Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Zur Geschichte der Entwicklung der Arbeitgeberorganiscitioncn

lohnberechnung usw. bilden auch hier die Programmpunkte. Wenn die ungarische
Arbeitgeberbewegung noch nicht in dem Maße entwickelt ist, wie dies der Fall
sein sollte, so liegt es wohl in erster Linie daran, daß die ungarische Industrie
mit erheblichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten Verkehrs- und zollpolilischer Art
zu kämpfen hat, daß ferner die Verteilung der Betriebe über ein sehr weites
Gebiet, gleichwie in Österreich, auch starke Verschiedenheiten arbeitspolitischer
Art bedingt, und daß schließlich die parteipolitischer Kämpfe der letzten Jahre
das Interesse der beteiligten Kreise in anderer Hinsicht vollkommen absorbierten.
Eine der stärksten Arbeitgeberorganisationen ist der "Landesverband ungarischer
Eisenwerke und Maschinenfabriken", der im Jahre 1911 83 Fabrikunterneh-
mnngen mit 88000 Arbeitern umfaßte.

Die Anfänge der Errichtung von Schutzorganisationen der Unternehmer in
Großbritannien und Irland gegen die stetig mächtiger heranwachsenden Ver¬
einigungen der Arbeiter gehen bis zum Jahre 1875 zurück, wo die erste Arbeit¬
geberschutzvereinigung ins Leben trat. Im Jahre 1893 bestanden nach dem
Bericht der I?o^al Le>mal8sic)n 01 I^abour schon 70 Arbeitgeberorganisationen.
Infolge größerer Arbeiterbewegungen habrn diese Vereinigungen und zwar
hauptsächlich in der Maschinenindustrie ganz beträchtlich zugenommen. Im Jahre
1902 war die Zahl der Arbeilgeberorganisatronen in Großbritannien und Irland
auf 848 angewachsen und im Jahre 1909 waren 220000 Mitglieder in 1400
Arbeitgebervereinen vereinigt.

Bis vor noch nicht allzulanger Zeit war der organisierte englische Arbeiter
kein Freund von Streiks und Lohnkämpfen, wenigstens nicht in dem Maße, wie
z. B. die Anhänger der freien Gewerkschaften in Deutschland (1906: England
486 Arbeitsstreitigkeiten, Deutschland 3480 Streiks). Man zog damals in der
Regel den Weg zweckmäßiger Verhandlungen den Streiks vor. Als bestes Mittel
zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Unternehmern und Arbeitern wurden
die Einigungsämter von Schiedsgerichten bezeichnet, wie sie in dem englischen
Gesetz über die Entscheidungen von Jnteressenstreitigkeiten vom Jahre 1896 vor¬
gesehen sind. Diesem Gesetz entsprechend besteht in dem Gewerbeamt (VoarcZ
01 Gracie) eine Zentralstelle, die den Zweck hat, die Bildung von Emigungs-
ämtern anzuregen.

Leider ist nun in den letzten Jahren infolge des Vordringens des
Anarchismus in der Arbeiterbewegung Großbritanniens und Irlands die Sachlage
in dieser Hinsicht eine andere geworden. Der geringe Einfluß, den die
Einigungsämter in England zurzeit besitzen, wird durch die stetig wachsende
Zahl der Arbeitsstreitigkeiten bewiesen. Man nehme nur die großen Arbeits¬
kämpfe, die Großbritannien und Irland in den letzten Jahren allein schon im
Bergbau, im Transportgewerbe und in der Eisen-, Maschinen- und Schiffbau¬
industrie zu bestehen gehabt haben. In England hat nun die enorme Streit¬
bewegung der letzten Jahre wenigstens einen guten Erfolg, wenn man so sagen
will, gezeitigt und zwar in Gestalt der im Jahre 1913 zu London erfolgten


Zur Geschichte der Entwicklung der Arbeitgeberorganiscitioncn

lohnberechnung usw. bilden auch hier die Programmpunkte. Wenn die ungarische
Arbeitgeberbewegung noch nicht in dem Maße entwickelt ist, wie dies der Fall
sein sollte, so liegt es wohl in erster Linie daran, daß die ungarische Industrie
mit erheblichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten Verkehrs- und zollpolilischer Art
zu kämpfen hat, daß ferner die Verteilung der Betriebe über ein sehr weites
Gebiet, gleichwie in Österreich, auch starke Verschiedenheiten arbeitspolitischer
Art bedingt, und daß schließlich die parteipolitischer Kämpfe der letzten Jahre
das Interesse der beteiligten Kreise in anderer Hinsicht vollkommen absorbierten.
Eine der stärksten Arbeitgeberorganisationen ist der „Landesverband ungarischer
Eisenwerke und Maschinenfabriken", der im Jahre 1911 83 Fabrikunterneh-
mnngen mit 88000 Arbeitern umfaßte.

Die Anfänge der Errichtung von Schutzorganisationen der Unternehmer in
Großbritannien und Irland gegen die stetig mächtiger heranwachsenden Ver¬
einigungen der Arbeiter gehen bis zum Jahre 1875 zurück, wo die erste Arbeit¬
geberschutzvereinigung ins Leben trat. Im Jahre 1893 bestanden nach dem
Bericht der I?o^al Le>mal8sic)n 01 I^abour schon 70 Arbeitgeberorganisationen.
Infolge größerer Arbeiterbewegungen habrn diese Vereinigungen und zwar
hauptsächlich in der Maschinenindustrie ganz beträchtlich zugenommen. Im Jahre
1902 war die Zahl der Arbeilgeberorganisatronen in Großbritannien und Irland
auf 848 angewachsen und im Jahre 1909 waren 220000 Mitglieder in 1400
Arbeitgebervereinen vereinigt.

Bis vor noch nicht allzulanger Zeit war der organisierte englische Arbeiter
kein Freund von Streiks und Lohnkämpfen, wenigstens nicht in dem Maße, wie
z. B. die Anhänger der freien Gewerkschaften in Deutschland (1906: England
486 Arbeitsstreitigkeiten, Deutschland 3480 Streiks). Man zog damals in der
Regel den Weg zweckmäßiger Verhandlungen den Streiks vor. Als bestes Mittel
zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Unternehmern und Arbeitern wurden
die Einigungsämter von Schiedsgerichten bezeichnet, wie sie in dem englischen
Gesetz über die Entscheidungen von Jnteressenstreitigkeiten vom Jahre 1896 vor¬
gesehen sind. Diesem Gesetz entsprechend besteht in dem Gewerbeamt (VoarcZ
01 Gracie) eine Zentralstelle, die den Zweck hat, die Bildung von Emigungs-
ämtern anzuregen.

Leider ist nun in den letzten Jahren infolge des Vordringens des
Anarchismus in der Arbeiterbewegung Großbritanniens und Irlands die Sachlage
in dieser Hinsicht eine andere geworden. Der geringe Einfluß, den die
Einigungsämter in England zurzeit besitzen, wird durch die stetig wachsende
Zahl der Arbeitsstreitigkeiten bewiesen. Man nehme nur die großen Arbeits¬
kämpfe, die Großbritannien und Irland in den letzten Jahren allein schon im
Bergbau, im Transportgewerbe und in der Eisen-, Maschinen- und Schiffbau¬
industrie zu bestehen gehabt haben. In England hat nun die enorme Streit¬
bewegung der letzten Jahre wenigstens einen guten Erfolg, wenn man so sagen
will, gezeitigt und zwar in Gestalt der im Jahre 1913 zu London erfolgten


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0172" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/328906"/>
          <fw type="header" place="top"> Zur Geschichte der Entwicklung der Arbeitgeberorganiscitioncn</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_529" prev="#ID_528"> lohnberechnung usw. bilden auch hier die Programmpunkte. Wenn die ungarische<lb/>
Arbeitgeberbewegung noch nicht in dem Maße entwickelt ist, wie dies der Fall<lb/>
sein sollte, so liegt es wohl in erster Linie daran, daß die ungarische Industrie<lb/>
mit erheblichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten Verkehrs- und zollpolilischer Art<lb/>
zu kämpfen hat, daß ferner die Verteilung der Betriebe über ein sehr weites<lb/>
Gebiet, gleichwie in Österreich, auch starke Verschiedenheiten arbeitspolitischer<lb/>
Art bedingt, und daß schließlich die parteipolitischer Kämpfe der letzten Jahre<lb/>
das Interesse der beteiligten Kreise in anderer Hinsicht vollkommen absorbierten.<lb/>
Eine der stärksten Arbeitgeberorganisationen ist der &#x201E;Landesverband ungarischer<lb/>
Eisenwerke und Maschinenfabriken", der im Jahre 1911 83 Fabrikunterneh-<lb/>
mnngen mit 88000 Arbeitern umfaßte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_530"> Die Anfänge der Errichtung von Schutzorganisationen der Unternehmer in<lb/>
Großbritannien und Irland gegen die stetig mächtiger heranwachsenden Ver¬<lb/>
einigungen der Arbeiter gehen bis zum Jahre 1875 zurück, wo die erste Arbeit¬<lb/>
geberschutzvereinigung ins Leben trat. Im Jahre 1893 bestanden nach dem<lb/>
Bericht der I?o^al Le&gt;mal8sic)n 01 I^abour schon 70 Arbeitgeberorganisationen.<lb/>
Infolge größerer Arbeiterbewegungen habrn diese Vereinigungen und zwar<lb/>
hauptsächlich in der Maschinenindustrie ganz beträchtlich zugenommen. Im Jahre<lb/>
1902 war die Zahl der Arbeilgeberorganisatronen in Großbritannien und Irland<lb/>
auf 848 angewachsen und im Jahre 1909 waren 220000 Mitglieder in 1400<lb/>
Arbeitgebervereinen vereinigt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_531"> Bis vor noch nicht allzulanger Zeit war der organisierte englische Arbeiter<lb/>
kein Freund von Streiks und Lohnkämpfen, wenigstens nicht in dem Maße, wie<lb/>
z. B. die Anhänger der freien Gewerkschaften in Deutschland (1906: England<lb/>
486 Arbeitsstreitigkeiten, Deutschland 3480 Streiks). Man zog damals in der<lb/>
Regel den Weg zweckmäßiger Verhandlungen den Streiks vor. Als bestes Mittel<lb/>
zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Unternehmern und Arbeitern wurden<lb/>
die Einigungsämter von Schiedsgerichten bezeichnet, wie sie in dem englischen<lb/>
Gesetz über die Entscheidungen von Jnteressenstreitigkeiten vom Jahre 1896 vor¬<lb/>
gesehen sind. Diesem Gesetz entsprechend besteht in dem Gewerbeamt (VoarcZ<lb/>
01 Gracie) eine Zentralstelle, die den Zweck hat, die Bildung von Emigungs-<lb/>
ämtern anzuregen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_532" next="#ID_533"> Leider ist nun in den letzten Jahren infolge des Vordringens des<lb/>
Anarchismus in der Arbeiterbewegung Großbritanniens und Irlands die Sachlage<lb/>
in dieser Hinsicht eine andere geworden. Der geringe Einfluß, den die<lb/>
Einigungsämter in England zurzeit besitzen, wird durch die stetig wachsende<lb/>
Zahl der Arbeitsstreitigkeiten bewiesen. Man nehme nur die großen Arbeits¬<lb/>
kämpfe, die Großbritannien und Irland in den letzten Jahren allein schon im<lb/>
Bergbau, im Transportgewerbe und in der Eisen-, Maschinen- und Schiffbau¬<lb/>
industrie zu bestehen gehabt haben. In England hat nun die enorme Streit¬<lb/>
bewegung der letzten Jahre wenigstens einen guten Erfolg, wenn man so sagen<lb/>
will, gezeitigt und zwar in Gestalt der im Jahre 1913 zu London erfolgten</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0172] Zur Geschichte der Entwicklung der Arbeitgeberorganiscitioncn lohnberechnung usw. bilden auch hier die Programmpunkte. Wenn die ungarische Arbeitgeberbewegung noch nicht in dem Maße entwickelt ist, wie dies der Fall sein sollte, so liegt es wohl in erster Linie daran, daß die ungarische Industrie mit erheblichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten Verkehrs- und zollpolilischer Art zu kämpfen hat, daß ferner die Verteilung der Betriebe über ein sehr weites Gebiet, gleichwie in Österreich, auch starke Verschiedenheiten arbeitspolitischer Art bedingt, und daß schließlich die parteipolitischer Kämpfe der letzten Jahre das Interesse der beteiligten Kreise in anderer Hinsicht vollkommen absorbierten. Eine der stärksten Arbeitgeberorganisationen ist der „Landesverband ungarischer Eisenwerke und Maschinenfabriken", der im Jahre 1911 83 Fabrikunterneh- mnngen mit 88000 Arbeitern umfaßte. Die Anfänge der Errichtung von Schutzorganisationen der Unternehmer in Großbritannien und Irland gegen die stetig mächtiger heranwachsenden Ver¬ einigungen der Arbeiter gehen bis zum Jahre 1875 zurück, wo die erste Arbeit¬ geberschutzvereinigung ins Leben trat. Im Jahre 1893 bestanden nach dem Bericht der I?o^al Le>mal8sic)n 01 I^abour schon 70 Arbeitgeberorganisationen. Infolge größerer Arbeiterbewegungen habrn diese Vereinigungen und zwar hauptsächlich in der Maschinenindustrie ganz beträchtlich zugenommen. Im Jahre 1902 war die Zahl der Arbeilgeberorganisatronen in Großbritannien und Irland auf 848 angewachsen und im Jahre 1909 waren 220000 Mitglieder in 1400 Arbeitgebervereinen vereinigt. Bis vor noch nicht allzulanger Zeit war der organisierte englische Arbeiter kein Freund von Streiks und Lohnkämpfen, wenigstens nicht in dem Maße, wie z. B. die Anhänger der freien Gewerkschaften in Deutschland (1906: England 486 Arbeitsstreitigkeiten, Deutschland 3480 Streiks). Man zog damals in der Regel den Weg zweckmäßiger Verhandlungen den Streiks vor. Als bestes Mittel zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Unternehmern und Arbeitern wurden die Einigungsämter von Schiedsgerichten bezeichnet, wie sie in dem englischen Gesetz über die Entscheidungen von Jnteressenstreitigkeiten vom Jahre 1896 vor¬ gesehen sind. Diesem Gesetz entsprechend besteht in dem Gewerbeamt (VoarcZ 01 Gracie) eine Zentralstelle, die den Zweck hat, die Bildung von Emigungs- ämtern anzuregen. Leider ist nun in den letzten Jahren infolge des Vordringens des Anarchismus in der Arbeiterbewegung Großbritanniens und Irlands die Sachlage in dieser Hinsicht eine andere geworden. Der geringe Einfluß, den die Einigungsämter in England zurzeit besitzen, wird durch die stetig wachsende Zahl der Arbeitsstreitigkeiten bewiesen. Man nehme nur die großen Arbeits¬ kämpfe, die Großbritannien und Irland in den letzten Jahren allein schon im Bergbau, im Transportgewerbe und in der Eisen-, Maschinen- und Schiffbau¬ industrie zu bestehen gehabt haben. In England hat nun die enorme Streit¬ bewegung der letzten Jahre wenigstens einen guten Erfolg, wenn man so sagen will, gezeitigt und zwar in Gestalt der im Jahre 1913 zu London erfolgten

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/172
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/172>, abgerufen am 01.09.2024.