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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Politische Betrachtungen zur Tat von Serajewo

gebnis aktiven Auftretens österreichischerseits konnte natürlich auch in Berlin
nicht erwünscht sein. Würde aber dann nicht mehreres darauf hindeuten, daß
es für Österreich - Ungarn innerhalb des Dreibundes schwer ist, selbständige
europäische Politik zu treiben?

Die Gründe für die hier berührte Schwierigkeit liegen doch wohl nicht im
Dreibundverhältnis, sondern bei diesem Bundesgliede selbst. Eben das beweist
der in Serajewo vollführte Mordanschlag, welcher in dem Opfer ein politisches
System treffen wollte, das für die Donaumonarchie eine Zukunft zu haben
schien. Es ist ja jetzt müßig, zu raten und abzuwägen, ob Erzherzog Franz
Ferdinand als Kaiser in der Politik rein dynastische oder klerikale, ob er tria"
listische oder imperialistische Wege gewandelt wäre. Das eine scheint jedoch sicher,
daß jeder von ihm gewählte Weg nur ein Mittel hätte sein sollen, um
das Ländergebilde der österreichisch-ungarischen Monarchie zu dem zu machen,
was es, geschichtsphilosophisch angesehen, eigentlich noch nicht ist: zu einem Staat.
Zur Idee eines Staates gehört nämlich, nach Ranke, "das Bewußtsein nicht
allein eines äußeren, sondern auch eines inneren Zusammenhanges," gehört die
Sicherheit, daß Negierungswille und Volkswille nicht erst an den Wendepunkten
der Geschichte eines Reiches, sondern in dessen täglichem innersten Leben stets
wieder sich begegnen. Nun ist aber trotz des gemeinsamen Staatsoberhauptes
die Verfassung der Donaumonarchie nicht nur föderativ, sondern sogar in Her¬
vorbringung des Staatswillens durchaus dualistisch. Man braucht sich nur des
Einflusses zu erinnern, den die Interessen der Ungarn auf die Gestaltung des
Wehrwesens im Reich mitausübten. Aber abgesehen von diesem verfassungs¬
mäßigen Dualismus, besteht er praktisch auch in der österreichischen Reichshälfte,
wo in Fragen der inneren Politik die Regierung Franz Josefs stets wieder in
die Lage kam. die Nationen gegeneinander ausspielen zu müssen und, so oft
dieses Manöver mißglückte, von dem berühmten §14 Gebrauch zu machen,
der ihr das Recht zu zeitweiliger, fast absolutistischer Verwaltungsweise gibt.

Gewiß hat nun gerade der äußere Anschluß an das Deutsche Reich dazu
geführt, daß in der inneren Politik die Neigung herrscht, das slawische Element
zu bevorzugen. Die scharfen Gegensätze in Cisleithanien zwischen Deutschen
und Tschechen stärken wiederum den politischen Wert der transleithanischen
Stimmen bei allen Regierungsmaßnahmen. Aber deren unabhängigere und
einflußreiche Stellungnahme zu allen großen Willensfragen des Staatslebens ist
noch auf andere Weise historisch erwachsen. Die selbständige und europäisch
bedeutende Macht Österreichs begann einst erst mit der Wiedereroberung von
Ungarn, und durch Mäßigung in seinen nationalen Forderungen nach dem
Feldzug von 1866 hat eben dieses Ungarn die eigenstaatlichen Interessen nur
fester neben und innerhalb derer der Gesamtmonarchie aufgepflanzt. Und nun
sehen wir das madjarische Vplkstum mit den österreichischen Nordslawen nicht
ungern im Bunde gegen das deutsche Element im Reiche, während es ander¬
seits in einem gewissen Gegensatz zu den Südslawen steht. Alles dies verwirrt


Politische Betrachtungen zur Tat von Serajewo

gebnis aktiven Auftretens österreichischerseits konnte natürlich auch in Berlin
nicht erwünscht sein. Würde aber dann nicht mehreres darauf hindeuten, daß
es für Österreich - Ungarn innerhalb des Dreibundes schwer ist, selbständige
europäische Politik zu treiben?

Die Gründe für die hier berührte Schwierigkeit liegen doch wohl nicht im
Dreibundverhältnis, sondern bei diesem Bundesgliede selbst. Eben das beweist
der in Serajewo vollführte Mordanschlag, welcher in dem Opfer ein politisches
System treffen wollte, das für die Donaumonarchie eine Zukunft zu haben
schien. Es ist ja jetzt müßig, zu raten und abzuwägen, ob Erzherzog Franz
Ferdinand als Kaiser in der Politik rein dynastische oder klerikale, ob er tria»
listische oder imperialistische Wege gewandelt wäre. Das eine scheint jedoch sicher,
daß jeder von ihm gewählte Weg nur ein Mittel hätte sein sollen, um
das Ländergebilde der österreichisch-ungarischen Monarchie zu dem zu machen,
was es, geschichtsphilosophisch angesehen, eigentlich noch nicht ist: zu einem Staat.
Zur Idee eines Staates gehört nämlich, nach Ranke, „das Bewußtsein nicht
allein eines äußeren, sondern auch eines inneren Zusammenhanges," gehört die
Sicherheit, daß Negierungswille und Volkswille nicht erst an den Wendepunkten
der Geschichte eines Reiches, sondern in dessen täglichem innersten Leben stets
wieder sich begegnen. Nun ist aber trotz des gemeinsamen Staatsoberhauptes
die Verfassung der Donaumonarchie nicht nur föderativ, sondern sogar in Her¬
vorbringung des Staatswillens durchaus dualistisch. Man braucht sich nur des
Einflusses zu erinnern, den die Interessen der Ungarn auf die Gestaltung des
Wehrwesens im Reich mitausübten. Aber abgesehen von diesem verfassungs¬
mäßigen Dualismus, besteht er praktisch auch in der österreichischen Reichshälfte,
wo in Fragen der inneren Politik die Regierung Franz Josefs stets wieder in
die Lage kam. die Nationen gegeneinander ausspielen zu müssen und, so oft
dieses Manöver mißglückte, von dem berühmten §14 Gebrauch zu machen,
der ihr das Recht zu zeitweiliger, fast absolutistischer Verwaltungsweise gibt.

Gewiß hat nun gerade der äußere Anschluß an das Deutsche Reich dazu
geführt, daß in der inneren Politik die Neigung herrscht, das slawische Element
zu bevorzugen. Die scharfen Gegensätze in Cisleithanien zwischen Deutschen
und Tschechen stärken wiederum den politischen Wert der transleithanischen
Stimmen bei allen Regierungsmaßnahmen. Aber deren unabhängigere und
einflußreiche Stellungnahme zu allen großen Willensfragen des Staatslebens ist
noch auf andere Weise historisch erwachsen. Die selbständige und europäisch
bedeutende Macht Österreichs begann einst erst mit der Wiedereroberung von
Ungarn, und durch Mäßigung in seinen nationalen Forderungen nach dem
Feldzug von 1866 hat eben dieses Ungarn die eigenstaatlichen Interessen nur
fester neben und innerhalb derer der Gesamtmonarchie aufgepflanzt. Und nun
sehen wir das madjarische Vplkstum mit den österreichischen Nordslawen nicht
ungern im Bunde gegen das deutsche Element im Reiche, während es ander¬
seits in einem gewissen Gegensatz zu den Südslawen steht. Alles dies verwirrt


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[0161] Politische Betrachtungen zur Tat von Serajewo gebnis aktiven Auftretens österreichischerseits konnte natürlich auch in Berlin nicht erwünscht sein. Würde aber dann nicht mehreres darauf hindeuten, daß es für Österreich - Ungarn innerhalb des Dreibundes schwer ist, selbständige europäische Politik zu treiben? Die Gründe für die hier berührte Schwierigkeit liegen doch wohl nicht im Dreibundverhältnis, sondern bei diesem Bundesgliede selbst. Eben das beweist der in Serajewo vollführte Mordanschlag, welcher in dem Opfer ein politisches System treffen wollte, das für die Donaumonarchie eine Zukunft zu haben schien. Es ist ja jetzt müßig, zu raten und abzuwägen, ob Erzherzog Franz Ferdinand als Kaiser in der Politik rein dynastische oder klerikale, ob er tria» listische oder imperialistische Wege gewandelt wäre. Das eine scheint jedoch sicher, daß jeder von ihm gewählte Weg nur ein Mittel hätte sein sollen, um das Ländergebilde der österreichisch-ungarischen Monarchie zu dem zu machen, was es, geschichtsphilosophisch angesehen, eigentlich noch nicht ist: zu einem Staat. Zur Idee eines Staates gehört nämlich, nach Ranke, „das Bewußtsein nicht allein eines äußeren, sondern auch eines inneren Zusammenhanges," gehört die Sicherheit, daß Negierungswille und Volkswille nicht erst an den Wendepunkten der Geschichte eines Reiches, sondern in dessen täglichem innersten Leben stets wieder sich begegnen. Nun ist aber trotz des gemeinsamen Staatsoberhauptes die Verfassung der Donaumonarchie nicht nur föderativ, sondern sogar in Her¬ vorbringung des Staatswillens durchaus dualistisch. Man braucht sich nur des Einflusses zu erinnern, den die Interessen der Ungarn auf die Gestaltung des Wehrwesens im Reich mitausübten. Aber abgesehen von diesem verfassungs¬ mäßigen Dualismus, besteht er praktisch auch in der österreichischen Reichshälfte, wo in Fragen der inneren Politik die Regierung Franz Josefs stets wieder in die Lage kam. die Nationen gegeneinander ausspielen zu müssen und, so oft dieses Manöver mißglückte, von dem berühmten §14 Gebrauch zu machen, der ihr das Recht zu zeitweiliger, fast absolutistischer Verwaltungsweise gibt. Gewiß hat nun gerade der äußere Anschluß an das Deutsche Reich dazu geführt, daß in der inneren Politik die Neigung herrscht, das slawische Element zu bevorzugen. Die scharfen Gegensätze in Cisleithanien zwischen Deutschen und Tschechen stärken wiederum den politischen Wert der transleithanischen Stimmen bei allen Regierungsmaßnahmen. Aber deren unabhängigere und einflußreiche Stellungnahme zu allen großen Willensfragen des Staatslebens ist noch auf andere Weise historisch erwachsen. Die selbständige und europäisch bedeutende Macht Österreichs begann einst erst mit der Wiedereroberung von Ungarn, und durch Mäßigung in seinen nationalen Forderungen nach dem Feldzug von 1866 hat eben dieses Ungarn die eigenstaatlichen Interessen nur fester neben und innerhalb derer der Gesamtmonarchie aufgepflanzt. Und nun sehen wir das madjarische Vplkstum mit den österreichischen Nordslawen nicht ungern im Bunde gegen das deutsche Element im Reiche, während es ander¬ seits in einem gewissen Gegensatz zu den Südslawen steht. Alles dies verwirrt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/161>, abgerufen am 27.07.2024.