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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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politische Betrachtungen zur Tat von ^erajewo
von Dr. von Szczepanski, Major ni, D.

enden der österreichische Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand
einem Mordanschlag erlegen ist, dessen politische und persönliche
Beweggründe man weniger in anarchistischen als in nationa¬
listischen Auffassungen zu suchen sich gezwungen steht, ist für
die Politik der Donaumonarchie das schwierige Balkanproblem
noch drängender geworden. Als im Oktober 1812 der Balkanbund gegen die
Türkei losschlug, erwarteten viele Freunde Österreich - Ungarns, daß es durch
Besetzung des Sandschak -- womöglich gerechtfertigt durch ein selbstbesorgtes
Mandat der Türkei -- von vornherein eine Trennung der serbischen und
montenegrinischen Streitkräfte herbeiführen und so die räumliche Grenzvereinigung
dieser beiden Völker vorbeugend zu verhindern wissen werde. Allerdings hatte
es, vornehmlich aus militärischen Rücksichten, den Eigenbesitz des Sandschak schon
früher verschmäht. So hat denn das Bewußtsein, dort für sich selbst nichts
wollen zu dürfen und dennoch durch solches prohibitive Vorgehen vielleicht die
russischen Waffen auf sich zu ziehen, damals jede energische Aktion verhindert,
während auf dem Balkan fortgesetzt die wichtigsten Entscheidungen, die Öster¬
reichs Machtstellung nicht unberührt küßen, sich abspielten. Als Ursache jener
Zauderpolitik der Regierung wird in der österreichischen Presse jetzt vielfach die
Verbindung mit dem Deutschen Reiche genannt: von dort her seien warnende,
eben der Besorgnis vor der russischen Waffenmacht entsprungene Einflüsse ge¬
kommen. In Wahrheit dürfte höchstens ein Hinweis erfolgt sein, daß Öster¬
reich-Ungarn für eine kräftige Außenpolitik militärisch doch nicht fertig genug
war. Aber auch dann noch bleibt immer die Frage offen, inwiefern die Re¬
gierung in Wien sich gezwungen sah, von eigener, selbständiger Entschließung
abzusehen und den Ratschlägen des mächtigsten Dreibundgenossm zu folgen.
Man muß wohl eher annehmen, daß noch andere Überlegungen ansprachen
und vor allem die Befürchtung vorlag, auf dem Balkan zugleich in Reibungen
mit dem anderen Dreibundgliede, mit Italien, zu geraten -- und dieses Er-




politische Betrachtungen zur Tat von ^erajewo
von Dr. von Szczepanski, Major ni, D.

enden der österreichische Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand
einem Mordanschlag erlegen ist, dessen politische und persönliche
Beweggründe man weniger in anarchistischen als in nationa¬
listischen Auffassungen zu suchen sich gezwungen steht, ist für
die Politik der Donaumonarchie das schwierige Balkanproblem
noch drängender geworden. Als im Oktober 1812 der Balkanbund gegen die
Türkei losschlug, erwarteten viele Freunde Österreich - Ungarns, daß es durch
Besetzung des Sandschak — womöglich gerechtfertigt durch ein selbstbesorgtes
Mandat der Türkei — von vornherein eine Trennung der serbischen und
montenegrinischen Streitkräfte herbeiführen und so die räumliche Grenzvereinigung
dieser beiden Völker vorbeugend zu verhindern wissen werde. Allerdings hatte
es, vornehmlich aus militärischen Rücksichten, den Eigenbesitz des Sandschak schon
früher verschmäht. So hat denn das Bewußtsein, dort für sich selbst nichts
wollen zu dürfen und dennoch durch solches prohibitive Vorgehen vielleicht die
russischen Waffen auf sich zu ziehen, damals jede energische Aktion verhindert,
während auf dem Balkan fortgesetzt die wichtigsten Entscheidungen, die Öster¬
reichs Machtstellung nicht unberührt küßen, sich abspielten. Als Ursache jener
Zauderpolitik der Regierung wird in der österreichischen Presse jetzt vielfach die
Verbindung mit dem Deutschen Reiche genannt: von dort her seien warnende,
eben der Besorgnis vor der russischen Waffenmacht entsprungene Einflüsse ge¬
kommen. In Wahrheit dürfte höchstens ein Hinweis erfolgt sein, daß Öster¬
reich-Ungarn für eine kräftige Außenpolitik militärisch doch nicht fertig genug
war. Aber auch dann noch bleibt immer die Frage offen, inwiefern die Re¬
gierung in Wien sich gezwungen sah, von eigener, selbständiger Entschließung
abzusehen und den Ratschlägen des mächtigsten Dreibundgenossm zu folgen.
Man muß wohl eher annehmen, daß noch andere Überlegungen ansprachen
und vor allem die Befürchtung vorlag, auf dem Balkan zugleich in Reibungen
mit dem anderen Dreibundgliede, mit Italien, zu geraten — und dieses Er-


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[0160] [Abbildung] politische Betrachtungen zur Tat von ^erajewo von Dr. von Szczepanski, Major ni, D. enden der österreichische Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand einem Mordanschlag erlegen ist, dessen politische und persönliche Beweggründe man weniger in anarchistischen als in nationa¬ listischen Auffassungen zu suchen sich gezwungen steht, ist für die Politik der Donaumonarchie das schwierige Balkanproblem noch drängender geworden. Als im Oktober 1812 der Balkanbund gegen die Türkei losschlug, erwarteten viele Freunde Österreich - Ungarns, daß es durch Besetzung des Sandschak — womöglich gerechtfertigt durch ein selbstbesorgtes Mandat der Türkei — von vornherein eine Trennung der serbischen und montenegrinischen Streitkräfte herbeiführen und so die räumliche Grenzvereinigung dieser beiden Völker vorbeugend zu verhindern wissen werde. Allerdings hatte es, vornehmlich aus militärischen Rücksichten, den Eigenbesitz des Sandschak schon früher verschmäht. So hat denn das Bewußtsein, dort für sich selbst nichts wollen zu dürfen und dennoch durch solches prohibitive Vorgehen vielleicht die russischen Waffen auf sich zu ziehen, damals jede energische Aktion verhindert, während auf dem Balkan fortgesetzt die wichtigsten Entscheidungen, die Öster¬ reichs Machtstellung nicht unberührt küßen, sich abspielten. Als Ursache jener Zauderpolitik der Regierung wird in der österreichischen Presse jetzt vielfach die Verbindung mit dem Deutschen Reiche genannt: von dort her seien warnende, eben der Besorgnis vor der russischen Waffenmacht entsprungene Einflüsse ge¬ kommen. In Wahrheit dürfte höchstens ein Hinweis erfolgt sein, daß Öster¬ reich-Ungarn für eine kräftige Außenpolitik militärisch doch nicht fertig genug war. Aber auch dann noch bleibt immer die Frage offen, inwiefern die Re¬ gierung in Wien sich gezwungen sah, von eigener, selbständiger Entschließung abzusehen und den Ratschlägen des mächtigsten Dreibundgenossm zu folgen. Man muß wohl eher annehmen, daß noch andere Überlegungen ansprachen und vor allem die Befürchtung vorlag, auf dem Balkan zugleich in Reibungen mit dem anderen Dreibundgliede, mit Italien, zu geraten — und dieses Er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/160>, abgerufen am 27.07.2024.