Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
von der künstlerischen Aufgabe in der Wissenschaft

früher nicht immer so gewesen. Frühere Zeiten pflegten eben nicht die
Wissenschaft um ihrer selbst willen, auch nicht um durch Addition einen wissen¬
schaftlichen Fortschritt zu erzielen, sondern um außerwissenschaftlicher Nützlichkeit
willen. Wie lange hat nicht die Chemie dem Durst nach Gold, die Astronomie
dem Streben nach Enthüllung der Zukunft, die Geschichtsforschung der Ver¬
herrlichung der Kirche und des Staatswesens, der Rechtfertigung ererbter oder
erstrebter Zustände gedient.

Die enge Verbindung, in der die reinen und die angewandten Natur¬
wissenschaften stehen, zeigt, daß auch heute noch Zwecke bei der Forschung
mitsprechen, die im Grunde unwissenschaftlich sind, weil sie nicht einfach unsere
Kenntnisse vermehren, sondern auf ihre Ausbeutung hinauslaufen. Verschieden
war demnach je nach Ziel und Zweck zu verschiedenen Zeiten die Methode
der Forschung, die Auswahl der von ihr berührten Objekte, verschieden also die
Auffassung von Wichtigem und Unwichtigem. Aus dem Hereintragen dieses
letzteren Prinzips, des Wertprinzips, ersieht man leicht, daß es sich bei der
Wissenschaft nicht um eine Addition ermittelter Tatsachen handelte und zum
Teil noch handelt, sondern daß eine qualitative Verschiedenheit dabei mit¬
spricht, die man vielleicht populär als vom "Geist der Zeit" diktiert be¬
zeichnen kann.

Dieses mitwirkende Agens bildet eine der Brücken, die entgegen der
anfangs angeführten Behauptung Kunst und Wissenschaft in Verbindung halten.
Ein innerhalb des Zeitgeistes, der nur die Grundfärbung angibt, auch noch
stark subjektiv bestimmtes Prinzip -- mithin dem Wesen nach dem künst¬
lerischen verwandt -- wirkt hier in der wissenschaftlichen Arbeit mit.

Wie stark das eigentlich künstlerische Empfinden bei der Auswahl des
Arbeitsgebietes in dem einzelnen Forscher tätig ist, das wird wohl in vielen
Fällen ihm selbst nicht bewußt. Mancher seinempfindende Student wird durch
eine ästhetische Anziehung auf sein spezielles Studiengebiet gelockt; ihn fesselt
z. B. die Schönheit des organischen Lebens -- aus dem man ja geradezu "Kunst¬
formen in der Natur" gesammelt hat -- oder der ästhetisch befriedigende Ein¬
druck einer vollendet zweckmäßigen Maschine, oder auch das farbenreiche Bild
einer vergangenen Epoche, der Wohlklang einer fremden Sprache oder die
ungeheuere Tragik des menschlichen Geschehens und Sinnens.

Es wäre wohl der Mühe wert, bei der Erforschung der Lebensgeschichte von
Geistesarbeitern stets die Frage aufzuwerfen, inwieweit die Wahl ihrer Stoffe und
Arbeitsgebiete ästhetisch bestimmt war; ein wichtiger Aufschluß für die Erkenntnis
ihres Wesens wäre hiermit immer gegeben.

Wahrscheinlich würde sich bei diesen Untersuchungen auch herausstellen, daß
solche wissenschaftliche Menschen, die der ästhetischen Anziehung gefolgt sind, ihr
künstlerisches Empfinden auch in der Form ihrer Produktionen an den Tag
legen. Denn hier, in der feinabgewogenen Art des Ausdrucks, in der Harmonie
des Stils liegt natürlich eine der künstlerischen Aufgaben, die dem Vertreter


von der künstlerischen Aufgabe in der Wissenschaft

früher nicht immer so gewesen. Frühere Zeiten pflegten eben nicht die
Wissenschaft um ihrer selbst willen, auch nicht um durch Addition einen wissen¬
schaftlichen Fortschritt zu erzielen, sondern um außerwissenschaftlicher Nützlichkeit
willen. Wie lange hat nicht die Chemie dem Durst nach Gold, die Astronomie
dem Streben nach Enthüllung der Zukunft, die Geschichtsforschung der Ver¬
herrlichung der Kirche und des Staatswesens, der Rechtfertigung ererbter oder
erstrebter Zustände gedient.

Die enge Verbindung, in der die reinen und die angewandten Natur¬
wissenschaften stehen, zeigt, daß auch heute noch Zwecke bei der Forschung
mitsprechen, die im Grunde unwissenschaftlich sind, weil sie nicht einfach unsere
Kenntnisse vermehren, sondern auf ihre Ausbeutung hinauslaufen. Verschieden
war demnach je nach Ziel und Zweck zu verschiedenen Zeiten die Methode
der Forschung, die Auswahl der von ihr berührten Objekte, verschieden also die
Auffassung von Wichtigem und Unwichtigem. Aus dem Hereintragen dieses
letzteren Prinzips, des Wertprinzips, ersieht man leicht, daß es sich bei der
Wissenschaft nicht um eine Addition ermittelter Tatsachen handelte und zum
Teil noch handelt, sondern daß eine qualitative Verschiedenheit dabei mit¬
spricht, die man vielleicht populär als vom „Geist der Zeit" diktiert be¬
zeichnen kann.

Dieses mitwirkende Agens bildet eine der Brücken, die entgegen der
anfangs angeführten Behauptung Kunst und Wissenschaft in Verbindung halten.
Ein innerhalb des Zeitgeistes, der nur die Grundfärbung angibt, auch noch
stark subjektiv bestimmtes Prinzip — mithin dem Wesen nach dem künst¬
lerischen verwandt — wirkt hier in der wissenschaftlichen Arbeit mit.

Wie stark das eigentlich künstlerische Empfinden bei der Auswahl des
Arbeitsgebietes in dem einzelnen Forscher tätig ist, das wird wohl in vielen
Fällen ihm selbst nicht bewußt. Mancher seinempfindende Student wird durch
eine ästhetische Anziehung auf sein spezielles Studiengebiet gelockt; ihn fesselt
z. B. die Schönheit des organischen Lebens — aus dem man ja geradezu „Kunst¬
formen in der Natur" gesammelt hat — oder der ästhetisch befriedigende Ein¬
druck einer vollendet zweckmäßigen Maschine, oder auch das farbenreiche Bild
einer vergangenen Epoche, der Wohlklang einer fremden Sprache oder die
ungeheuere Tragik des menschlichen Geschehens und Sinnens.

Es wäre wohl der Mühe wert, bei der Erforschung der Lebensgeschichte von
Geistesarbeitern stets die Frage aufzuwerfen, inwieweit die Wahl ihrer Stoffe und
Arbeitsgebiete ästhetisch bestimmt war; ein wichtiger Aufschluß für die Erkenntnis
ihres Wesens wäre hiermit immer gegeben.

Wahrscheinlich würde sich bei diesen Untersuchungen auch herausstellen, daß
solche wissenschaftliche Menschen, die der ästhetischen Anziehung gefolgt sind, ihr
künstlerisches Empfinden auch in der Form ihrer Produktionen an den Tag
legen. Denn hier, in der feinabgewogenen Art des Ausdrucks, in der Harmonie
des Stils liegt natürlich eine der künstlerischen Aufgaben, die dem Vertreter


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0180" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/328914"/>
          <fw type="header" place="top"> von der künstlerischen Aufgabe in der Wissenschaft</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_558" prev="#ID_557"> früher nicht immer so gewesen. Frühere Zeiten pflegten eben nicht die<lb/>
Wissenschaft um ihrer selbst willen, auch nicht um durch Addition einen wissen¬<lb/>
schaftlichen Fortschritt zu erzielen, sondern um außerwissenschaftlicher Nützlichkeit<lb/>
willen. Wie lange hat nicht die Chemie dem Durst nach Gold, die Astronomie<lb/>
dem Streben nach Enthüllung der Zukunft, die Geschichtsforschung der Ver¬<lb/>
herrlichung der Kirche und des Staatswesens, der Rechtfertigung ererbter oder<lb/>
erstrebter Zustände gedient.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_559"> Die enge Verbindung, in der die reinen und die angewandten Natur¬<lb/>
wissenschaften stehen, zeigt, daß auch heute noch Zwecke bei der Forschung<lb/>
mitsprechen, die im Grunde unwissenschaftlich sind, weil sie nicht einfach unsere<lb/>
Kenntnisse vermehren, sondern auf ihre Ausbeutung hinauslaufen. Verschieden<lb/>
war demnach je nach Ziel und Zweck zu verschiedenen Zeiten die Methode<lb/>
der Forschung, die Auswahl der von ihr berührten Objekte, verschieden also die<lb/>
Auffassung von Wichtigem und Unwichtigem. Aus dem Hereintragen dieses<lb/>
letzteren Prinzips, des Wertprinzips, ersieht man leicht, daß es sich bei der<lb/>
Wissenschaft nicht um eine Addition ermittelter Tatsachen handelte und zum<lb/>
Teil noch handelt, sondern daß eine qualitative Verschiedenheit dabei mit¬<lb/>
spricht, die man vielleicht populär als vom &#x201E;Geist der Zeit" diktiert be¬<lb/>
zeichnen kann.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_560"> Dieses mitwirkende Agens bildet eine der Brücken, die entgegen der<lb/>
anfangs angeführten Behauptung Kunst und Wissenschaft in Verbindung halten.<lb/>
Ein innerhalb des Zeitgeistes, der nur die Grundfärbung angibt, auch noch<lb/>
stark subjektiv bestimmtes Prinzip &#x2014; mithin dem Wesen nach dem künst¬<lb/>
lerischen verwandt &#x2014; wirkt hier in der wissenschaftlichen Arbeit mit.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_561"> Wie stark das eigentlich künstlerische Empfinden bei der Auswahl des<lb/>
Arbeitsgebietes in dem einzelnen Forscher tätig ist, das wird wohl in vielen<lb/>
Fällen ihm selbst nicht bewußt. Mancher seinempfindende Student wird durch<lb/>
eine ästhetische Anziehung auf sein spezielles Studiengebiet gelockt; ihn fesselt<lb/>
z. B. die Schönheit des organischen Lebens &#x2014; aus dem man ja geradezu &#x201E;Kunst¬<lb/>
formen in der Natur" gesammelt hat &#x2014; oder der ästhetisch befriedigende Ein¬<lb/>
druck einer vollendet zweckmäßigen Maschine, oder auch das farbenreiche Bild<lb/>
einer vergangenen Epoche, der Wohlklang einer fremden Sprache oder die<lb/>
ungeheuere Tragik des menschlichen Geschehens und Sinnens.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_562"> Es wäre wohl der Mühe wert, bei der Erforschung der Lebensgeschichte von<lb/>
Geistesarbeitern stets die Frage aufzuwerfen, inwieweit die Wahl ihrer Stoffe und<lb/>
Arbeitsgebiete ästhetisch bestimmt war; ein wichtiger Aufschluß für die Erkenntnis<lb/>
ihres Wesens wäre hiermit immer gegeben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_563" next="#ID_564"> Wahrscheinlich würde sich bei diesen Untersuchungen auch herausstellen, daß<lb/>
solche wissenschaftliche Menschen, die der ästhetischen Anziehung gefolgt sind, ihr<lb/>
künstlerisches Empfinden auch in der Form ihrer Produktionen an den Tag<lb/>
legen. Denn hier, in der feinabgewogenen Art des Ausdrucks, in der Harmonie<lb/>
des Stils liegt natürlich eine der künstlerischen Aufgaben, die dem Vertreter</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0180] von der künstlerischen Aufgabe in der Wissenschaft früher nicht immer so gewesen. Frühere Zeiten pflegten eben nicht die Wissenschaft um ihrer selbst willen, auch nicht um durch Addition einen wissen¬ schaftlichen Fortschritt zu erzielen, sondern um außerwissenschaftlicher Nützlichkeit willen. Wie lange hat nicht die Chemie dem Durst nach Gold, die Astronomie dem Streben nach Enthüllung der Zukunft, die Geschichtsforschung der Ver¬ herrlichung der Kirche und des Staatswesens, der Rechtfertigung ererbter oder erstrebter Zustände gedient. Die enge Verbindung, in der die reinen und die angewandten Natur¬ wissenschaften stehen, zeigt, daß auch heute noch Zwecke bei der Forschung mitsprechen, die im Grunde unwissenschaftlich sind, weil sie nicht einfach unsere Kenntnisse vermehren, sondern auf ihre Ausbeutung hinauslaufen. Verschieden war demnach je nach Ziel und Zweck zu verschiedenen Zeiten die Methode der Forschung, die Auswahl der von ihr berührten Objekte, verschieden also die Auffassung von Wichtigem und Unwichtigem. Aus dem Hereintragen dieses letzteren Prinzips, des Wertprinzips, ersieht man leicht, daß es sich bei der Wissenschaft nicht um eine Addition ermittelter Tatsachen handelte und zum Teil noch handelt, sondern daß eine qualitative Verschiedenheit dabei mit¬ spricht, die man vielleicht populär als vom „Geist der Zeit" diktiert be¬ zeichnen kann. Dieses mitwirkende Agens bildet eine der Brücken, die entgegen der anfangs angeführten Behauptung Kunst und Wissenschaft in Verbindung halten. Ein innerhalb des Zeitgeistes, der nur die Grundfärbung angibt, auch noch stark subjektiv bestimmtes Prinzip — mithin dem Wesen nach dem künst¬ lerischen verwandt — wirkt hier in der wissenschaftlichen Arbeit mit. Wie stark das eigentlich künstlerische Empfinden bei der Auswahl des Arbeitsgebietes in dem einzelnen Forscher tätig ist, das wird wohl in vielen Fällen ihm selbst nicht bewußt. Mancher seinempfindende Student wird durch eine ästhetische Anziehung auf sein spezielles Studiengebiet gelockt; ihn fesselt z. B. die Schönheit des organischen Lebens — aus dem man ja geradezu „Kunst¬ formen in der Natur" gesammelt hat — oder der ästhetisch befriedigende Ein¬ druck einer vollendet zweckmäßigen Maschine, oder auch das farbenreiche Bild einer vergangenen Epoche, der Wohlklang einer fremden Sprache oder die ungeheuere Tragik des menschlichen Geschehens und Sinnens. Es wäre wohl der Mühe wert, bei der Erforschung der Lebensgeschichte von Geistesarbeitern stets die Frage aufzuwerfen, inwieweit die Wahl ihrer Stoffe und Arbeitsgebiete ästhetisch bestimmt war; ein wichtiger Aufschluß für die Erkenntnis ihres Wesens wäre hiermit immer gegeben. Wahrscheinlich würde sich bei diesen Untersuchungen auch herausstellen, daß solche wissenschaftliche Menschen, die der ästhetischen Anziehung gefolgt sind, ihr künstlerisches Empfinden auch in der Form ihrer Produktionen an den Tag legen. Denn hier, in der feinabgewogenen Art des Ausdrucks, in der Harmonie des Stils liegt natürlich eine der künstlerischen Aufgaben, die dem Vertreter

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/180
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/180>, abgerufen am 01.09.2024.