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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Das Wiederaufleben des Mittellandkanals

zwei vollkommen scharf ausgeprägte und gänzlich uudurchbrocheue "Wasser¬
scheiden der Binnenschiffahrt" gibt, die von Meer zu Meer reichen und als
chinesische Mauern des Wirtschaftslebens wirken: die eine verläuft vom Finnischen
Meerbusen zum Schwarzen Meer zwischen Dujepr und Don, und die andere
von der Nordsee zum Schwarzen Meer durch Deutschland und Österreich
hindurch, zwischen der Elbe einerseits, dem Rhein und der Donau
anderseits.

Der Grund, weshalb die Agrarier im Jahre 1899 den Mittellandkanal
zu Fall brachten und auch seine Aufnahme in das Kanalgesetz von 1905 ver¬
eitelten, war nach der offiziellen Angabe die Befürchtung, daß ausländisches
Getreide leichter als bisher den deutschen Markt erobern und dem deutschen
Getreide einen schlimmen Wettbewerb bereiten könne. Ganz klar ist diese Be¬
fürchtung nicht, denn die Konkurrenz des russischen Getreides bleibt vom Mittel¬
landkanal unberührt und soweit amerikanisches und anderes Getreide zu fürchten
ist, vermag es über Hamburg nach dem deutschen Osten zu gelangen, gleichviel
ob der Mittellandkanal die Elbe und die Weser verbindet oder nicht. Einsichtige
Ostelbier find denn auch schon längst zu der Erkenntnis gekommen, daß die
Erdrosselung des Mittellandkanals ein sehr untaugliches Mittel zum Schutze der
deutschen Landwirtschaft war, ja, daß diese unter Umständen von dem fertigen
Kanal sogar große Vorteile haben könnte, da ihr eigenes Absatzgebiet, das heute
über die Elbe nur in bescheidenem Maße hinausgeht, sich dann in erfreulicher
Weise weiter westwärts ausdehnen ließe. Heute ist ostpreußisches Getreide oder
Obst meist nicht in der Lage, im Rheingebiet den entsprechenden amerikanischen Pro¬
dukten, die die billige Wasserfracht voll ausnutzen können, Konkurrenz zu machen.
Der Mittellandkanal wird daher der deutschen Landwirtschaft im Kampf mit der
fremden gerade den Rücken stärken. Es hat aber überhaupt den Anschein, als
ob der erfolgreiche Widerstand der konservativen Partei des preußischen Ab¬
geordnetenhauses gegen den Mittellandkanal im Jahre 1899 mehr von dem
Wunsche diktiert wurde, der verhaßten Industrie ein Schnippchen zu schlagen,
als von der Sorge um die Bedrohung landwirtschaftlicher Interessen. Jeden¬
falls sprechen gar manche Anzeichen dafür, daß eine neue preußische Mittel-
landkanaloorlage im Landtag ein wesentlich anderes Schicksal als in den
Jahren 1399 bis 1904 haben würde.

Ein berechtigter Widerstand gegen den Mittellandkanal würde jedoch heute,
wie ehedem, von der Provinz Schlesien und ihren Vertretern ausgehen. Die
schlesische Kohle z. B. sähe sich in ihrem Absatzgebiet durch die ohnehin über¬
mächtige rheinische Kohle empfindlich bedroht, und die Wahrung der schlesischen
Interessen war es denn auch nicht zum wenigsten, die die Regierung schließlich
auf das Mittellandkanalprojekt verzichten ließ. Kommen aber neue, wichtige
Gesichtspunkte hinzu, die die Ausführung des Planes wünschenswert erscheinen
lassen, so müssen sich schließlich Schlesiens Interessen dem Wohle des Ganzen
unterordnen und können dann durch Kompensationen schadlos gehalten werden.


Das Wiederaufleben des Mittellandkanals

zwei vollkommen scharf ausgeprägte und gänzlich uudurchbrocheue „Wasser¬
scheiden der Binnenschiffahrt" gibt, die von Meer zu Meer reichen und als
chinesische Mauern des Wirtschaftslebens wirken: die eine verläuft vom Finnischen
Meerbusen zum Schwarzen Meer zwischen Dujepr und Don, und die andere
von der Nordsee zum Schwarzen Meer durch Deutschland und Österreich
hindurch, zwischen der Elbe einerseits, dem Rhein und der Donau
anderseits.

Der Grund, weshalb die Agrarier im Jahre 1899 den Mittellandkanal
zu Fall brachten und auch seine Aufnahme in das Kanalgesetz von 1905 ver¬
eitelten, war nach der offiziellen Angabe die Befürchtung, daß ausländisches
Getreide leichter als bisher den deutschen Markt erobern und dem deutschen
Getreide einen schlimmen Wettbewerb bereiten könne. Ganz klar ist diese Be¬
fürchtung nicht, denn die Konkurrenz des russischen Getreides bleibt vom Mittel¬
landkanal unberührt und soweit amerikanisches und anderes Getreide zu fürchten
ist, vermag es über Hamburg nach dem deutschen Osten zu gelangen, gleichviel
ob der Mittellandkanal die Elbe und die Weser verbindet oder nicht. Einsichtige
Ostelbier find denn auch schon längst zu der Erkenntnis gekommen, daß die
Erdrosselung des Mittellandkanals ein sehr untaugliches Mittel zum Schutze der
deutschen Landwirtschaft war, ja, daß diese unter Umständen von dem fertigen
Kanal sogar große Vorteile haben könnte, da ihr eigenes Absatzgebiet, das heute
über die Elbe nur in bescheidenem Maße hinausgeht, sich dann in erfreulicher
Weise weiter westwärts ausdehnen ließe. Heute ist ostpreußisches Getreide oder
Obst meist nicht in der Lage, im Rheingebiet den entsprechenden amerikanischen Pro¬
dukten, die die billige Wasserfracht voll ausnutzen können, Konkurrenz zu machen.
Der Mittellandkanal wird daher der deutschen Landwirtschaft im Kampf mit der
fremden gerade den Rücken stärken. Es hat aber überhaupt den Anschein, als
ob der erfolgreiche Widerstand der konservativen Partei des preußischen Ab¬
geordnetenhauses gegen den Mittellandkanal im Jahre 1899 mehr von dem
Wunsche diktiert wurde, der verhaßten Industrie ein Schnippchen zu schlagen,
als von der Sorge um die Bedrohung landwirtschaftlicher Interessen. Jeden¬
falls sprechen gar manche Anzeichen dafür, daß eine neue preußische Mittel-
landkanaloorlage im Landtag ein wesentlich anderes Schicksal als in den
Jahren 1399 bis 1904 haben würde.

Ein berechtigter Widerstand gegen den Mittellandkanal würde jedoch heute,
wie ehedem, von der Provinz Schlesien und ihren Vertretern ausgehen. Die
schlesische Kohle z. B. sähe sich in ihrem Absatzgebiet durch die ohnehin über¬
mächtige rheinische Kohle empfindlich bedroht, und die Wahrung der schlesischen
Interessen war es denn auch nicht zum wenigsten, die die Regierung schließlich
auf das Mittellandkanalprojekt verzichten ließ. Kommen aber neue, wichtige
Gesichtspunkte hinzu, die die Ausführung des Planes wünschenswert erscheinen
lassen, so müssen sich schließlich Schlesiens Interessen dem Wohle des Ganzen
unterordnen und können dann durch Kompensationen schadlos gehalten werden.


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[0544] Das Wiederaufleben des Mittellandkanals zwei vollkommen scharf ausgeprägte und gänzlich uudurchbrocheue „Wasser¬ scheiden der Binnenschiffahrt" gibt, die von Meer zu Meer reichen und als chinesische Mauern des Wirtschaftslebens wirken: die eine verläuft vom Finnischen Meerbusen zum Schwarzen Meer zwischen Dujepr und Don, und die andere von der Nordsee zum Schwarzen Meer durch Deutschland und Österreich hindurch, zwischen der Elbe einerseits, dem Rhein und der Donau anderseits. Der Grund, weshalb die Agrarier im Jahre 1899 den Mittellandkanal zu Fall brachten und auch seine Aufnahme in das Kanalgesetz von 1905 ver¬ eitelten, war nach der offiziellen Angabe die Befürchtung, daß ausländisches Getreide leichter als bisher den deutschen Markt erobern und dem deutschen Getreide einen schlimmen Wettbewerb bereiten könne. Ganz klar ist diese Be¬ fürchtung nicht, denn die Konkurrenz des russischen Getreides bleibt vom Mittel¬ landkanal unberührt und soweit amerikanisches und anderes Getreide zu fürchten ist, vermag es über Hamburg nach dem deutschen Osten zu gelangen, gleichviel ob der Mittellandkanal die Elbe und die Weser verbindet oder nicht. Einsichtige Ostelbier find denn auch schon längst zu der Erkenntnis gekommen, daß die Erdrosselung des Mittellandkanals ein sehr untaugliches Mittel zum Schutze der deutschen Landwirtschaft war, ja, daß diese unter Umständen von dem fertigen Kanal sogar große Vorteile haben könnte, da ihr eigenes Absatzgebiet, das heute über die Elbe nur in bescheidenem Maße hinausgeht, sich dann in erfreulicher Weise weiter westwärts ausdehnen ließe. Heute ist ostpreußisches Getreide oder Obst meist nicht in der Lage, im Rheingebiet den entsprechenden amerikanischen Pro¬ dukten, die die billige Wasserfracht voll ausnutzen können, Konkurrenz zu machen. Der Mittellandkanal wird daher der deutschen Landwirtschaft im Kampf mit der fremden gerade den Rücken stärken. Es hat aber überhaupt den Anschein, als ob der erfolgreiche Widerstand der konservativen Partei des preußischen Ab¬ geordnetenhauses gegen den Mittellandkanal im Jahre 1899 mehr von dem Wunsche diktiert wurde, der verhaßten Industrie ein Schnippchen zu schlagen, als von der Sorge um die Bedrohung landwirtschaftlicher Interessen. Jeden¬ falls sprechen gar manche Anzeichen dafür, daß eine neue preußische Mittel- landkanaloorlage im Landtag ein wesentlich anderes Schicksal als in den Jahren 1399 bis 1904 haben würde. Ein berechtigter Widerstand gegen den Mittellandkanal würde jedoch heute, wie ehedem, von der Provinz Schlesien und ihren Vertretern ausgehen. Die schlesische Kohle z. B. sähe sich in ihrem Absatzgebiet durch die ohnehin über¬ mächtige rheinische Kohle empfindlich bedroht, und die Wahrung der schlesischen Interessen war es denn auch nicht zum wenigsten, die die Regierung schließlich auf das Mittellandkanalprojekt verzichten ließ. Kommen aber neue, wichtige Gesichtspunkte hinzu, die die Ausführung des Planes wünschenswert erscheinen lassen, so müssen sich schließlich Schlesiens Interessen dem Wohle des Ganzen unterordnen und können dann durch Kompensationen schadlos gehalten werden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/544>, abgerufen am 04.07.2024.