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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Hundertundfünfzig Jahre deutscher Kunst

den aus dem Gelehrtenstand hervorgehenden Poeten -- man zögert, sie schon
"Dichter" zu nennen -- mächtige Helfershelfer. In einem Manne aber,
Künstler und Dichter zugleich, geht der antike Geist eine eigenartige und sehr
glückliche Einigung mit natürlicher Ursprünglichkeit ein: das ist der bereits
früher erwähnte Salomon Geßner. Wie viele seiner Zeit -- er lebte von
1730 bis 1788, meist in seiner Heimatstadt Zürich -- stand er unter dem
Bann der Schriften Winckelmanns, mit denen dieser im ersten Jahrzehnt der
zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts "nordische Griechen" zu schaffen
unternahm. Aber Geßner ist wohl der einzige deutsche Maler der damaligen
Zeit, der, was Winckelmann predigte, in die Tat umzusetzen verstand -- nicht
gerade im großen, doch aber eben im rechten Geist. Er schrieb einst im
Jahre 1759 die Worte: "Bei den griechischen Bildhauern erlangt der Maler
die sublimsten Begriffe vom Schönen und lernt, was man der Natur leihen
müsse, um der Nachahmung Anstand und Würde zu geben." In seinen Schwarz¬
weißblättern, die am meisten bekannt sind, besteht er wohl etwas zu sehr auf
"Anstand und Würde", wenn er aber den Pinsel in die Hand nimmt und die
Farben auf der Palette schimmern sieht, wenn er als Maler tätig ist, wird
dieser Griechenschwärmer ein anderer. Da gelingen ihm einmal Werke wie
jener von aller "Antike" ganz ferne "Reiterkampf im Walde" und dann wieder
ganz wunderfeine Landschaftsidvllen wie das "Römische Bad" und "Am Brunnen",
die beide dem britischen Generalkonsul in Zürich, Dr. H. Angst gehören. In
diesen zwei kleinen Bildern hat Geßner seinem eigenen Ausspruch die weiteste
Auslegung gegeben und ihn im Geiste nicht im Buchstaben befolgt. Voll-
gesangt von dem hellen, klaren, künstlerischen Geist der wahren Antike -- endlich
der Griechen selber, nicht deren Surrogate -- läßt er sein eigenes Künstlertum
schalten, leiht wohl der Natur Schönheit, zum guten Teil aber, indem er ge¬
öffneten Auges und mit freier Seele die Schönheit aus ihr selber herausfühlt,
herausholt und nun zu einheitlicher Stimmung verdichtet, wie es dem Dichter,
dem Künstler gebührt. Das Fluten leuchtenden und warmen Sonnenlichts, er
muß es selber gefühlt und gesehen, an dem kühlen Schatten muß er selber sich
gelabt, am Brunnen dem Plätschern des Wassers selber gelauscht, in der schönen
Pergola selber des Weines sich gefreut haben. Und all die eigenen Erlebnisse
verdichten sich nun zu diesen Bildern, die, klein wie sie sind, eines ganzen
Lebens Wirken und Wollen, eines ganzen Lebens Schöne umschließen. In
ihnen erreichte Geßner hundert Jahre eher, was dann Böcklin von neuem für
sich eroberte. Wenn man sagen kann, daß über diesen gemalten Idyllen Geßners
die Sonne Homers lächelt, so ist das wahr, sie lächelt aber über ihnen
nur, weil die alte und ewig junge Sonne selber dem Maler und Menschen
Geßner gelächelt und er ihr Lächeln gesehen und auch verstanden hat. In
diesen Bildern hat Geßner die Antike im echten Sinne "nachgeahmt", indem
er nämlich in ihrem Geiste selbständig geschaffen hat. Die Antike ist vielen
zu vielen Zeiten zum Prüfstein geworden. In jener Zeit haben die wenigstens


Hundertundfünfzig Jahre deutscher Kunst

den aus dem Gelehrtenstand hervorgehenden Poeten — man zögert, sie schon
„Dichter" zu nennen — mächtige Helfershelfer. In einem Manne aber,
Künstler und Dichter zugleich, geht der antike Geist eine eigenartige und sehr
glückliche Einigung mit natürlicher Ursprünglichkeit ein: das ist der bereits
früher erwähnte Salomon Geßner. Wie viele seiner Zeit — er lebte von
1730 bis 1788, meist in seiner Heimatstadt Zürich — stand er unter dem
Bann der Schriften Winckelmanns, mit denen dieser im ersten Jahrzehnt der
zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts „nordische Griechen" zu schaffen
unternahm. Aber Geßner ist wohl der einzige deutsche Maler der damaligen
Zeit, der, was Winckelmann predigte, in die Tat umzusetzen verstand — nicht
gerade im großen, doch aber eben im rechten Geist. Er schrieb einst im
Jahre 1759 die Worte: „Bei den griechischen Bildhauern erlangt der Maler
die sublimsten Begriffe vom Schönen und lernt, was man der Natur leihen
müsse, um der Nachahmung Anstand und Würde zu geben." In seinen Schwarz¬
weißblättern, die am meisten bekannt sind, besteht er wohl etwas zu sehr auf
„Anstand und Würde", wenn er aber den Pinsel in die Hand nimmt und die
Farben auf der Palette schimmern sieht, wenn er als Maler tätig ist, wird
dieser Griechenschwärmer ein anderer. Da gelingen ihm einmal Werke wie
jener von aller „Antike" ganz ferne „Reiterkampf im Walde" und dann wieder
ganz wunderfeine Landschaftsidvllen wie das „Römische Bad" und „Am Brunnen",
die beide dem britischen Generalkonsul in Zürich, Dr. H. Angst gehören. In
diesen zwei kleinen Bildern hat Geßner seinem eigenen Ausspruch die weiteste
Auslegung gegeben und ihn im Geiste nicht im Buchstaben befolgt. Voll-
gesangt von dem hellen, klaren, künstlerischen Geist der wahren Antike — endlich
der Griechen selber, nicht deren Surrogate — läßt er sein eigenes Künstlertum
schalten, leiht wohl der Natur Schönheit, zum guten Teil aber, indem er ge¬
öffneten Auges und mit freier Seele die Schönheit aus ihr selber herausfühlt,
herausholt und nun zu einheitlicher Stimmung verdichtet, wie es dem Dichter,
dem Künstler gebührt. Das Fluten leuchtenden und warmen Sonnenlichts, er
muß es selber gefühlt und gesehen, an dem kühlen Schatten muß er selber sich
gelabt, am Brunnen dem Plätschern des Wassers selber gelauscht, in der schönen
Pergola selber des Weines sich gefreut haben. Und all die eigenen Erlebnisse
verdichten sich nun zu diesen Bildern, die, klein wie sie sind, eines ganzen
Lebens Wirken und Wollen, eines ganzen Lebens Schöne umschließen. In
ihnen erreichte Geßner hundert Jahre eher, was dann Böcklin von neuem für
sich eroberte. Wenn man sagen kann, daß über diesen gemalten Idyllen Geßners
die Sonne Homers lächelt, so ist das wahr, sie lächelt aber über ihnen
nur, weil die alte und ewig junge Sonne selber dem Maler und Menschen
Geßner gelächelt und er ihr Lächeln gesehen und auch verstanden hat. In
diesen Bildern hat Geßner die Antike im echten Sinne „nachgeahmt", indem
er nämlich in ihrem Geiste selbständig geschaffen hat. Die Antike ist vielen
zu vielen Zeiten zum Prüfstein geworden. In jener Zeit haben die wenigstens


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/134>, abgerufen am 01.09.2024.