Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.von der künstlerischen Aufgabe in der Wissenschaft der Wissenschaft gestellt sind. Glänzende Beispiele ihrer Lösung sind zur Genüge Aber weit über diese im Gesamwerlauf der Geistesgeschichte vielleicht minder Diese auf Grund des jeweiligen Standes der Wissenschaft subjektiv ge" Gerade die großen Weltanschauungssysteme find ja in erster Linie als Hier nun liegt, wie ich meine, letzter Zweck und Wert unserer wissenschaft¬ von der künstlerischen Aufgabe in der Wissenschaft der Wissenschaft gestellt sind. Glänzende Beispiele ihrer Lösung sind zur Genüge Aber weit über diese im Gesamwerlauf der Geistesgeschichte vielleicht minder Diese auf Grund des jeweiligen Standes der Wissenschaft subjektiv ge» Gerade die großen Weltanschauungssysteme find ja in erster Linie als Hier nun liegt, wie ich meine, letzter Zweck und Wert unserer wissenschaft¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0181" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/328915"/> <fw type="header" place="top"> von der künstlerischen Aufgabe in der Wissenschaft</fw><lb/> <p xml:id="ID_564" prev="#ID_563"> der Wissenschaft gestellt sind. Glänzende Beispiele ihrer Lösung sind zur Genüge<lb/> bekannt.</p><lb/> <p xml:id="ID_565"> Aber weit über diese im Gesamwerlauf der Geistesgeschichte vielleicht minder<lb/> wesentlichen, weil von mehr persönlichen Bedingtheiten abhängigen Erscheinungen<lb/> führt eine andere Erwägung. Wozu häufen wir denn eigentlich wissenschaftliche<lb/> Kenntnisse an? Sind sie nur ein Spiel des Intellekts? Ist ihre Kapitali¬<lb/> sierung Selbstzweck? Heute sieht es oft so aus. Und doch sagt schon Demokrit:<lb/> „Nicht nach Fülle des Wissens soll man streben, sondern nach Fülle des Ver¬<lb/> standes." Aus den Kenntnissen wächst die Erkenntnis, das wollen wir doch<lb/> nicht vergessen. Auch da, wo wir der Grenzen des gegenwärtigen Erkenntnis¬<lb/> standes innewerden, oder wo wir die Grenzen der überhaupt möglichen Erkenntnis<lb/> erfühlen, verzichten wir, von einem inneren Bedürfnis getrieben, nicht auf ein<lb/> vollständiges Bild des Weltganzen und des Weltgeschehens, sondern wir bereiten<lb/> uns, und zwar jeder ganz persönlich, eine Weltanschauung. Hierbei bilden die<lb/> Ergebnisse der Wissenschaft einen wesentlichen Teil des objektiven Materials<lb/> — neben den durch Geburt, Umwelt und Erleben dargebotenen Beständen. Das<lb/> Formprinzip bei dem Bau der Gesamtanschauung dagegen ist ein subjektives<lb/> und gehört als solches — bei aller zeitgeschichtlichen Bestimmtheit — nur dem<lb/> Individuum an.</p><lb/> <p xml:id="ID_566"> Diese auf Grund des jeweiligen Standes der Wissenschaft subjektiv ge»<lb/> stalteten Gesamtanschauungen sind doch jedenfalls in nicht geringerem Maße<lb/> als die Kunstwerke dazu bestimmt, „das wechselnde innere Leben der Zeit aus-<lb/> zukristallisieren," nur daß sie das nicht in der symbolisch abgekürzten und objektiv<lb/> greifbaren Form des Bildes tun, sondern in der Sphäre des Inneren, sei es<lb/> im vollen Lichte des Bewußtseins, sei es auch im halbbewußten gefühlsmäßigen<lb/> Leben. Hier liegt also die künstlerische Tätigkeit des Menschen in der Aus¬<lb/> gestaltung seines Innern als eines in sich die Widersprüche und Unvollkommen-<lb/> heiten der Erfahrung auflösenden lebendigen Ganzen. Greisbarere Form aber<lb/> erlangt diese innere Gestaltung bei den Menschen, denen es gelingt, die erreichte<lb/> Harmonie nicht nur in die Helle des eigenen Bewußtseins zu heben, sondern sie<lb/> auch andern zum Ausdruck zu bringen, indem sie ihr Dasein zu einem Kunst¬<lb/> werk gestalten, ihre Harmonie den anderen vorleben, oder indem sie die Re¬<lb/> sultate ihres Wesens in Gestalt eines logisch geschlossenen philosophischen Systems<lb/> darlegen.</p><lb/> <p xml:id="ID_567"> Gerade die großen Weltanschauungssysteme find ja in erster Linie als<lb/> Kunstwerke zu werten, obgleich ihre Träger die wissenschaftliche Erkenntnis ihrer<lb/> Zeit in sich aufgenommen und verarbeitet haben und hiermit als die Blüte des<lb/> wissenschaftlichen Menschen anzusehen sind. So mündet die Wissenschaft in die<lb/> Kunst aus. Die Geschichte dieser Erscheinungen aber ist die eigentliche Kultur¬<lb/> geschichte der Menschheit.</p><lb/> <p xml:id="ID_568" next="#ID_569"> Hier nun liegt, wie ich meine, letzter Zweck und Wert unserer wissenschaft¬<lb/> lichen Forschung, insoweit er nicht im Bereiche der unmittelbaren Verwertbarkeit</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0181]
von der künstlerischen Aufgabe in der Wissenschaft
der Wissenschaft gestellt sind. Glänzende Beispiele ihrer Lösung sind zur Genüge
bekannt.
Aber weit über diese im Gesamwerlauf der Geistesgeschichte vielleicht minder
wesentlichen, weil von mehr persönlichen Bedingtheiten abhängigen Erscheinungen
führt eine andere Erwägung. Wozu häufen wir denn eigentlich wissenschaftliche
Kenntnisse an? Sind sie nur ein Spiel des Intellekts? Ist ihre Kapitali¬
sierung Selbstzweck? Heute sieht es oft so aus. Und doch sagt schon Demokrit:
„Nicht nach Fülle des Wissens soll man streben, sondern nach Fülle des Ver¬
standes." Aus den Kenntnissen wächst die Erkenntnis, das wollen wir doch
nicht vergessen. Auch da, wo wir der Grenzen des gegenwärtigen Erkenntnis¬
standes innewerden, oder wo wir die Grenzen der überhaupt möglichen Erkenntnis
erfühlen, verzichten wir, von einem inneren Bedürfnis getrieben, nicht auf ein
vollständiges Bild des Weltganzen und des Weltgeschehens, sondern wir bereiten
uns, und zwar jeder ganz persönlich, eine Weltanschauung. Hierbei bilden die
Ergebnisse der Wissenschaft einen wesentlichen Teil des objektiven Materials
— neben den durch Geburt, Umwelt und Erleben dargebotenen Beständen. Das
Formprinzip bei dem Bau der Gesamtanschauung dagegen ist ein subjektives
und gehört als solches — bei aller zeitgeschichtlichen Bestimmtheit — nur dem
Individuum an.
Diese auf Grund des jeweiligen Standes der Wissenschaft subjektiv ge»
stalteten Gesamtanschauungen sind doch jedenfalls in nicht geringerem Maße
als die Kunstwerke dazu bestimmt, „das wechselnde innere Leben der Zeit aus-
zukristallisieren," nur daß sie das nicht in der symbolisch abgekürzten und objektiv
greifbaren Form des Bildes tun, sondern in der Sphäre des Inneren, sei es
im vollen Lichte des Bewußtseins, sei es auch im halbbewußten gefühlsmäßigen
Leben. Hier liegt also die künstlerische Tätigkeit des Menschen in der Aus¬
gestaltung seines Innern als eines in sich die Widersprüche und Unvollkommen-
heiten der Erfahrung auflösenden lebendigen Ganzen. Greisbarere Form aber
erlangt diese innere Gestaltung bei den Menschen, denen es gelingt, die erreichte
Harmonie nicht nur in die Helle des eigenen Bewußtseins zu heben, sondern sie
auch andern zum Ausdruck zu bringen, indem sie ihr Dasein zu einem Kunst¬
werk gestalten, ihre Harmonie den anderen vorleben, oder indem sie die Re¬
sultate ihres Wesens in Gestalt eines logisch geschlossenen philosophischen Systems
darlegen.
Gerade die großen Weltanschauungssysteme find ja in erster Linie als
Kunstwerke zu werten, obgleich ihre Träger die wissenschaftliche Erkenntnis ihrer
Zeit in sich aufgenommen und verarbeitet haben und hiermit als die Blüte des
wissenschaftlichen Menschen anzusehen sind. So mündet die Wissenschaft in die
Kunst aus. Die Geschichte dieser Erscheinungen aber ist die eigentliche Kultur¬
geschichte der Menschheit.
Hier nun liegt, wie ich meine, letzter Zweck und Wert unserer wissenschaft¬
lichen Forschung, insoweit er nicht im Bereiche der unmittelbaren Verwertbarkeit
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |