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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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politische Betrachtungen zur Tat von Serajewo

grünt drängen und schließlich in ernste Abhängigkeit von Rußland bringen
könnte. Deshalb hat eigentlich auch Rumänien das größte Interesse daran,
daß die albanischen Zustände geordnet und jene beiden Balkanstaaten gehindert
werden, dort fortgesetzt das Feuer zu schüren oder gar schließlich an albanischem
Territorium selbst sich zu bereichern. Den Griechen dürfte bei Verfolgung
solcher Absichten auch Italien im Wege stehen -- und wenn man in
Wien verstände, mit Roni über eine radikale Lösung der albanischen
Frage sich zu einigen, könnte Österreich - Ungarn wohl mit Aussicht auf Erfolg
das Schwert gegen Serbien sprechen lassen. Die Furcht vor Rußland, dem
man zutraut, es werde Österreich-Ungarn in den Arm oder gar in den
Rücken fallen, scheint unbegründet. Auch im Deutschen Reich herrscht vielfach
die Meinung, die russische Regierung suche den Krieg in Europa. Ein¬
geweihte dagegen wissen, daß beispielsweise während der Balkankriege das
nahe verwandtschaftliche Verhältnis der bei der Londoner Konferenz beglaubigten
Vertreter Deutschlands, Österreich-Ungarns und Rußlands mehrfach dazu bei¬
getragen hat, in ernsten Augenblicken die Formen des Meinungsaustausches zu
mildern und der Erhaltung friedlicher Beziehungen unter den großen Mächten
ehrlich zu dienen -- ein diplomatisches Stück, das doch nur bei entsprechendem
Willen der -Regierungen durchführbar war. Und auch das angeblich gegen¬
teilige Verhalten des so schnell verstorbenen russischen Gesandten in Belgrad,
Herrn v. Hartwig, der seiner Regierung am besten zu dienen glaubte, wenn er
den südslawischen Ansprüchen den Rücken steifte, beweist doch nur, daß eben
die Entscheidung über Krieg und Frieden nicht in den Händen der Diplomaten,
sondern in denen der Staatsmänner liegt. Ein Staatsmann wird glückhaste
äußere Politik meist nur dann treiben, wenn er sie in Einklang hält mit der
Staatsidee; die aber zwingt das russische Reich keineswegs, einer Hemmung
des serbischen Selbstbewußtseins und Brandlegens Einhalt zu tun.

Einige Blätter nun suchen die voraussichtliche Friedensgeneigtheit des
Zaren mit der Solidarität der Herrscher vor der Idee des skruppellosen Königs¬
mordes zu begründen. Sie prophezeien auf dieser Basis sogar eine Annäherung
der drei europäischen Kaiserreiche, die sich dann also als ein Angstprodukt dynastisch-
legitimistischer Weltanschauung gegenüber dem Radikalismus von Anarchisten
und Nationalisten darstellen würde. Unbedingt vembscheuungswürdig sind
selbstverständlich solche feigen Meuchelmorde wie der, welcher in Serajewo verübt
wurde. Die Sicherung des Lebens der Herrscher ist aber eine polizeiliche Auf¬
gabe, deren Unterstützung durch diplomatische Vereinbarungen notwendig werden
kann; schwerlich aber darf sie zur politischen Tendenz im Staatsleben gemacht
werden. Für den Staat und die Staatsidee leben, denken, sterben -- das ist
eben Königshandwerk, das hat Friedrich der Große alle Monarchen gelehrt,
und darum darf es als gleich ehrenvoll gelten, ob einer von ihnen auf dem
Schlachtfelde oder in Ausübung seiner hohen Friedenspflichten einem Gegner
fällt und den Zoll des Lebens zahlt. Gehen wir aber von diesen gefühls-


politische Betrachtungen zur Tat von Serajewo

grünt drängen und schließlich in ernste Abhängigkeit von Rußland bringen
könnte. Deshalb hat eigentlich auch Rumänien das größte Interesse daran,
daß die albanischen Zustände geordnet und jene beiden Balkanstaaten gehindert
werden, dort fortgesetzt das Feuer zu schüren oder gar schließlich an albanischem
Territorium selbst sich zu bereichern. Den Griechen dürfte bei Verfolgung
solcher Absichten auch Italien im Wege stehen — und wenn man in
Wien verstände, mit Roni über eine radikale Lösung der albanischen
Frage sich zu einigen, könnte Österreich - Ungarn wohl mit Aussicht auf Erfolg
das Schwert gegen Serbien sprechen lassen. Die Furcht vor Rußland, dem
man zutraut, es werde Österreich-Ungarn in den Arm oder gar in den
Rücken fallen, scheint unbegründet. Auch im Deutschen Reich herrscht vielfach
die Meinung, die russische Regierung suche den Krieg in Europa. Ein¬
geweihte dagegen wissen, daß beispielsweise während der Balkankriege das
nahe verwandtschaftliche Verhältnis der bei der Londoner Konferenz beglaubigten
Vertreter Deutschlands, Österreich-Ungarns und Rußlands mehrfach dazu bei¬
getragen hat, in ernsten Augenblicken die Formen des Meinungsaustausches zu
mildern und der Erhaltung friedlicher Beziehungen unter den großen Mächten
ehrlich zu dienen — ein diplomatisches Stück, das doch nur bei entsprechendem
Willen der -Regierungen durchführbar war. Und auch das angeblich gegen¬
teilige Verhalten des so schnell verstorbenen russischen Gesandten in Belgrad,
Herrn v. Hartwig, der seiner Regierung am besten zu dienen glaubte, wenn er
den südslawischen Ansprüchen den Rücken steifte, beweist doch nur, daß eben
die Entscheidung über Krieg und Frieden nicht in den Händen der Diplomaten,
sondern in denen der Staatsmänner liegt. Ein Staatsmann wird glückhaste
äußere Politik meist nur dann treiben, wenn er sie in Einklang hält mit der
Staatsidee; die aber zwingt das russische Reich keineswegs, einer Hemmung
des serbischen Selbstbewußtseins und Brandlegens Einhalt zu tun.

Einige Blätter nun suchen die voraussichtliche Friedensgeneigtheit des
Zaren mit der Solidarität der Herrscher vor der Idee des skruppellosen Königs¬
mordes zu begründen. Sie prophezeien auf dieser Basis sogar eine Annäherung
der drei europäischen Kaiserreiche, die sich dann also als ein Angstprodukt dynastisch-
legitimistischer Weltanschauung gegenüber dem Radikalismus von Anarchisten
und Nationalisten darstellen würde. Unbedingt vembscheuungswürdig sind
selbstverständlich solche feigen Meuchelmorde wie der, welcher in Serajewo verübt
wurde. Die Sicherung des Lebens der Herrscher ist aber eine polizeiliche Auf¬
gabe, deren Unterstützung durch diplomatische Vereinbarungen notwendig werden
kann; schwerlich aber darf sie zur politischen Tendenz im Staatsleben gemacht
werden. Für den Staat und die Staatsidee leben, denken, sterben — das ist
eben Königshandwerk, das hat Friedrich der Große alle Monarchen gelehrt,
und darum darf es als gleich ehrenvoll gelten, ob einer von ihnen auf dem
Schlachtfelde oder in Ausübung seiner hohen Friedenspflichten einem Gegner
fällt und den Zoll des Lebens zahlt. Gehen wir aber von diesen gefühls-


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[0163] politische Betrachtungen zur Tat von Serajewo grünt drängen und schließlich in ernste Abhängigkeit von Rußland bringen könnte. Deshalb hat eigentlich auch Rumänien das größte Interesse daran, daß die albanischen Zustände geordnet und jene beiden Balkanstaaten gehindert werden, dort fortgesetzt das Feuer zu schüren oder gar schließlich an albanischem Territorium selbst sich zu bereichern. Den Griechen dürfte bei Verfolgung solcher Absichten auch Italien im Wege stehen — und wenn man in Wien verstände, mit Roni über eine radikale Lösung der albanischen Frage sich zu einigen, könnte Österreich - Ungarn wohl mit Aussicht auf Erfolg das Schwert gegen Serbien sprechen lassen. Die Furcht vor Rußland, dem man zutraut, es werde Österreich-Ungarn in den Arm oder gar in den Rücken fallen, scheint unbegründet. Auch im Deutschen Reich herrscht vielfach die Meinung, die russische Regierung suche den Krieg in Europa. Ein¬ geweihte dagegen wissen, daß beispielsweise während der Balkankriege das nahe verwandtschaftliche Verhältnis der bei der Londoner Konferenz beglaubigten Vertreter Deutschlands, Österreich-Ungarns und Rußlands mehrfach dazu bei¬ getragen hat, in ernsten Augenblicken die Formen des Meinungsaustausches zu mildern und der Erhaltung friedlicher Beziehungen unter den großen Mächten ehrlich zu dienen — ein diplomatisches Stück, das doch nur bei entsprechendem Willen der -Regierungen durchführbar war. Und auch das angeblich gegen¬ teilige Verhalten des so schnell verstorbenen russischen Gesandten in Belgrad, Herrn v. Hartwig, der seiner Regierung am besten zu dienen glaubte, wenn er den südslawischen Ansprüchen den Rücken steifte, beweist doch nur, daß eben die Entscheidung über Krieg und Frieden nicht in den Händen der Diplomaten, sondern in denen der Staatsmänner liegt. Ein Staatsmann wird glückhaste äußere Politik meist nur dann treiben, wenn er sie in Einklang hält mit der Staatsidee; die aber zwingt das russische Reich keineswegs, einer Hemmung des serbischen Selbstbewußtseins und Brandlegens Einhalt zu tun. Einige Blätter nun suchen die voraussichtliche Friedensgeneigtheit des Zaren mit der Solidarität der Herrscher vor der Idee des skruppellosen Königs¬ mordes zu begründen. Sie prophezeien auf dieser Basis sogar eine Annäherung der drei europäischen Kaiserreiche, die sich dann also als ein Angstprodukt dynastisch- legitimistischer Weltanschauung gegenüber dem Radikalismus von Anarchisten und Nationalisten darstellen würde. Unbedingt vembscheuungswürdig sind selbstverständlich solche feigen Meuchelmorde wie der, welcher in Serajewo verübt wurde. Die Sicherung des Lebens der Herrscher ist aber eine polizeiliche Auf¬ gabe, deren Unterstützung durch diplomatische Vereinbarungen notwendig werden kann; schwerlich aber darf sie zur politischen Tendenz im Staatsleben gemacht werden. Für den Staat und die Staatsidee leben, denken, sterben — das ist eben Königshandwerk, das hat Friedrich der Große alle Monarchen gelehrt, und darum darf es als gleich ehrenvoll gelten, ob einer von ihnen auf dem Schlachtfelde oder in Ausübung seiner hohen Friedenspflichten einem Gegner fällt und den Zoll des Lebens zahlt. Gehen wir aber von diesen gefühls-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/163>, abgerufen am 01.09.2024.