Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.Die Hexe von Mayer und ängstlich. Sie rief wohl ihren Kleinen, die noch ungern das Nest ver¬ Frau Heilwig sah nach ihrem schlafenden Kinde; es atmete ruhig, die Herr Josias sagte, die Kleine wäre ihrer Mutter aus den Augen geschnitten, Frau Heilwig fuhr mit einem Schrei in die Höhe. Vor ihr stand ein "Also hier ist das edle Fräulein, das sich damals so sein retten ließ! Er hatte eine heisere Stimme und böse Augen. Heilwig starrte ihn an, "Die Jungfrau kennt mich nicht mehr und ich war es doch, der Barm¬ Die Hexe von Mayer und ängstlich. Sie rief wohl ihren Kleinen, die noch ungern das Nest ver¬ Frau Heilwig sah nach ihrem schlafenden Kinde; es atmete ruhig, die Herr Josias sagte, die Kleine wäre ihrer Mutter aus den Augen geschnitten, Frau Heilwig fuhr mit einem Schrei in die Höhe. Vor ihr stand ein „Also hier ist das edle Fräulein, das sich damals so sein retten ließ! Er hatte eine heisere Stimme und böse Augen. Heilwig starrte ihn an, „Die Jungfrau kennt mich nicht mehr und ich war es doch, der Barm¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0092" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/328192"/> <fw type="header" place="top"> Die Hexe von Mayer</fw><lb/> <p xml:id="ID_371" prev="#ID_370"> und ängstlich. Sie rief wohl ihren Kleinen, die noch ungern das Nest ver¬<lb/> ließen und sich meistens in seiner Nähe hielten.</p><lb/> <p xml:id="ID_372"> Frau Heilwig sah nach ihrem schlafenden Kinde; es atmete ruhig, die<lb/> langen Wimpern lagen auf dem zarten Gesicht, der Mund war halb geöffnet<lb/> und zeigte die kleinen weißen Zähne.</p><lb/> <p xml:id="ID_373"> Herr Josias sagte, die Kleine wäre ihrer Mutter aus den Augen geschnitten,<lb/> und bei diesen Worten nickte er seiner Frau lächelnd zu. Er war kein zärtlicher<lb/> Ehemann, vielleicht hätte er es einmal werden wollen, aber Heilwig wehrte<lb/> leise ab. Nun war er höflich, wie es sich für einen Herrn gebührt, der auf<lb/> höfische Sitte Wert legt. Wie zwei gute.Kameraden ging das Ehepaar neben¬<lb/> einander her und dachte kaum mehr an Liebe. Bis die Kleine geboren<lb/> ward. Frau Heilwig war damals sehr krank gewesen und daher kam<lb/> es wohl, daß sie seit der Zeit leichter müde wurde und ihre Gedanken<lb/> nicht in der Gewalt hatte. Wie dunkel und schaurig war es im Turm<lb/> zu Manen gewesen; die Eulen schrien um das alte Gemäuer, irgendwo<lb/> mauzte ein Kater und der Hund bellte. Hieß er Bursch und war der Kater,<lb/> der Rotpelz, der nachher bei Frau Ursula von Bremer auf die Stühle kletterte<lb/> und sich recht unverschämt benahm? Der Junker Franz Aaver wollte ihn einmal<lb/> beim Schwanz fassen und in der Luft nmherwirbeln, aber der Peter war<lb/> schneller als er, saß oben auf dem Schrank und lachte. Ja, er lachte, und er<lb/> hieß Peter, gerade wie der Knecht des Herzogs, mit dem sie von Laach nach<lb/> Niedermendig ritt. Er wollte Hafer requirieren und auch Pferde, aber er war<lb/> nicht dabei, als Manen den Franzosen entrissen wurde, durch das Loch der<lb/> Mauer. Sie hatte es angegeben, denn durch dieses Loch schob sie einst mit<lb/> sanfter Gewalt Sebastian von Wiltberg. Derselbe, den sie dann zu lieben be¬<lb/> gann, so daß sie meinte, nicht ohne ihn leben zu können. Was aber bedeutete<lb/> damals das Leben einer einzelnen? Wenn einer die Welt gewönne und nähme<lb/> Schaden an seiner Seele? Es war ein Abgrund zwischen ihr und Sebastian,<lb/> niemand von den beiden konnte hinüberreichen. Auf dieser Erde niemals —<lb/> ob im Jenseits? Die Katholischen hatten einen Himmel sür sich und sie wollte<lb/> dorthin, wo Martin Luther war und neben ihm die großen Helden des ge¬<lb/> reinigten Glaubens.</p><lb/> <p xml:id="ID_374"> Frau Heilwig fuhr mit einem Schrei in die Höhe. Vor ihr stand ein<lb/> zerlumpter Mann, der sie spöttisch betrachtete.</p><lb/> <p xml:id="ID_375"> „Also hier ist das edle Fräulein, das sich damals so sein retten ließ!<lb/> Hier schläft sie in Frieden und ist doch eine von Gott Verfluchte, die das Unheil<lb/> brachte über die arme Stadt!"</p><lb/> <p xml:id="ID_376"> Er hatte eine heisere Stimme und böse Augen. Heilwig starrte ihn an,<lb/> während er höhnisch lachte.</p><lb/> <p xml:id="ID_377" next="#ID_378"> „Die Jungfrau kennt mich nicht mehr und ich war es doch, der Barm¬<lb/> herzigkeit übte! Weiß die edle Frau dies nicht mehr? Wäre es nach den<lb/> anderen gegangen, si hätte brennen müssen, ich aber hielt die Hand über ihr;</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0092]
Die Hexe von Mayer
und ängstlich. Sie rief wohl ihren Kleinen, die noch ungern das Nest ver¬
ließen und sich meistens in seiner Nähe hielten.
Frau Heilwig sah nach ihrem schlafenden Kinde; es atmete ruhig, die
langen Wimpern lagen auf dem zarten Gesicht, der Mund war halb geöffnet
und zeigte die kleinen weißen Zähne.
Herr Josias sagte, die Kleine wäre ihrer Mutter aus den Augen geschnitten,
und bei diesen Worten nickte er seiner Frau lächelnd zu. Er war kein zärtlicher
Ehemann, vielleicht hätte er es einmal werden wollen, aber Heilwig wehrte
leise ab. Nun war er höflich, wie es sich für einen Herrn gebührt, der auf
höfische Sitte Wert legt. Wie zwei gute.Kameraden ging das Ehepaar neben¬
einander her und dachte kaum mehr an Liebe. Bis die Kleine geboren
ward. Frau Heilwig war damals sehr krank gewesen und daher kam
es wohl, daß sie seit der Zeit leichter müde wurde und ihre Gedanken
nicht in der Gewalt hatte. Wie dunkel und schaurig war es im Turm
zu Manen gewesen; die Eulen schrien um das alte Gemäuer, irgendwo
mauzte ein Kater und der Hund bellte. Hieß er Bursch und war der Kater,
der Rotpelz, der nachher bei Frau Ursula von Bremer auf die Stühle kletterte
und sich recht unverschämt benahm? Der Junker Franz Aaver wollte ihn einmal
beim Schwanz fassen und in der Luft nmherwirbeln, aber der Peter war
schneller als er, saß oben auf dem Schrank und lachte. Ja, er lachte, und er
hieß Peter, gerade wie der Knecht des Herzogs, mit dem sie von Laach nach
Niedermendig ritt. Er wollte Hafer requirieren und auch Pferde, aber er war
nicht dabei, als Manen den Franzosen entrissen wurde, durch das Loch der
Mauer. Sie hatte es angegeben, denn durch dieses Loch schob sie einst mit
sanfter Gewalt Sebastian von Wiltberg. Derselbe, den sie dann zu lieben be¬
gann, so daß sie meinte, nicht ohne ihn leben zu können. Was aber bedeutete
damals das Leben einer einzelnen? Wenn einer die Welt gewönne und nähme
Schaden an seiner Seele? Es war ein Abgrund zwischen ihr und Sebastian,
niemand von den beiden konnte hinüberreichen. Auf dieser Erde niemals —
ob im Jenseits? Die Katholischen hatten einen Himmel sür sich und sie wollte
dorthin, wo Martin Luther war und neben ihm die großen Helden des ge¬
reinigten Glaubens.
Frau Heilwig fuhr mit einem Schrei in die Höhe. Vor ihr stand ein
zerlumpter Mann, der sie spöttisch betrachtete.
„Also hier ist das edle Fräulein, das sich damals so sein retten ließ!
Hier schläft sie in Frieden und ist doch eine von Gott Verfluchte, die das Unheil
brachte über die arme Stadt!"
Er hatte eine heisere Stimme und böse Augen. Heilwig starrte ihn an,
während er höhnisch lachte.
„Die Jungfrau kennt mich nicht mehr und ich war es doch, der Barm¬
herzigkeit übte! Weiß die edle Frau dies nicht mehr? Wäre es nach den
anderen gegangen, si hätte brennen müssen, ich aber hielt die Hand über ihr;
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