E;Wie steht es um die zukünftige Entwicklung der Beziehungen<lb/>
zwischen Mann und Weib?" in ihm aufgetaucht ist, sucht er sie auch furchtlos<lb/>
von allen Seiten zu beleuchten, ohne freilich zu einem voll befriedigenden Er¬<lb/>
gebnis gekommen zu sein. Denn wiewohl der Psychologe in Wells während<lb/>
der Darstellung des eigentlichen Konflikts nur das allen logischen Erörterungen<lb/>
fremde Leben der Leidenschaft mit den beiden Trägern der Handlung lebt, so<lb/>
dämmert doch in der darauffolgenden Stille stets die Frage nach dem &#x201E;Warum?"<lb/>
&#x2014; analog dem Erleben der eigenen Persönlichkeit. Bei Wells wird eine Ab¬<lb/>
rechnung daraus. In &#x201E;'l'oro-KunZ^" führt den Helden eine Schicksalsfügung<lb/>
zu der Geliebten der Kindheit, nachdem sich seine Ehe als ein Irrtum erwiesen<lb/>
hat und geschieden ist. Und in der rasch wieder erwachten Leidenschaft zu der<lb/>
jungen Aristokratin erfährt er, daß einzig in dieser Verbindung seines Liebes¬<lb/>
lebens Erfüllung liegt. Aber Beatrice kann ihm nicht als Lebensgefährtin<lb/>
folgen; sie hat sich, um auf den gewohnten Luxus nicht verzichten zu müssen,<lb/>
einem alternden Standesgenossen hingegeben und hat nicht die Kraft, diese<lb/>
Beziehungen zu lösen, besonders da ihr, nach dem Zusammenbruch des Tono-<lb/>
Bungay-Schwindels, ein Leben voll Kampf und Entbehrung bevorstehen würde.<lb/>
Hier also ist es das Weib, das gewogen und zu leicht befunden wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_608" next="#ID_609"> Im &#x201E;I^hev NÄLliiavelli" wird als Trägerin der Schuld die verdammende<lb/>
Gesellschaft bezeichnet, die zwei starke Menschen verfehmt, weil ihre Neigung sie<lb/>
zueinander zwingt gegen Gesetz und Sitte, und weil sie zu stolz sind, sich<lb/>
heimlich anzugehören. Was Wells bei dieser Gelegenheit über die Verächtlichkeit<lb/>
,der lichtscheuen Sünder sagt, die vom Richterspruch frei bleiben, sofern sie nur</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0192] Herbert George Wells etwas Überraschendes, etwas mit meinem Ehrbegriff im Widerstand Stehendes. Zögernd und spät und nach manchem Mißerfolg erst schätzte ich die Kraft und Schönheit der Liebe zwischen Mann und Weib und erfuhr, wie aus ihr eine wehrfeste Anschauung der Weltordnung erstehen kann. Die Liebe hat mich zum Scheitern gebracht, weil meine Laufbahn ohne Rücksicht auf jene Möglichkeit und deren Wert geplant war. Mcichiavelli aber, so deucht mir nun, ließ beim Betreten seines Studierzimmers nicht nur die lebendige Erde draußen, sondern auch ihre Seele, von der er nichts ahnte . . ." Eine leise Befremdung will den deutschen Leser angesichts solcher Bekennt¬ nisse befallen. Um sie ganz zu verstehen, muß man wohl im Auge behalten, daß die englische Literatur von heute jegliche scharfe Beleuchtung der Geschlechts¬ beziehungen noch ebenso meidet, wie es die frühoikiorianische getan hat. Es ist ein stillschweigendes Übereinkommen des guten Tons, an so gefährliche Dinge nicht zu rühren, und die Psychologen unter den Dichtern wie Hardy. Meredith, die das volle Menschentum in ihrer Darstellung erschöpfen wollen, bedienen sich bei diesen Fragen eines eigenen, den Sinn mehr verhüllenden als klar beleuchtenden Stils, der den nur Neugierigen schreckt und den tiefer Denkenden anzieht. Doch dieses Verfahren widerspricht zu sehr der analytischen Klarheit von Wells Denk¬ weise, die sich auch äußerlich seinem Stil aufprägt. Und sobald einmal die bedeutsame Frage: „Wie steht es um die zukünftige Entwicklung der Beziehungen zwischen Mann und Weib?" in ihm aufgetaucht ist, sucht er sie auch furchtlos von allen Seiten zu beleuchten, ohne freilich zu einem voll befriedigenden Er¬ gebnis gekommen zu sein. Denn wiewohl der Psychologe in Wells während der Darstellung des eigentlichen Konflikts nur das allen logischen Erörterungen fremde Leben der Leidenschaft mit den beiden Trägern der Handlung lebt, so dämmert doch in der darauffolgenden Stille stets die Frage nach dem „Warum?" — analog dem Erleben der eigenen Persönlichkeit. Bei Wells wird eine Ab¬ rechnung daraus. In „'l'oro-KunZ^" führt den Helden eine Schicksalsfügung zu der Geliebten der Kindheit, nachdem sich seine Ehe als ein Irrtum erwiesen hat und geschieden ist. Und in der rasch wieder erwachten Leidenschaft zu der jungen Aristokratin erfährt er, daß einzig in dieser Verbindung seines Liebes¬ lebens Erfüllung liegt. Aber Beatrice kann ihm nicht als Lebensgefährtin folgen; sie hat sich, um auf den gewohnten Luxus nicht verzichten zu müssen, einem alternden Standesgenossen hingegeben und hat nicht die Kraft, diese Beziehungen zu lösen, besonders da ihr, nach dem Zusammenbruch des Tono- Bungay-Schwindels, ein Leben voll Kampf und Entbehrung bevorstehen würde. Hier also ist es das Weib, das gewogen und zu leicht befunden wird. Im „I^hev NÄLliiavelli" wird als Trägerin der Schuld die verdammende Gesellschaft bezeichnet, die zwei starke Menschen verfehmt, weil ihre Neigung sie zueinander zwingt gegen Gesetz und Sitte, und weil sie zu stolz sind, sich heimlich anzugehören. Was Wells bei dieser Gelegenheit über die Verächtlichkeit ,der lichtscheuen Sünder sagt, die vom Richterspruch frei bleiben, sofern sie nur

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/192
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/192>, abgerufen am 01.09.2024.