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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Nationalpolitik und Staatspolitik

national, so hätten die Sozialdemokraten recht von Klasscnstaat und Klassen¬
politik zu sprechen, dann müßten die deutschen Schichten vor anderen nicht¬
deutschen bevorzugt werden. Tatsächlich ist aber das Umgekehrte der Fall:
die deutscheste Schicht der Reichsdeutschen, alles das, was Schmoller seinerzeit
als den neuen Mittelstand bezeichnet hat, die Staats- und Privatbeamten, die
Offiziere und Unteroffiziere, die Lehrer und Pastoren, die geistige Elite des Volks,
diese Millionen deutscher Staatsbürger werden geradezu zurückgesetzt zugunsten
der rein wirtschaftlich arbeitenden Klassen, die sowohl in ihren Unterschichten
wie in ihren Spitzen nicht ohne weiteres der deutschen Nationalität zuzurechnen
sind, -- diese infolge ihrer wirtschaftlichen oder auch nur finanziellen Abhängigkeit
vom Auslande, jene als Zugehörige zu andern Nationalitäten, als Polen.

Diese Beurteilung der Lage des Deutschtums in Deutschland findet ihren
lebhaften Ausdruck in allen jenen Organisationen, die das Wort "völkisch" auf
ihr Panier geschrieben haben, nachdem das Wort "national" einen durchaus
unnationalen Inhalt bekommen hat. Ich stimme, so will es mir scheinen,
hierin mit den Führern der deutsch-völkischen Verbände überein. Weiter
stimme ich mit ihnen überein, wenn ich meine, daß die Wirtschaftspolitik
nicht national sein kann, solange mit ihr nicht Hand in Hand eine
objektive rücksichtslose Züchtungs- und demokratische Bodenpolitik geht. Aber
unsere Ansichten werden sich schon da trennen, fürchte ich. wo die praktische
Durchführung der als notwendig erkannten Maßnahmen beginnt. Es ist
ohne schwere Schädigung des deutschen Volkstums ein Ding der Unmög¬
lichkeit, den reichsdeutschen Unternehmer aus dem internationalen, die Welt
umspannenden Verbände mit seinen Rücksichten und Abhängigkeiten heraus¬
zuschälen, es ist weiter unmöglich, den Polen heute noch zu unserem Jndustrie-
oder Agrarsklaven zu machen, weil jene international gebundenen und inter¬
national kämpfenden und konkurrierenden Industriellen und Landwirte in ihren
Betrieben nur intelligente, selbständig denkende Arbeiter, nicht aber stumpfe Sklaven
brauchen können. Wir sind national (völkisch!) abhängig geworden durch unsre
Wirtschaft, und unser Nationalstaat genanntes Reich ist augenscheinlich nicht
befähigt, uns aus dieser Abhängigkeit zu befreien. Wir können uns keine Sklaven¬
völker mehr unterjochen, ohne uns selbst für den kurzen Traum, Herrscher zu
sein, kulturell zu opfern. Wir können in dem heutigen Deutschen Reich nur
einer Wirtschaft dienen, die wir vielleicht aus dem einen Grunde als national
bezeichnen dürfen, weil wir Anteil haben an der Verteilung der Gewinne
aus ihr.


Nationalpolitik und Staatspolitik

national, so hätten die Sozialdemokraten recht von Klasscnstaat und Klassen¬
politik zu sprechen, dann müßten die deutschen Schichten vor anderen nicht¬
deutschen bevorzugt werden. Tatsächlich ist aber das Umgekehrte der Fall:
die deutscheste Schicht der Reichsdeutschen, alles das, was Schmoller seinerzeit
als den neuen Mittelstand bezeichnet hat, die Staats- und Privatbeamten, die
Offiziere und Unteroffiziere, die Lehrer und Pastoren, die geistige Elite des Volks,
diese Millionen deutscher Staatsbürger werden geradezu zurückgesetzt zugunsten
der rein wirtschaftlich arbeitenden Klassen, die sowohl in ihren Unterschichten
wie in ihren Spitzen nicht ohne weiteres der deutschen Nationalität zuzurechnen
sind, — diese infolge ihrer wirtschaftlichen oder auch nur finanziellen Abhängigkeit
vom Auslande, jene als Zugehörige zu andern Nationalitäten, als Polen.

Diese Beurteilung der Lage des Deutschtums in Deutschland findet ihren
lebhaften Ausdruck in allen jenen Organisationen, die das Wort „völkisch" auf
ihr Panier geschrieben haben, nachdem das Wort „national" einen durchaus
unnationalen Inhalt bekommen hat. Ich stimme, so will es mir scheinen,
hierin mit den Führern der deutsch-völkischen Verbände überein. Weiter
stimme ich mit ihnen überein, wenn ich meine, daß die Wirtschaftspolitik
nicht national sein kann, solange mit ihr nicht Hand in Hand eine
objektive rücksichtslose Züchtungs- und demokratische Bodenpolitik geht. Aber
unsere Ansichten werden sich schon da trennen, fürchte ich. wo die praktische
Durchführung der als notwendig erkannten Maßnahmen beginnt. Es ist
ohne schwere Schädigung des deutschen Volkstums ein Ding der Unmög¬
lichkeit, den reichsdeutschen Unternehmer aus dem internationalen, die Welt
umspannenden Verbände mit seinen Rücksichten und Abhängigkeiten heraus¬
zuschälen, es ist weiter unmöglich, den Polen heute noch zu unserem Jndustrie-
oder Agrarsklaven zu machen, weil jene international gebundenen und inter¬
national kämpfenden und konkurrierenden Industriellen und Landwirte in ihren
Betrieben nur intelligente, selbständig denkende Arbeiter, nicht aber stumpfe Sklaven
brauchen können. Wir sind national (völkisch!) abhängig geworden durch unsre
Wirtschaft, und unser Nationalstaat genanntes Reich ist augenscheinlich nicht
befähigt, uns aus dieser Abhängigkeit zu befreien. Wir können uns keine Sklaven¬
völker mehr unterjochen, ohne uns selbst für den kurzen Traum, Herrscher zu
sein, kulturell zu opfern. Wir können in dem heutigen Deutschen Reich nur
einer Wirtschaft dienen, die wir vielleicht aus dem einen Grunde als national
bezeichnen dürfen, weil wir Anteil haben an der Verteilung der Gewinne
aus ihr.


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[0158] Nationalpolitik und Staatspolitik national, so hätten die Sozialdemokraten recht von Klasscnstaat und Klassen¬ politik zu sprechen, dann müßten die deutschen Schichten vor anderen nicht¬ deutschen bevorzugt werden. Tatsächlich ist aber das Umgekehrte der Fall: die deutscheste Schicht der Reichsdeutschen, alles das, was Schmoller seinerzeit als den neuen Mittelstand bezeichnet hat, die Staats- und Privatbeamten, die Offiziere und Unteroffiziere, die Lehrer und Pastoren, die geistige Elite des Volks, diese Millionen deutscher Staatsbürger werden geradezu zurückgesetzt zugunsten der rein wirtschaftlich arbeitenden Klassen, die sowohl in ihren Unterschichten wie in ihren Spitzen nicht ohne weiteres der deutschen Nationalität zuzurechnen sind, — diese infolge ihrer wirtschaftlichen oder auch nur finanziellen Abhängigkeit vom Auslande, jene als Zugehörige zu andern Nationalitäten, als Polen. Diese Beurteilung der Lage des Deutschtums in Deutschland findet ihren lebhaften Ausdruck in allen jenen Organisationen, die das Wort „völkisch" auf ihr Panier geschrieben haben, nachdem das Wort „national" einen durchaus unnationalen Inhalt bekommen hat. Ich stimme, so will es mir scheinen, hierin mit den Führern der deutsch-völkischen Verbände überein. Weiter stimme ich mit ihnen überein, wenn ich meine, daß die Wirtschaftspolitik nicht national sein kann, solange mit ihr nicht Hand in Hand eine objektive rücksichtslose Züchtungs- und demokratische Bodenpolitik geht. Aber unsere Ansichten werden sich schon da trennen, fürchte ich. wo die praktische Durchführung der als notwendig erkannten Maßnahmen beginnt. Es ist ohne schwere Schädigung des deutschen Volkstums ein Ding der Unmög¬ lichkeit, den reichsdeutschen Unternehmer aus dem internationalen, die Welt umspannenden Verbände mit seinen Rücksichten und Abhängigkeiten heraus¬ zuschälen, es ist weiter unmöglich, den Polen heute noch zu unserem Jndustrie- oder Agrarsklaven zu machen, weil jene international gebundenen und inter¬ national kämpfenden und konkurrierenden Industriellen und Landwirte in ihren Betrieben nur intelligente, selbständig denkende Arbeiter, nicht aber stumpfe Sklaven brauchen können. Wir sind national (völkisch!) abhängig geworden durch unsre Wirtschaft, und unser Nationalstaat genanntes Reich ist augenscheinlich nicht befähigt, uns aus dieser Abhängigkeit zu befreien. Wir können uns keine Sklaven¬ völker mehr unterjochen, ohne uns selbst für den kurzen Traum, Herrscher zu sein, kulturell zu opfern. Wir können in dem heutigen Deutschen Reich nur einer Wirtschaft dienen, die wir vielleicht aus dem einen Grunde als national bezeichnen dürfen, weil wir Anteil haben an der Verteilung der Gewinne aus ihr.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/158>, abgerufen am 27.07.2024.