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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Diese an inneren und äußeren Erlebnissen so überaus reichen Jahre
(1835 bis 1840), in die auch seine Wanderfahrten mit der Gräfin d'Agonie
fallen, die Beschäftigung mit Byron und Sönancourt, den Dichtern des Welt¬
schmerzes, mit Dante, Petrarca, der Renaissance, die großartige Schönheit der
Alpenwelt, der Zauber des Südens und der überwältigende Reichtum Italiens
an Kunstschätzen ließen in seiner empfänglichen Seele Eindrücke zurück, die
noch nach Jahren erzittern in den ^nnöL8 cle pelsnnAM und den Zoiröes
mu8ieale8 nie l?088ini. Alles zusammen bedeutet diese italienische Reise für
Liszt das gleiche wie einst für Goethe, die letzte Stufe feiner innerlichen Reife
als Mensch und als Künstler: Raffael und Michelangelo verhalfen ihm, wie
er an Berlioz schreibt, zum Verständnis Mozarts und Beethovens, die Einheit
der Kunst wird ihm hier offenbar. Und noch ein anderes, köstliches Gut
brachte der Meister von dieser Reise mit, nämlich das durch die Nachricht von
den furchtbaren Donauüberschwemmungen (Frühjahr 1838) mit einem Male
erweckte Nationalitätsbewußtsein. Bisher hatte er, und nicht mit Unrecht,
Frankreich als seine eigentliche Heimat angesehen, nun brach die Liebe zu seinem
wahren Vaterlande, zu seinem "ritterlichen und herrlichen Heimatlande" mit
elementarer Gewalt durch und setzte sich auch sofort in wohltätige Hilfe um:
25000 Gulden, der Ertrag von zehn Konzerten, die Liszt binnen einem
Monat in Wien gab, kamen allein von dieser Seite den Überschwemmten zugute!

Nach einem nochmaligen kurzen Aufenthalt in Italien zu innerer Samm¬
lung kehrte Liszt 1839 nach Wien zurück, um die hohe Mission, die er auf
sich genommen hatte, zu beginnen. Es wurde ein Sonnenflug. So verlockend
es auch wäre, den Meister auf seinen Konzertreisen, die ihn die folgenden
sieben Jahre durch ganz Europa führten, zu begleiten, es wäre an dieser
Stelle unmöglich, diesen Triumphzug ohne gleichen auch nur annähernd zu
schildern. Man muß die Berichte jener Tage gelesen haben, um sich eine Vor¬
stellung von den: Rausche der Begeisterung zu machen, der überall, wo der
Zauberer sich hören ließ, aufloderte: weder vor- noch nachher hat die Welt
ähnliches erlebt, das dafür gefundene Wort "Lisztomcmie" allein ist schon
bezeichnend. Nie hat ein Künstler den Feuertrank des Ruhmes in volleren
Zügen geschlürft als er. Freilich können wir uns auch heute keine Vorstellung
mehr machen von dem Zauber, der von seinem Spiel ausging, von der fast
magnetischen Gewalt, mit der Liszt die Hörer in seinen Bann zog. Jedenfalls
stimmen alle Berichte darin überein, daß hier "ein Geheimnis waltete, das
kein Physiker, kein Physiolog auf mathematischem oder experimentellem Wege
jemals ergründen wird".*) Soll man sich wundern, wenn die Welt ihn mit
Auszeichnungen aller Art, vom ungarischen Ehrensäbel bis zum Königsberger
Doktordiplom und dem erblichen Adelstitel**), überhäufte?




*) Richard Pohl, Franz Liszt, S. 883, Leipzig 188S,
*") Den er auf seinen in Wien lebenden Vetter Eduard Liszt übertrug.
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Diese an inneren und äußeren Erlebnissen so überaus reichen Jahre
(1835 bis 1840), in die auch seine Wanderfahrten mit der Gräfin d'Agonie
fallen, die Beschäftigung mit Byron und Sönancourt, den Dichtern des Welt¬
schmerzes, mit Dante, Petrarca, der Renaissance, die großartige Schönheit der
Alpenwelt, der Zauber des Südens und der überwältigende Reichtum Italiens
an Kunstschätzen ließen in seiner empfänglichen Seele Eindrücke zurück, die
noch nach Jahren erzittern in den ^nnöL8 cle pelsnnAM und den Zoiröes
mu8ieale8 nie l?088ini. Alles zusammen bedeutet diese italienische Reise für
Liszt das gleiche wie einst für Goethe, die letzte Stufe feiner innerlichen Reife
als Mensch und als Künstler: Raffael und Michelangelo verhalfen ihm, wie
er an Berlioz schreibt, zum Verständnis Mozarts und Beethovens, die Einheit
der Kunst wird ihm hier offenbar. Und noch ein anderes, köstliches Gut
brachte der Meister von dieser Reise mit, nämlich das durch die Nachricht von
den furchtbaren Donauüberschwemmungen (Frühjahr 1838) mit einem Male
erweckte Nationalitätsbewußtsein. Bisher hatte er, und nicht mit Unrecht,
Frankreich als seine eigentliche Heimat angesehen, nun brach die Liebe zu seinem
wahren Vaterlande, zu seinem „ritterlichen und herrlichen Heimatlande" mit
elementarer Gewalt durch und setzte sich auch sofort in wohltätige Hilfe um:
25000 Gulden, der Ertrag von zehn Konzerten, die Liszt binnen einem
Monat in Wien gab, kamen allein von dieser Seite den Überschwemmten zugute!

Nach einem nochmaligen kurzen Aufenthalt in Italien zu innerer Samm¬
lung kehrte Liszt 1839 nach Wien zurück, um die hohe Mission, die er auf
sich genommen hatte, zu beginnen. Es wurde ein Sonnenflug. So verlockend
es auch wäre, den Meister auf seinen Konzertreisen, die ihn die folgenden
sieben Jahre durch ganz Europa führten, zu begleiten, es wäre an dieser
Stelle unmöglich, diesen Triumphzug ohne gleichen auch nur annähernd zu
schildern. Man muß die Berichte jener Tage gelesen haben, um sich eine Vor¬
stellung von den: Rausche der Begeisterung zu machen, der überall, wo der
Zauberer sich hören ließ, aufloderte: weder vor- noch nachher hat die Welt
ähnliches erlebt, das dafür gefundene Wort „Lisztomcmie" allein ist schon
bezeichnend. Nie hat ein Künstler den Feuertrank des Ruhmes in volleren
Zügen geschlürft als er. Freilich können wir uns auch heute keine Vorstellung
mehr machen von dem Zauber, der von seinem Spiel ausging, von der fast
magnetischen Gewalt, mit der Liszt die Hörer in seinen Bann zog. Jedenfalls
stimmen alle Berichte darin überein, daß hier „ein Geheimnis waltete, das
kein Physiker, kein Physiolog auf mathematischem oder experimentellem Wege
jemals ergründen wird".*) Soll man sich wundern, wenn die Welt ihn mit
Auszeichnungen aller Art, vom ungarischen Ehrensäbel bis zum Königsberger
Doktordiplom und dem erblichen Adelstitel**), überhäufte?




*) Richard Pohl, Franz Liszt, S. 883, Leipzig 188S,
*") Den er auf seinen in Wien lebenden Vetter Eduard Liszt übertrug.
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[0606] FrciN5 Lif^t Diese an inneren und äußeren Erlebnissen so überaus reichen Jahre (1835 bis 1840), in die auch seine Wanderfahrten mit der Gräfin d'Agonie fallen, die Beschäftigung mit Byron und Sönancourt, den Dichtern des Welt¬ schmerzes, mit Dante, Petrarca, der Renaissance, die großartige Schönheit der Alpenwelt, der Zauber des Südens und der überwältigende Reichtum Italiens an Kunstschätzen ließen in seiner empfänglichen Seele Eindrücke zurück, die noch nach Jahren erzittern in den ^nnöL8 cle pelsnnAM und den Zoiröes mu8ieale8 nie l?088ini. Alles zusammen bedeutet diese italienische Reise für Liszt das gleiche wie einst für Goethe, die letzte Stufe feiner innerlichen Reife als Mensch und als Künstler: Raffael und Michelangelo verhalfen ihm, wie er an Berlioz schreibt, zum Verständnis Mozarts und Beethovens, die Einheit der Kunst wird ihm hier offenbar. Und noch ein anderes, köstliches Gut brachte der Meister von dieser Reise mit, nämlich das durch die Nachricht von den furchtbaren Donauüberschwemmungen (Frühjahr 1838) mit einem Male erweckte Nationalitätsbewußtsein. Bisher hatte er, und nicht mit Unrecht, Frankreich als seine eigentliche Heimat angesehen, nun brach die Liebe zu seinem wahren Vaterlande, zu seinem „ritterlichen und herrlichen Heimatlande" mit elementarer Gewalt durch und setzte sich auch sofort in wohltätige Hilfe um: 25000 Gulden, der Ertrag von zehn Konzerten, die Liszt binnen einem Monat in Wien gab, kamen allein von dieser Seite den Überschwemmten zugute! Nach einem nochmaligen kurzen Aufenthalt in Italien zu innerer Samm¬ lung kehrte Liszt 1839 nach Wien zurück, um die hohe Mission, die er auf sich genommen hatte, zu beginnen. Es wurde ein Sonnenflug. So verlockend es auch wäre, den Meister auf seinen Konzertreisen, die ihn die folgenden sieben Jahre durch ganz Europa führten, zu begleiten, es wäre an dieser Stelle unmöglich, diesen Triumphzug ohne gleichen auch nur annähernd zu schildern. Man muß die Berichte jener Tage gelesen haben, um sich eine Vor¬ stellung von den: Rausche der Begeisterung zu machen, der überall, wo der Zauberer sich hören ließ, aufloderte: weder vor- noch nachher hat die Welt ähnliches erlebt, das dafür gefundene Wort „Lisztomcmie" allein ist schon bezeichnend. Nie hat ein Künstler den Feuertrank des Ruhmes in volleren Zügen geschlürft als er. Freilich können wir uns auch heute keine Vorstellung mehr machen von dem Zauber, der von seinem Spiel ausging, von der fast magnetischen Gewalt, mit der Liszt die Hörer in seinen Bann zog. Jedenfalls stimmen alle Berichte darin überein, daß hier „ein Geheimnis waltete, das kein Physiker, kein Physiolog auf mathematischem oder experimentellem Wege jemals ergründen wird".*) Soll man sich wundern, wenn die Welt ihn mit Auszeichnungen aller Art, vom ungarischen Ehrensäbel bis zum Königsberger Doktordiplom und dem erblichen Adelstitel**), überhäufte? *) Richard Pohl, Franz Liszt, S. 883, Leipzig 188S, *") Den er auf seinen in Wien lebenden Vetter Eduard Liszt übertrug.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/606>, abgerufen am 25.07.2024.