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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Frankreichs Provinzen im Aampf gegen Paris
von Dr. Fritz Roepke
I.

aris ist Frankreich. Dieser Satz bleibt, so banal er ist. immer
noch wahr. Man begegnet in der Provinz vielen historischen
Erinnerungen, örtlichen Sitten, Gebräuchen und Trachten, Mund¬
arten, ja selbst fremden Sprachen wie in der Bretagne und der
Provence; aber der geistige Mittelpunkt ist Paris. Das politische,
literarische, künstlerische Leben des Volkes spielt sich in der Hauptstadt ab. Die
Provinz ist das Echo. Paris hat in der neueren Geschichte immer über das
Schicksal des ganzen Landes entschieden; es bestimmt seinen Geschmack, seine
Anschauungen und Meinungen, es herrscht unumschränkt.

Die Zentralisation Frankreichs ist das Werk dreier Jahrhunderte und der
verschiedenen Regierungen. Im wesentlichen war sie bereits durch das Königtum,
für das sie Lebensfrage war, verwirklicht. Die Revolution, die auch noch Wesen
und Form des jetzigen Staates ungeschaffen hat, hat ihr zur heutigen Gestalt
und Festigkeit verholfen. Am 4. August 1789 schaffte die /^endlos
Nationale sämtliche Privilegien und damit auch die letzten Vorrechte einzelner
Provinzen und Kommunen ab, um an ihre Stelle das etait commun zu
setzen (Dekret vom 4. August 1739, Art. 10). Damit glaubte man -- wie
vorher dem Individuum -- jedem einzelnen Teil des Staates die "natürliche
Freiheit" wiedergegeben zu haben. Wie man aber versuchte, die natürliche
Freiheit des Individuums mit der Organisation und Autorität des Staates in
Einklang zu bringen"), so mußte man auch das "Naturrecht" der Gemeinde
gegen den Staat abgrenzen. Man wies daher der Gemeinde eine zweifache
Aufgabe zu: ein Individuum mit eigenen Funktionen und einen juristischen
Verwaltungsbezirk des Staates darzustellen**). Es stehen also vorläufig Selbst¬
verwaltung und staatliche Funktion nebeneinander, woraus sich jedoch bald
ein Gegeneinander entwickelt. Denn ausgehend von der Unteilbarkeit der




*) Robert Redslob hat in seinem Buche "Die Staatstheorien der französischen National¬
versammlung von 1789" den Sophismus dieses Versuches eingehend dargelegt und historisch
begründet.
*') Vgl. KLquet, Köpertoire an etroit aäministi-atik, V. 423.


Frankreichs Provinzen im Aampf gegen Paris
von Dr. Fritz Roepke
I.

aris ist Frankreich. Dieser Satz bleibt, so banal er ist. immer
noch wahr. Man begegnet in der Provinz vielen historischen
Erinnerungen, örtlichen Sitten, Gebräuchen und Trachten, Mund¬
arten, ja selbst fremden Sprachen wie in der Bretagne und der
Provence; aber der geistige Mittelpunkt ist Paris. Das politische,
literarische, künstlerische Leben des Volkes spielt sich in der Hauptstadt ab. Die
Provinz ist das Echo. Paris hat in der neueren Geschichte immer über das
Schicksal des ganzen Landes entschieden; es bestimmt seinen Geschmack, seine
Anschauungen und Meinungen, es herrscht unumschränkt.

Die Zentralisation Frankreichs ist das Werk dreier Jahrhunderte und der
verschiedenen Regierungen. Im wesentlichen war sie bereits durch das Königtum,
für das sie Lebensfrage war, verwirklicht. Die Revolution, die auch noch Wesen
und Form des jetzigen Staates ungeschaffen hat, hat ihr zur heutigen Gestalt
und Festigkeit verholfen. Am 4. August 1789 schaffte die /^endlos
Nationale sämtliche Privilegien und damit auch die letzten Vorrechte einzelner
Provinzen und Kommunen ab, um an ihre Stelle das etait commun zu
setzen (Dekret vom 4. August 1739, Art. 10). Damit glaubte man — wie
vorher dem Individuum — jedem einzelnen Teil des Staates die „natürliche
Freiheit" wiedergegeben zu haben. Wie man aber versuchte, die natürliche
Freiheit des Individuums mit der Organisation und Autorität des Staates in
Einklang zu bringen"), so mußte man auch das „Naturrecht" der Gemeinde
gegen den Staat abgrenzen. Man wies daher der Gemeinde eine zweifache
Aufgabe zu: ein Individuum mit eigenen Funktionen und einen juristischen
Verwaltungsbezirk des Staates darzustellen**). Es stehen also vorläufig Selbst¬
verwaltung und staatliche Funktion nebeneinander, woraus sich jedoch bald
ein Gegeneinander entwickelt. Denn ausgehend von der Unteilbarkeit der




*) Robert Redslob hat in seinem Buche „Die Staatstheorien der französischen National¬
versammlung von 1789" den Sophismus dieses Versuches eingehend dargelegt und historisch
begründet.
*') Vgl. KLquet, Köpertoire an etroit aäministi-atik, V. 423.
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[0017] [Abbildung] Frankreichs Provinzen im Aampf gegen Paris von Dr. Fritz Roepke I. aris ist Frankreich. Dieser Satz bleibt, so banal er ist. immer noch wahr. Man begegnet in der Provinz vielen historischen Erinnerungen, örtlichen Sitten, Gebräuchen und Trachten, Mund¬ arten, ja selbst fremden Sprachen wie in der Bretagne und der Provence; aber der geistige Mittelpunkt ist Paris. Das politische, literarische, künstlerische Leben des Volkes spielt sich in der Hauptstadt ab. Die Provinz ist das Echo. Paris hat in der neueren Geschichte immer über das Schicksal des ganzen Landes entschieden; es bestimmt seinen Geschmack, seine Anschauungen und Meinungen, es herrscht unumschränkt. Die Zentralisation Frankreichs ist das Werk dreier Jahrhunderte und der verschiedenen Regierungen. Im wesentlichen war sie bereits durch das Königtum, für das sie Lebensfrage war, verwirklicht. Die Revolution, die auch noch Wesen und Form des jetzigen Staates ungeschaffen hat, hat ihr zur heutigen Gestalt und Festigkeit verholfen. Am 4. August 1789 schaffte die /^endlos Nationale sämtliche Privilegien und damit auch die letzten Vorrechte einzelner Provinzen und Kommunen ab, um an ihre Stelle das etait commun zu setzen (Dekret vom 4. August 1739, Art. 10). Damit glaubte man — wie vorher dem Individuum — jedem einzelnen Teil des Staates die „natürliche Freiheit" wiedergegeben zu haben. Wie man aber versuchte, die natürliche Freiheit des Individuums mit der Organisation und Autorität des Staates in Einklang zu bringen"), so mußte man auch das „Naturrecht" der Gemeinde gegen den Staat abgrenzen. Man wies daher der Gemeinde eine zweifache Aufgabe zu: ein Individuum mit eigenen Funktionen und einen juristischen Verwaltungsbezirk des Staates darzustellen**). Es stehen also vorläufig Selbst¬ verwaltung und staatliche Funktion nebeneinander, woraus sich jedoch bald ein Gegeneinander entwickelt. Denn ausgehend von der Unteilbarkeit der *) Robert Redslob hat in seinem Buche „Die Staatstheorien der französischen National¬ versammlung von 1789" den Sophismus dieses Versuches eingehend dargelegt und historisch begründet. *') Vgl. KLquet, Köpertoire an etroit aäministi-atik, V. 423.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/17>, abgerufen am 13.11.2024.