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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Franz 5'szt

Bannfluch seinen kühnen Freund wegen seiner Neformideen traf, ist um so be¬
merkenswerter, als Liszt ja selbst überzeugungstreuer Katholik war: "Die
katholische Kirche, einzig beschäftigt, ihre toten Buchstaben zu murmeln und ihre
erniedrigende Hinfälligkeit im Wohlleben zu fristen, nur Bann und Fluch
kennend, wo sie segnen und aufrichten sollte, bar jedes Mitgefühls für das
tiefe Sehnen, welches die jungen Geschlechter verzehrt, weder Kunst noch
Wissenschaft verstehend, zur Stillung dieses qualvollen Durstes, dieses Hungers
nach Gerechtigkeit, nach Freiheit, Liebe, nichts vermögend, nichts besitzend --
die katholische Kirche, so wie sie sich gestaltet hat, wie sie gegenwärtig in Vor¬
zimmern und auf öffentlichen Plätzen dasteht, geschlagen auf beide Wangen von
Fürsten und Völkern -- diese Kirche, sagen wir es ohne Rückhalt: sie hat sich
der Achtung und Liebe der Gegenwart völlig entfremdet. Volk, Leben, Kunst
haben sich von ihr zurückgezogen, und es scheint ihre Bestimmung, erschöpft
und verlassen unterzugehen." Einen gleichen schwungvollen Idealismus zeigt
der herrliche Nekrolog auf Paganini, dessen dämonisches Spiel ihn die Be¬
deutung der schrankenlosen Herrschaft des Künstlers über sein Instrument hatte
erkennen lassen, dessen fragwürdiger Charakter ihn aber zu der ewig beherzigens¬
werten Mahnung veranlaßt, "das eigene Leben zu jener hohen Würde aus¬
zubilden, die dem Talent als Ideal vorschwebt; den Künstlern das Verständnis
zu erschließen für das, was sie sollen und können, die öffentliche Meinung zu
beherrschen durch das Übergewicht, welches ein edles hochsinniges Leben ver¬
leiht und in den Herzen der Menschen, die dem Guten so nahverwandte Be¬
geisterung sür das Schöne zu entzünden und zu nähren"*).

Es ist das Programm seines ganzen Lebens, was er hier ausgesprochen
hat. Ausgehend von der Überzeugung, daß auch dem Künstler für die Um¬
gestaltung der sozialen Verhältnisse der Zeit als Mitarbeiter eine Bestimmung
von der Vorsehung zuerkannt worden sei, hat der Meister sein ganzes Leben
eingedenk des von ihm selbst geprägten Wahrspruches "Qenie obliZe" gehandelt,
an sich selbst bauend wie am Leben seiner Zeit.

Für seine Entwicklung überaus wichtige Bekanntschaften fallen in diesen
Pariser Aufenthalt, so die mit Hektor Berlioz, dessen phantastische Musik in
ihm den Tondichter erweckte, mit Chopin, der ihm das Märchenland einer
wunderbaren, ungeahnten Romantik erschloß, und dem er später in einem ebenso
wundervollen Buche ein unvergängliches Denkmal gesetzt hat, mit Alfred de
Musset. Victor Hugo. George Sand, Meyerbeer, Hiller und anderen führenden
Literatur- und Musikgrößen, unter letzteren auch Thalberg. .Je Premier plannte
6u morale". Im Kampf mit diesem Rivalen wurde Liszt der ganz Große.
..I^8?t !e 3eul", wie das artige, anläßlich des Wettstreites der beiden Meister
in einem Wohltätigkeitskonzert der Fürstin Belgiojoso entstandene Bonmot ihn
bezeichnete.



*) Franz Liszt, Gesammelte Schriften IV, 12 (Volksausgabe, Breitkopf u. Härtel, 19l0).
Grenzboten II 1914 ^
Franz 5'szt

Bannfluch seinen kühnen Freund wegen seiner Neformideen traf, ist um so be¬
merkenswerter, als Liszt ja selbst überzeugungstreuer Katholik war: „Die
katholische Kirche, einzig beschäftigt, ihre toten Buchstaben zu murmeln und ihre
erniedrigende Hinfälligkeit im Wohlleben zu fristen, nur Bann und Fluch
kennend, wo sie segnen und aufrichten sollte, bar jedes Mitgefühls für das
tiefe Sehnen, welches die jungen Geschlechter verzehrt, weder Kunst noch
Wissenschaft verstehend, zur Stillung dieses qualvollen Durstes, dieses Hungers
nach Gerechtigkeit, nach Freiheit, Liebe, nichts vermögend, nichts besitzend —
die katholische Kirche, so wie sie sich gestaltet hat, wie sie gegenwärtig in Vor¬
zimmern und auf öffentlichen Plätzen dasteht, geschlagen auf beide Wangen von
Fürsten und Völkern — diese Kirche, sagen wir es ohne Rückhalt: sie hat sich
der Achtung und Liebe der Gegenwart völlig entfremdet. Volk, Leben, Kunst
haben sich von ihr zurückgezogen, und es scheint ihre Bestimmung, erschöpft
und verlassen unterzugehen." Einen gleichen schwungvollen Idealismus zeigt
der herrliche Nekrolog auf Paganini, dessen dämonisches Spiel ihn die Be¬
deutung der schrankenlosen Herrschaft des Künstlers über sein Instrument hatte
erkennen lassen, dessen fragwürdiger Charakter ihn aber zu der ewig beherzigens¬
werten Mahnung veranlaßt, „das eigene Leben zu jener hohen Würde aus¬
zubilden, die dem Talent als Ideal vorschwebt; den Künstlern das Verständnis
zu erschließen für das, was sie sollen und können, die öffentliche Meinung zu
beherrschen durch das Übergewicht, welches ein edles hochsinniges Leben ver¬
leiht und in den Herzen der Menschen, die dem Guten so nahverwandte Be¬
geisterung sür das Schöne zu entzünden und zu nähren"*).

Es ist das Programm seines ganzen Lebens, was er hier ausgesprochen
hat. Ausgehend von der Überzeugung, daß auch dem Künstler für die Um¬
gestaltung der sozialen Verhältnisse der Zeit als Mitarbeiter eine Bestimmung
von der Vorsehung zuerkannt worden sei, hat der Meister sein ganzes Leben
eingedenk des von ihm selbst geprägten Wahrspruches „Qenie obliZe" gehandelt,
an sich selbst bauend wie am Leben seiner Zeit.

Für seine Entwicklung überaus wichtige Bekanntschaften fallen in diesen
Pariser Aufenthalt, so die mit Hektor Berlioz, dessen phantastische Musik in
ihm den Tondichter erweckte, mit Chopin, der ihm das Märchenland einer
wunderbaren, ungeahnten Romantik erschloß, und dem er später in einem ebenso
wundervollen Buche ein unvergängliches Denkmal gesetzt hat, mit Alfred de
Musset. Victor Hugo. George Sand, Meyerbeer, Hiller und anderen führenden
Literatur- und Musikgrößen, unter letzteren auch Thalberg. .Je Premier plannte
6u morale". Im Kampf mit diesem Rivalen wurde Liszt der ganz Große.
..I^8?t !e 3eul", wie das artige, anläßlich des Wettstreites der beiden Meister
in einem Wohltätigkeitskonzert der Fürstin Belgiojoso entstandene Bonmot ihn
bezeichnete.



*) Franz Liszt, Gesammelte Schriften IV, 12 (Volksausgabe, Breitkopf u. Härtel, 19l0).
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/605>, abgerufen am 25.07.2024.