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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Bücher zur neueren deutschen Literatur

hat. Und trotzdem: ein deutscher Autor brauchte dieser glänzende Schriftsteller
nicht unbedingt zu sein; er hätte ebenso gut etwa in Frankreich geboren werden
können, und dort würde man ihn wohl ausschließlicher bewundern als bei uns.
In Deutschland wird es mit der Schätzung Thomas Manns wohl immer
bleiben, wie Alberts in seinem Buch einmal äußert: "Die einen fühlen sich auf
das lebhafteste angezogen und erklären etwa, sie hätten die Buddenbrooks mit
dem Gefühl der Trauer aus der Hand gelegt, es wäre ihnen gewesen, als
müßten sie von einem teuren Freunde Abschied nehmen. Die anderen sprechen
mit allen Zeichen des lebhaften Abscheus von diesen Werken . . . Was ist
das für eine seltsame Vorliebe sür das in Zersetzung Begriffene, für das An¬
gefaulte? Es geht von diesen Büchern ein Verwesungsgeruch aus. Der Rosen¬
stock in .Königliche Hoheit' mit seinem Moderduft ist symbolisch für diese ganze
Kunst. Und vielleicht haben die Einsichtigsten und Weitherzigsten eine Mischung
beider Ansichten in sich verspürt." Auf diesen letzten Satz Alberts möchte ich
den Ton legen.

Thomas Mann ist der Autor der skeptischen Zurückhaltung, der sich selten
so entschieden äußert, daß man sagen kann, dies sei nun auch des Autors per¬
sönliche Meinung. Welche Gegensätze in der Literatur unserer Zeit decken wir
auf, wenn wir neben ihn den stets entschiedenen Richard Dehmel stellen! Nicht
wie in anderen Zeiten ein Dramatiker, sondern ein Lyriker hat es in unserer
Gegenwart übernommen, den Willen der Zeit auszusprechen, der Richtung
gibt; und nicht etwa ein politischer, sondern ein erotischer Lyriker mit sozialem
Einschlag. Auch Dehmels Epos "Zwei Menschen" bleibt doch stürmisch vor¬
gelebte Lyrik und ist trotz seiner einheitlichen "Romanzen"-Form nur ein
Schritt weiter auf dem Wege seiner früheren Gedichtbücher, die auch stets cire
Gesamtanlage aufwiesen. Die mehrfache Herausgabe Gesammelter Werke
Dehmels, die eingetretene Unterbrechung seines Schaffens hat nun auch Bücher
über ihn hervorgerufen, von denen mir Emil Ludwigs Schrift "Richard
Dehmel" (Verlag S. Fischer, Berlin) vorliegt. Sie ist aphoristischer und
manierierter als die besprochenen Arbeiten über Raabe, Liliencron und Mann,
tritt auch anspruchsvoller auf. Dabei ist sie allerdings nicht kritiklos
enthusiasmiert und gibt, unter Einstreuung zahlreicher Gedichtproben, in an¬
deutender Art so ungesähr ein Umrißbild des Dehmelschen Schaffens. Ludwig
stellt seinen Helden sehr hoch: "Nietzsche war kein Übermensch. Aber Dehmel
ist der Mensch, der dem Schicksal gewachsen ist." Von einem allmählichen
Abbrechen des Dehmelschen Schaffens will er nichts wissen: "Es lügt, wer
ihn erloschen nennt.... Weil er reif geworden, klagen sie, er blühe nicht
mehr."

Das Buch Ludwigs ist unter den heute genannten am wenigsten "Literatur¬
geschichte", will es natürlich auch gar nicht sein. Es ist als "Stimme der
Zeit" lediglich ein Beitrag für eine künftige Betrachtung Dehmels. Ihr
Publikum müssen solch gut ausgestattete Bücher aber doch immer finden, auch


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hat. Und trotzdem: ein deutscher Autor brauchte dieser glänzende Schriftsteller
nicht unbedingt zu sein; er hätte ebenso gut etwa in Frankreich geboren werden
können, und dort würde man ihn wohl ausschließlicher bewundern als bei uns.
In Deutschland wird es mit der Schätzung Thomas Manns wohl immer
bleiben, wie Alberts in seinem Buch einmal äußert: „Die einen fühlen sich auf
das lebhafteste angezogen und erklären etwa, sie hätten die Buddenbrooks mit
dem Gefühl der Trauer aus der Hand gelegt, es wäre ihnen gewesen, als
müßten sie von einem teuren Freunde Abschied nehmen. Die anderen sprechen
mit allen Zeichen des lebhaften Abscheus von diesen Werken . . . Was ist
das für eine seltsame Vorliebe sür das in Zersetzung Begriffene, für das An¬
gefaulte? Es geht von diesen Büchern ein Verwesungsgeruch aus. Der Rosen¬
stock in .Königliche Hoheit' mit seinem Moderduft ist symbolisch für diese ganze
Kunst. Und vielleicht haben die Einsichtigsten und Weitherzigsten eine Mischung
beider Ansichten in sich verspürt." Auf diesen letzten Satz Alberts möchte ich
den Ton legen.

Thomas Mann ist der Autor der skeptischen Zurückhaltung, der sich selten
so entschieden äußert, daß man sagen kann, dies sei nun auch des Autors per¬
sönliche Meinung. Welche Gegensätze in der Literatur unserer Zeit decken wir
auf, wenn wir neben ihn den stets entschiedenen Richard Dehmel stellen! Nicht
wie in anderen Zeiten ein Dramatiker, sondern ein Lyriker hat es in unserer
Gegenwart übernommen, den Willen der Zeit auszusprechen, der Richtung
gibt; und nicht etwa ein politischer, sondern ein erotischer Lyriker mit sozialem
Einschlag. Auch Dehmels Epos „Zwei Menschen" bleibt doch stürmisch vor¬
gelebte Lyrik und ist trotz seiner einheitlichen „Romanzen"-Form nur ein
Schritt weiter auf dem Wege seiner früheren Gedichtbücher, die auch stets cire
Gesamtanlage aufwiesen. Die mehrfache Herausgabe Gesammelter Werke
Dehmels, die eingetretene Unterbrechung seines Schaffens hat nun auch Bücher
über ihn hervorgerufen, von denen mir Emil Ludwigs Schrift „Richard
Dehmel" (Verlag S. Fischer, Berlin) vorliegt. Sie ist aphoristischer und
manierierter als die besprochenen Arbeiten über Raabe, Liliencron und Mann,
tritt auch anspruchsvoller auf. Dabei ist sie allerdings nicht kritiklos
enthusiasmiert und gibt, unter Einstreuung zahlreicher Gedichtproben, in an¬
deutender Art so ungesähr ein Umrißbild des Dehmelschen Schaffens. Ludwig
stellt seinen Helden sehr hoch: „Nietzsche war kein Übermensch. Aber Dehmel
ist der Mensch, der dem Schicksal gewachsen ist." Von einem allmählichen
Abbrechen des Dehmelschen Schaffens will er nichts wissen: „Es lügt, wer
ihn erloschen nennt.... Weil er reif geworden, klagen sie, er blühe nicht
mehr."

Das Buch Ludwigs ist unter den heute genannten am wenigsten „Literatur¬
geschichte", will es natürlich auch gar nicht sein. Es ist als „Stimme der
Zeit" lediglich ein Beitrag für eine künftige Betrachtung Dehmels. Ihr
Publikum müssen solch gut ausgestattete Bücher aber doch immer finden, auch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/151>, abgerufen am 01.09.2024.