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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Hundertundfünfzig Jahre deutscher Kunst

drei Werke find von geradezu erstaunlicher Vitalität. Auf ihnen scheint jeder
Pinselstrich selber ein Säbelhieb zu sein, und ein jeder sitzt und charakterisiert,
was er soll, vollkommen. Licht und Schatten sind auf das Kühnste verteilt,
um die Gruppen energisch hervorzuheben. Und selbst jener Degen, von dem
soeben die Rede war, erscheint nicht mehr Konvention, denn er gehört gleichsam
gen>z natürlich an seine Stelle, da hier ja fo wie so Tote und Verwundete und
ihre Sachen auf dem Boden herumliegen. Statt eine ganze Schlacht darzu¬
stellen, was mit diesen realistischen Mitteln niemals vollkommen gelingen
könnte, wählt der wahrhaft bedeutende Maler jeweils eine charakteristische
Episode und verlegt den Hauptkampf in den Hintergrund, in dem von Hellem
Licht umflossen eine ganze Kavalleriebrigade im Angriff dahersprengt. In
dieser Beschränkung zeigt sich der wahre Meister. Fast möchte man glauben,
daß der Maler dieser Szenen selber das Kriegshandwerk geübt habe, selbst ein
echter Reitersmann gewesen sein muß. Von dem ganzen Charakter der Bilder
zu schließen, dürfte es sich um Darstellungen aus dem bayrischen Erbfolgekriege
(1778 bis 1779) handeln; der unbekannte Meister hat also in der zweiten
Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts gewirkt.

Einen kühnen Neiterangriff schildert auch der Schweizer Salomon Geßner,
Maler und Dichter zugleich, der sich hier ganz der vorgestellten Szene hingibt
und sie mit einer offenbaren Freude an den blitzenden Lichtern und leuchtenden
Farben und am Tumult der Bewegung wiedergibt. Er läßt gegen einen
stationären Hintergrund von mächtigen, dunklen Bäumen die Kavalkade von
links nach rechts vorüberrasen und hilft der Illusion stürmischer, unaufhaltsamer
Bewegung noch dadurch nach, daß er sowohl links wie rechts keinen eigentlichen
Abschluß macht, sondern das Andringen neuer Reiter links, das Fortsprengen
anderer rechts andeutet. Dieses Bild allein schon beweist, daß Geßner, dem
man bisher als Dichter wie Künstler nur ein kleines und sehr beschränktes
Talent zugestanden hat, ein Mann war, der beim Schaffen weit über seine
eignen Theorien hinausging, weil sich ihm, wenn er sich seiner Aufgabe hin¬
gab, Auge und Herz weideten und die Natur in sich aufnahmen. Von ihm
wird bald noch einmal als Landschaftsmaler die Rede sein. Hingewiesen sei
hier wenigstens noch auf das Belagerungsbild des Georg Karl Urlaub aus
Ansbach (1749 bis 1809), den Kampf der Hessen am Friedeberger Tor im
Jahre 1792 darstellend, das aus dem städtischen Museum zu Frankfurt am
Main stammt. In Klarheit der Gliederung, malerischer Anordnung und dabei
scheinbar ganz spontanem Belauschen eines entscheidenden, mit sicherem Instinkt
herausgespürten Augenblickes ist es ein Stück von hohem und eigenem Wert,
das ganz eigentümlich an manches spätere Werk erinnert.

(Schluß folgt)




Hundertundfünfzig Jahre deutscher Kunst

drei Werke find von geradezu erstaunlicher Vitalität. Auf ihnen scheint jeder
Pinselstrich selber ein Säbelhieb zu sein, und ein jeder sitzt und charakterisiert,
was er soll, vollkommen. Licht und Schatten sind auf das Kühnste verteilt,
um die Gruppen energisch hervorzuheben. Und selbst jener Degen, von dem
soeben die Rede war, erscheint nicht mehr Konvention, denn er gehört gleichsam
gen>z natürlich an seine Stelle, da hier ja fo wie so Tote und Verwundete und
ihre Sachen auf dem Boden herumliegen. Statt eine ganze Schlacht darzu¬
stellen, was mit diesen realistischen Mitteln niemals vollkommen gelingen
könnte, wählt der wahrhaft bedeutende Maler jeweils eine charakteristische
Episode und verlegt den Hauptkampf in den Hintergrund, in dem von Hellem
Licht umflossen eine ganze Kavalleriebrigade im Angriff dahersprengt. In
dieser Beschränkung zeigt sich der wahre Meister. Fast möchte man glauben,
daß der Maler dieser Szenen selber das Kriegshandwerk geübt habe, selbst ein
echter Reitersmann gewesen sein muß. Von dem ganzen Charakter der Bilder
zu schließen, dürfte es sich um Darstellungen aus dem bayrischen Erbfolgekriege
(1778 bis 1779) handeln; der unbekannte Meister hat also in der zweiten
Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts gewirkt.

Einen kühnen Neiterangriff schildert auch der Schweizer Salomon Geßner,
Maler und Dichter zugleich, der sich hier ganz der vorgestellten Szene hingibt
und sie mit einer offenbaren Freude an den blitzenden Lichtern und leuchtenden
Farben und am Tumult der Bewegung wiedergibt. Er läßt gegen einen
stationären Hintergrund von mächtigen, dunklen Bäumen die Kavalkade von
links nach rechts vorüberrasen und hilft der Illusion stürmischer, unaufhaltsamer
Bewegung noch dadurch nach, daß er sowohl links wie rechts keinen eigentlichen
Abschluß macht, sondern das Andringen neuer Reiter links, das Fortsprengen
anderer rechts andeutet. Dieses Bild allein schon beweist, daß Geßner, dem
man bisher als Dichter wie Künstler nur ein kleines und sehr beschränktes
Talent zugestanden hat, ein Mann war, der beim Schaffen weit über seine
eignen Theorien hinausging, weil sich ihm, wenn er sich seiner Aufgabe hin¬
gab, Auge und Herz weideten und die Natur in sich aufnahmen. Von ihm
wird bald noch einmal als Landschaftsmaler die Rede sein. Hingewiesen sei
hier wenigstens noch auf das Belagerungsbild des Georg Karl Urlaub aus
Ansbach (1749 bis 1809), den Kampf der Hessen am Friedeberger Tor im
Jahre 1792 darstellend, das aus dem städtischen Museum zu Frankfurt am
Main stammt. In Klarheit der Gliederung, malerischer Anordnung und dabei
scheinbar ganz spontanem Belauschen eines entscheidenden, mit sicherem Instinkt
herausgespürten Augenblickes ist es ein Stück von hohem und eigenem Wert,
das ganz eigentümlich an manches spätere Werk erinnert.

(Schluß folgt)




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/101>, abgerufen am 01.09.2024.