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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Zur Frage der deutschen Linheitsschnle

Dieser eine Gesichtspunkt ist von so durchschlagender Bedeutung, daß
er allein einen erneuten Versuch, dem Mittellandkanal zum Leben zu verhelfen,
wahrscheinlich bereits den Sieg sichern würde. Aber auch sonst drängt alles
geradezu dahin, das Kaiserwort vom August 1LW über den Mittellandkanal
wahr zu machen: "Gebaut wird er dochl" Wenn der Kanal erst vom Rhein
bis Hannover in Betrieb ist, wird man wohl jeden Monat bereuen, den die
Inangriffnahme der Verlängerung bis zur Elbe auf sich warten läßt, und es
kann wohl gar keinem Zweifel unterliegen, daß das in den Kanaldebatten des
Jahres 1905 im Parlament gefallene drastische Wort sich nach der Fertigstellung
des Rhein-Hannover-Kanals überraschend schnell bewahrheiten wird: "Bauen
Sie in Gottes Namen den Kanal nur bis Hannover, ich tröste mich damit,
daß diese Dummheit viel zu groß ist, um nicht schon einige Jahre nach Voll¬
endung dieses Kanals durch seine Fortsetzung bis an die Elbe korrigiert zu
werden. Die Regierung denkt sich das gleiche, nur sagt sie es nicht!"




Zur Frage der deutschen Einheitsschule
Dr. Julius volge von

! le Leitsätze über die deutsche Einheitsschule sind von der deutschen
Lehrerversammlung in Kiel in der Form, die ihnen Oberstudienrat
Kerschensteiner gegeben hat, einstimmig angenommen worden, und
es bleibt nur zu bedauern, daß sich niemand gefunden hat, der
darauf gedrungen hätte, diese Leitsätze von den vielen Fremd¬
wörtern, die sich aufdringlich in ihnen breit machen, zu reinigen und ihnen eine
Fassung zu geben, welche die Reinheit unserer deutschen Sprache besser bewahrte.
Wenige Tage zuvor hatte sich der preußische Kultusminister zu derselben Frage
geäußert und unter Zustimmung des überwiegenden Teiles der preußischen
Volksvertretung festgestellt, daß an die Einführung der Einheitsschule vorläufig
nicht zu denken sei.

Schon die Gegenüberstellung dieser beiden Tatsachen läßt uns wiederum
erkennen, daß zwar im Geist gar leicht die Gedanken beieinander wohnen, daß
aber hart im Raume sich die Sachen stoßen. Daß der Gedanke der Einheits¬
schule hauptsächlich idealen Beweggründen entspringt, daß mit ihm in erster


Zur Frage der deutschen Linheitsschnle

Dieser eine Gesichtspunkt ist von so durchschlagender Bedeutung, daß
er allein einen erneuten Versuch, dem Mittellandkanal zum Leben zu verhelfen,
wahrscheinlich bereits den Sieg sichern würde. Aber auch sonst drängt alles
geradezu dahin, das Kaiserwort vom August 1LW über den Mittellandkanal
wahr zu machen: „Gebaut wird er dochl" Wenn der Kanal erst vom Rhein
bis Hannover in Betrieb ist, wird man wohl jeden Monat bereuen, den die
Inangriffnahme der Verlängerung bis zur Elbe auf sich warten läßt, und es
kann wohl gar keinem Zweifel unterliegen, daß das in den Kanaldebatten des
Jahres 1905 im Parlament gefallene drastische Wort sich nach der Fertigstellung
des Rhein-Hannover-Kanals überraschend schnell bewahrheiten wird: „Bauen
Sie in Gottes Namen den Kanal nur bis Hannover, ich tröste mich damit,
daß diese Dummheit viel zu groß ist, um nicht schon einige Jahre nach Voll¬
endung dieses Kanals durch seine Fortsetzung bis an die Elbe korrigiert zu
werden. Die Regierung denkt sich das gleiche, nur sagt sie es nicht!"




Zur Frage der deutschen Einheitsschule
Dr. Julius volge von

! le Leitsätze über die deutsche Einheitsschule sind von der deutschen
Lehrerversammlung in Kiel in der Form, die ihnen Oberstudienrat
Kerschensteiner gegeben hat, einstimmig angenommen worden, und
es bleibt nur zu bedauern, daß sich niemand gefunden hat, der
darauf gedrungen hätte, diese Leitsätze von den vielen Fremd¬
wörtern, die sich aufdringlich in ihnen breit machen, zu reinigen und ihnen eine
Fassung zu geben, welche die Reinheit unserer deutschen Sprache besser bewahrte.
Wenige Tage zuvor hatte sich der preußische Kultusminister zu derselben Frage
geäußert und unter Zustimmung des überwiegenden Teiles der preußischen
Volksvertretung festgestellt, daß an die Einführung der Einheitsschule vorläufig
nicht zu denken sei.

Schon die Gegenüberstellung dieser beiden Tatsachen läßt uns wiederum
erkennen, daß zwar im Geist gar leicht die Gedanken beieinander wohnen, daß
aber hart im Raume sich die Sachen stoßen. Daß der Gedanke der Einheits¬
schule hauptsächlich idealen Beweggründen entspringt, daß mit ihm in erster


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[0546] Zur Frage der deutschen Linheitsschnle Dieser eine Gesichtspunkt ist von so durchschlagender Bedeutung, daß er allein einen erneuten Versuch, dem Mittellandkanal zum Leben zu verhelfen, wahrscheinlich bereits den Sieg sichern würde. Aber auch sonst drängt alles geradezu dahin, das Kaiserwort vom August 1LW über den Mittellandkanal wahr zu machen: „Gebaut wird er dochl" Wenn der Kanal erst vom Rhein bis Hannover in Betrieb ist, wird man wohl jeden Monat bereuen, den die Inangriffnahme der Verlängerung bis zur Elbe auf sich warten läßt, und es kann wohl gar keinem Zweifel unterliegen, daß das in den Kanaldebatten des Jahres 1905 im Parlament gefallene drastische Wort sich nach der Fertigstellung des Rhein-Hannover-Kanals überraschend schnell bewahrheiten wird: „Bauen Sie in Gottes Namen den Kanal nur bis Hannover, ich tröste mich damit, daß diese Dummheit viel zu groß ist, um nicht schon einige Jahre nach Voll¬ endung dieses Kanals durch seine Fortsetzung bis an die Elbe korrigiert zu werden. Die Regierung denkt sich das gleiche, nur sagt sie es nicht!" Zur Frage der deutschen Einheitsschule Dr. Julius volge von ! le Leitsätze über die deutsche Einheitsschule sind von der deutschen Lehrerversammlung in Kiel in der Form, die ihnen Oberstudienrat Kerschensteiner gegeben hat, einstimmig angenommen worden, und es bleibt nur zu bedauern, daß sich niemand gefunden hat, der darauf gedrungen hätte, diese Leitsätze von den vielen Fremd¬ wörtern, die sich aufdringlich in ihnen breit machen, zu reinigen und ihnen eine Fassung zu geben, welche die Reinheit unserer deutschen Sprache besser bewahrte. Wenige Tage zuvor hatte sich der preußische Kultusminister zu derselben Frage geäußert und unter Zustimmung des überwiegenden Teiles der preußischen Volksvertretung festgestellt, daß an die Einführung der Einheitsschule vorläufig nicht zu denken sei. Schon die Gegenüberstellung dieser beiden Tatsachen läßt uns wiederum erkennen, daß zwar im Geist gar leicht die Gedanken beieinander wohnen, daß aber hart im Raume sich die Sachen stoßen. Daß der Gedanke der Einheits¬ schule hauptsächlich idealen Beweggründen entspringt, daß mit ihm in erster

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/546>, abgerufen am 13.11.2024.