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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Die energetische Naturauffassung

würde. Das: "Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot ver¬
dienen," würde nicht mehr gelten. Der Unterschied zwischen reich und arm
wäre aufgehoben. Es gäbe keine soziale Frage mehr .... Eine schwindel¬
erregende Perspektive! . . . Daß die Größe der Energiemenge, die im
materiellen Atom steckt und durch dessen Dissoziation frei würde, dabei nicht
übertrieben hoch veranschlagt ist. beweist die le Bonsche Berechnung. Sie zeigt,
daß die Dissoziation etwa von einem Zweipfennigstück (2 eine Energiemenge
von ungefähr 13,6 Milliarden Pferdekräften ergeben würde, also genug, um
einen Güterzug von gewöhnlicher Länge 8^/2 mal um den ganzen Erdball
herum zu senden.

Wir Menschen sind nicht imstande, die Materie in technisch verwertbarer
Weise zu dissoziieren. Die Natur aber, die die Materie sich aus Energie hat
kondensieren lassen, kann sie auch wieder in solche dissoziieren. Im kleinen
tritt uns dieser Dissoziationsprozeß bei den radioaktiven Erscheinungen entgegen,
die daher eben dem "Satz von der Energieerhaltung" im mechanistischen Sinne
widersprechen. Im großen aber vollzieht die Natur ebenfalls diesen Disso¬
ziationsprozeß. Nur braucht sie dazu Jahrbillionen, geradeso wie die Konden¬
sation Jahrbillionen in Anspruch genommen hat. Wie die Materie aus dem
Äther entstanden ist, so wird sie auch wieder in ihn vergehen. Die Elektrizität
ist ein Zwischenprodukt auf diesem Wege. Sie ist nicht mehr Materie und noch
nicht Äther. Falsch ist der Grundsatz der mechanistischen Naturauffassung:
Nichts entsteht, nichts vergeht. Wir müssen vielmehr sagen: Nichts entsteht,
alles vergeht. Wie unser eigener menschlicher Leib aus Lichtüther gewoben ist,
so daß wir im buchstäblichen Wortsinne "Kinder des Lichtes" sind, so auch
alle anderen Körper in der Natur. Aus was die Welt gewoben ist, in das
wird sie wieder aufgelöst werden. Aus dieser Auflösung, aus der "Demateriali-
sation der Materie" und der dabei frei werdenden Energie stammen. Elektrizität,
Sonnenwärme und überhaupt die meisten Kräfte im Weltall. Der Äther selbst
aber ist die Wiege alles Seienden, das Chaos, aus dem das ganze materielle
Dasein hervorgegangen ist. und auch das Grab, das Nirwana der Philosophen,
in das alles körperliche Sein dereinst wieder versinken wird.




Die energetische Naturauffassung

würde. Das: „Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot ver¬
dienen," würde nicht mehr gelten. Der Unterschied zwischen reich und arm
wäre aufgehoben. Es gäbe keine soziale Frage mehr .... Eine schwindel¬
erregende Perspektive! . . . Daß die Größe der Energiemenge, die im
materiellen Atom steckt und durch dessen Dissoziation frei würde, dabei nicht
übertrieben hoch veranschlagt ist. beweist die le Bonsche Berechnung. Sie zeigt,
daß die Dissoziation etwa von einem Zweipfennigstück (2 eine Energiemenge
von ungefähr 13,6 Milliarden Pferdekräften ergeben würde, also genug, um
einen Güterzug von gewöhnlicher Länge 8^/2 mal um den ganzen Erdball
herum zu senden.

Wir Menschen sind nicht imstande, die Materie in technisch verwertbarer
Weise zu dissoziieren. Die Natur aber, die die Materie sich aus Energie hat
kondensieren lassen, kann sie auch wieder in solche dissoziieren. Im kleinen
tritt uns dieser Dissoziationsprozeß bei den radioaktiven Erscheinungen entgegen,
die daher eben dem „Satz von der Energieerhaltung" im mechanistischen Sinne
widersprechen. Im großen aber vollzieht die Natur ebenfalls diesen Disso¬
ziationsprozeß. Nur braucht sie dazu Jahrbillionen, geradeso wie die Konden¬
sation Jahrbillionen in Anspruch genommen hat. Wie die Materie aus dem
Äther entstanden ist, so wird sie auch wieder in ihn vergehen. Die Elektrizität
ist ein Zwischenprodukt auf diesem Wege. Sie ist nicht mehr Materie und noch
nicht Äther. Falsch ist der Grundsatz der mechanistischen Naturauffassung:
Nichts entsteht, nichts vergeht. Wir müssen vielmehr sagen: Nichts entsteht,
alles vergeht. Wie unser eigener menschlicher Leib aus Lichtüther gewoben ist,
so daß wir im buchstäblichen Wortsinne „Kinder des Lichtes" sind, so auch
alle anderen Körper in der Natur. Aus was die Welt gewoben ist, in das
wird sie wieder aufgelöst werden. Aus dieser Auflösung, aus der „Demateriali-
sation der Materie" und der dabei frei werdenden Energie stammen. Elektrizität,
Sonnenwärme und überhaupt die meisten Kräfte im Weltall. Der Äther selbst
aber ist die Wiege alles Seienden, das Chaos, aus dem das ganze materielle
Dasein hervorgegangen ist. und auch das Grab, das Nirwana der Philosophen,
in das alles körperliche Sein dereinst wieder versinken wird.




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[0129] Die energetische Naturauffassung würde. Das: „Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot ver¬ dienen," würde nicht mehr gelten. Der Unterschied zwischen reich und arm wäre aufgehoben. Es gäbe keine soziale Frage mehr .... Eine schwindel¬ erregende Perspektive! . . . Daß die Größe der Energiemenge, die im materiellen Atom steckt und durch dessen Dissoziation frei würde, dabei nicht übertrieben hoch veranschlagt ist. beweist die le Bonsche Berechnung. Sie zeigt, daß die Dissoziation etwa von einem Zweipfennigstück (2 eine Energiemenge von ungefähr 13,6 Milliarden Pferdekräften ergeben würde, also genug, um einen Güterzug von gewöhnlicher Länge 8^/2 mal um den ganzen Erdball herum zu senden. Wir Menschen sind nicht imstande, die Materie in technisch verwertbarer Weise zu dissoziieren. Die Natur aber, die die Materie sich aus Energie hat kondensieren lassen, kann sie auch wieder in solche dissoziieren. Im kleinen tritt uns dieser Dissoziationsprozeß bei den radioaktiven Erscheinungen entgegen, die daher eben dem „Satz von der Energieerhaltung" im mechanistischen Sinne widersprechen. Im großen aber vollzieht die Natur ebenfalls diesen Disso¬ ziationsprozeß. Nur braucht sie dazu Jahrbillionen, geradeso wie die Konden¬ sation Jahrbillionen in Anspruch genommen hat. Wie die Materie aus dem Äther entstanden ist, so wird sie auch wieder in ihn vergehen. Die Elektrizität ist ein Zwischenprodukt auf diesem Wege. Sie ist nicht mehr Materie und noch nicht Äther. Falsch ist der Grundsatz der mechanistischen Naturauffassung: Nichts entsteht, nichts vergeht. Wir müssen vielmehr sagen: Nichts entsteht, alles vergeht. Wie unser eigener menschlicher Leib aus Lichtüther gewoben ist, so daß wir im buchstäblichen Wortsinne „Kinder des Lichtes" sind, so auch alle anderen Körper in der Natur. Aus was die Welt gewoben ist, in das wird sie wieder aufgelöst werden. Aus dieser Auflösung, aus der „Demateriali- sation der Materie" und der dabei frei werdenden Energie stammen. Elektrizität, Sonnenwärme und überhaupt die meisten Kräfte im Weltall. Der Äther selbst aber ist die Wiege alles Seienden, das Chaos, aus dem das ganze materielle Dasein hervorgegangen ist. und auch das Grab, das Nirwana der Philosophen, in das alles körperliche Sein dereinst wieder versinken wird.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/129>, abgerufen am 01.09.2024.