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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Herbert George lvells

"Romantik" in ironischen Gänsefüßchen zu denken ist. Wells kommentiert hierzu:
"Das Plakatwesen hat eine Revolution in Handel und Industrie herbeigeführt;
es ist im Begriff, die ganze Welt umzuwälzen. Der Kaufmann von ehedem
pflegte sich mit Annehmlichkeiten zu plagen; der moderne schafft Werte. Er
braucht sich nicht zu plagen. Er nimmt einfach etwas Wertloses -- oder
beinahe Wertloses und macht etwas Wertvolles daraus. Zum Beispiel nimmt
er Senf -- so ganz alltäglichen Senf. Und dann fängt er an zu reden, zu
schreien und zu singen: "Smiths Senf der beste." Er schmiert das mit Kreide
an die Wände und schreibt es den Leuten in die Bücher, kurzum -- der Satz
erscheint überall. Und siehe da. der Senf ist der beste!"

Das Zitat ist aus dem kürzlich auch in das Deutsche übersetzten Roman
"^vno-LunM^", der in fesselnd humoristischer Art den Werdegang eines gleich¬
namigen Neklamepräparats erzählt, eines jener Lebenselixiere, in deren Her¬
stellung die moderne Chemie ihren Ehrgeiz findet. Wiederum zeigen die
handelnden Personen, daß der Dichter, der sie erstehen ließ, in immer innigere
Fühlung mit dem Leben kommt. Schon wagt er auch die weibliche Psyche,
ein von ihm bisher nur scheu betretenes Seelenland, zu charakterisieren, wenn¬
gleich in den drei Frauengestalten dieses Romanes nur die Resultate des
inneren Erlebnisses, nicht die Entwicklung, gegeben werden.

Allerlei verstreute Bekenntnisse weisen darauf hin, daß den Dichter tat¬
sächlich die Scheu vor unbekannten und, einmal gerufen, nicht wieder zu
bannender Mächten zurückgehalten hat. "Der Traum der Staatenbaukunst geht
auf die Anfänge der Weltgeschichte zurück", sagt er im "neuen Machiavelli",
"doch hat er in Romanen eine zu geringfügige Rolle gespielt." Wells' erste
Romane sind ja nun nichts anderes als solche dichterischen Versuche einer
"Staatenbaukunst"; sie sind es ganz im Sinne der alten Welt, die Wohnungen
des Geistes f^se ausschließlich nach dem Gedanken- und Gefühls Maßstab der
Männer einrichtete und es der anderen Hälfte der Menschheit überließ, sich nach
besten Kräften mit dem Fertigen abzufinden. Im ,Mxv Maeliiavelli" sieht sich
nun ein organisatorisches Genie zum ersten Male der andern Macht gegenüber,
die ihm im vollen Waffenschmuck einer großen Leidenschaft naht. Der Roman
ist als Lebensbeichte eines Mannes gedacht, der, wie Machiavell. "den Gedanken
an das Weib gleich seinen bestaubten Kleidern draußen ließ, wenn er in sein
Studierzimmer schreiben ging. Doch unsere moderne Welt ist mit der Ahnung
der gewaltigen, erst halb zum Ausdruck kommenden Bedeutung der Frauen
belastet. Sie stehen nun gleichsam unter den silbernen Leuchtern und reden,
während Machiavelli schreibt, bis er die Feder hinlegt und sein Thema mit
ihnen diskutiert ... Diese allmähliche Entdeckung der Beziehungen der Ge¬
schlechter als ein Ding von kollektiver Tragweite habe ich mit meinem Staals-
entwicklungsgedanken zu mischen. Die langsame Verwirklichung jener Bedeutung,
die sich draußen in der Welt vollzieht, hat ihre genaue Parallele in meinem
eigenen Leben. Ich habe zuerst die Frauen ignoriert; sie kamen zu mir als


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Herbert George lvells

„Romantik" in ironischen Gänsefüßchen zu denken ist. Wells kommentiert hierzu:
„Das Plakatwesen hat eine Revolution in Handel und Industrie herbeigeführt;
es ist im Begriff, die ganze Welt umzuwälzen. Der Kaufmann von ehedem
pflegte sich mit Annehmlichkeiten zu plagen; der moderne schafft Werte. Er
braucht sich nicht zu plagen. Er nimmt einfach etwas Wertloses — oder
beinahe Wertloses und macht etwas Wertvolles daraus. Zum Beispiel nimmt
er Senf — so ganz alltäglichen Senf. Und dann fängt er an zu reden, zu
schreien und zu singen: „Smiths Senf der beste." Er schmiert das mit Kreide
an die Wände und schreibt es den Leuten in die Bücher, kurzum — der Satz
erscheint überall. Und siehe da. der Senf ist der beste!"

Das Zitat ist aus dem kürzlich auch in das Deutsche übersetzten Roman
»^vno-LunM^«, der in fesselnd humoristischer Art den Werdegang eines gleich¬
namigen Neklamepräparats erzählt, eines jener Lebenselixiere, in deren Her¬
stellung die moderne Chemie ihren Ehrgeiz findet. Wiederum zeigen die
handelnden Personen, daß der Dichter, der sie erstehen ließ, in immer innigere
Fühlung mit dem Leben kommt. Schon wagt er auch die weibliche Psyche,
ein von ihm bisher nur scheu betretenes Seelenland, zu charakterisieren, wenn¬
gleich in den drei Frauengestalten dieses Romanes nur die Resultate des
inneren Erlebnisses, nicht die Entwicklung, gegeben werden.

Allerlei verstreute Bekenntnisse weisen darauf hin, daß den Dichter tat¬
sächlich die Scheu vor unbekannten und, einmal gerufen, nicht wieder zu
bannender Mächten zurückgehalten hat. „Der Traum der Staatenbaukunst geht
auf die Anfänge der Weltgeschichte zurück", sagt er im „neuen Machiavelli",
„doch hat er in Romanen eine zu geringfügige Rolle gespielt." Wells' erste
Romane sind ja nun nichts anderes als solche dichterischen Versuche einer
„Staatenbaukunst"; sie sind es ganz im Sinne der alten Welt, die Wohnungen
des Geistes f^se ausschließlich nach dem Gedanken- und Gefühls Maßstab der
Männer einrichtete und es der anderen Hälfte der Menschheit überließ, sich nach
besten Kräften mit dem Fertigen abzufinden. Im ,Mxv Maeliiavelli" sieht sich
nun ein organisatorisches Genie zum ersten Male der andern Macht gegenüber,
die ihm im vollen Waffenschmuck einer großen Leidenschaft naht. Der Roman
ist als Lebensbeichte eines Mannes gedacht, der, wie Machiavell. „den Gedanken
an das Weib gleich seinen bestaubten Kleidern draußen ließ, wenn er in sein
Studierzimmer schreiben ging. Doch unsere moderne Welt ist mit der Ahnung
der gewaltigen, erst halb zum Ausdruck kommenden Bedeutung der Frauen
belastet. Sie stehen nun gleichsam unter den silbernen Leuchtern und reden,
während Machiavelli schreibt, bis er die Feder hinlegt und sein Thema mit
ihnen diskutiert ... Diese allmähliche Entdeckung der Beziehungen der Ge¬
schlechter als ein Ding von kollektiver Tragweite habe ich mit meinem Staals-
entwicklungsgedanken zu mischen. Die langsame Verwirklichung jener Bedeutung,
die sich draußen in der Welt vollzieht, hat ihre genaue Parallele in meinem
eigenen Leben. Ich habe zuerst die Frauen ignoriert; sie kamen zu mir als


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[0191] Herbert George lvells „Romantik" in ironischen Gänsefüßchen zu denken ist. Wells kommentiert hierzu: „Das Plakatwesen hat eine Revolution in Handel und Industrie herbeigeführt; es ist im Begriff, die ganze Welt umzuwälzen. Der Kaufmann von ehedem pflegte sich mit Annehmlichkeiten zu plagen; der moderne schafft Werte. Er braucht sich nicht zu plagen. Er nimmt einfach etwas Wertloses — oder beinahe Wertloses und macht etwas Wertvolles daraus. Zum Beispiel nimmt er Senf — so ganz alltäglichen Senf. Und dann fängt er an zu reden, zu schreien und zu singen: „Smiths Senf der beste." Er schmiert das mit Kreide an die Wände und schreibt es den Leuten in die Bücher, kurzum — der Satz erscheint überall. Und siehe da. der Senf ist der beste!" Das Zitat ist aus dem kürzlich auch in das Deutsche übersetzten Roman »^vno-LunM^«, der in fesselnd humoristischer Art den Werdegang eines gleich¬ namigen Neklamepräparats erzählt, eines jener Lebenselixiere, in deren Her¬ stellung die moderne Chemie ihren Ehrgeiz findet. Wiederum zeigen die handelnden Personen, daß der Dichter, der sie erstehen ließ, in immer innigere Fühlung mit dem Leben kommt. Schon wagt er auch die weibliche Psyche, ein von ihm bisher nur scheu betretenes Seelenland, zu charakterisieren, wenn¬ gleich in den drei Frauengestalten dieses Romanes nur die Resultate des inneren Erlebnisses, nicht die Entwicklung, gegeben werden. Allerlei verstreute Bekenntnisse weisen darauf hin, daß den Dichter tat¬ sächlich die Scheu vor unbekannten und, einmal gerufen, nicht wieder zu bannender Mächten zurückgehalten hat. „Der Traum der Staatenbaukunst geht auf die Anfänge der Weltgeschichte zurück", sagt er im „neuen Machiavelli", „doch hat er in Romanen eine zu geringfügige Rolle gespielt." Wells' erste Romane sind ja nun nichts anderes als solche dichterischen Versuche einer „Staatenbaukunst"; sie sind es ganz im Sinne der alten Welt, die Wohnungen des Geistes f^se ausschließlich nach dem Gedanken- und Gefühls Maßstab der Männer einrichtete und es der anderen Hälfte der Menschheit überließ, sich nach besten Kräften mit dem Fertigen abzufinden. Im ,Mxv Maeliiavelli" sieht sich nun ein organisatorisches Genie zum ersten Male der andern Macht gegenüber, die ihm im vollen Waffenschmuck einer großen Leidenschaft naht. Der Roman ist als Lebensbeichte eines Mannes gedacht, der, wie Machiavell. „den Gedanken an das Weib gleich seinen bestaubten Kleidern draußen ließ, wenn er in sein Studierzimmer schreiben ging. Doch unsere moderne Welt ist mit der Ahnung der gewaltigen, erst halb zum Ausdruck kommenden Bedeutung der Frauen belastet. Sie stehen nun gleichsam unter den silbernen Leuchtern und reden, während Machiavelli schreibt, bis er die Feder hinlegt und sein Thema mit ihnen diskutiert ... Diese allmähliche Entdeckung der Beziehungen der Ge¬ schlechter als ein Ding von kollektiver Tragweite habe ich mit meinem Staals- entwicklungsgedanken zu mischen. Die langsame Verwirklichung jener Bedeutung, die sich draußen in der Welt vollzieht, hat ihre genaue Parallele in meinem eigenen Leben. Ich habe zuerst die Frauen ignoriert; sie kamen zu mir als 12*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/191>, abgerufen am 01.09.2024.