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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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das Gesetz beabsichtigt hätte, auch den Schülern
den Besuch von Schulfeiern als gesetzliche und
erzwingbare Pflicht aufzuerlegen, so hätte
sicherlich der Gesetzgeber dies zum Ausdruck
gebracht und nicht lediglich von Unterricht
gesprochen. Dies um so mehr, als die erwähnte
gesetzliche Bestimmung sogar den Unterricht
an Sonntagen regelt, indem sie ausspricht,
daß am Sonntage der Unterricht nur statt¬
finden darf, wenn die Unterrichtsstunden so
geregelt werden, daß die Schüler am Besuche
des Hauptgottesdienstes nicht gehindert
werden. Die Gerichte haben, soviel ich sehe,
zu dieser Frage noch keine Stellung ge¬
nommen. In einem Spezialfälle, wo ein
Schüler wegen Versäumnis einer auf den
Nachmittag eines Sonntags angesetzten Kaiser¬
geburtstagsfeier mit einer polizeilichen Strafe
belegt war und dagegen auf gerichtliche Ent¬
scheidung angetragen hatte, hat das Kammer¬
gericht es dahin gestellt gelassen, ob eine
solche Feier mit Zwang zur Teilnahme daran
auf Grund des § 120 der Gewerbeordnung
angeordnet werden könne, selbst wenn dieser
als ein Teil des Unterrichts der Fortbildungs¬
schule anzusehen wäre. Offenbar hat also
das Kammergericht auch in früheren Urteilen
keine Stellung hierzu genommen. Meines
Erachtens kann aber diese Frage auf Grund
der einzig und allein in Betracht kommenden
gesetzlichen Bestimmung des § 120 der Ge¬
werbeordnung nur verneint werden. Es kann
daher die Teilnahme an einer solchen Feier¬
lichkeit nicht erzwungen und die Versäumnis
einer solchen Feierlichkeit nicht bestraft werden,
selbst wenn das Ortsstatut der betreffenden
Gemeinde den Besuch einer Schulfeier an¬
ordnen und den Nichtbesuch derselben unter
Strafe stellen sollte. Auf alle Fälle kann
der Besuch einer Schulfeier dann nicht er¬
zwungen werden, wenn die Feier lediglich
vom Leiter der Schule oder vom Schulvor¬
stande angeordnet und den Schülern nur
von dieser Seite aus bekannt gegeben ist;
denn nach dem oben erwähnten, durch die
Novelle vom 27. Dezember 1911 neu ein¬
geführten Absatz ö des ß 120 der Gewerbe¬
ordnung sind die Unterrichtszeiten von der
hierfür nach Landesrecht zuständigen Behörde
festzusetzen und bekannt zu machen. Die zu¬
ständige Behörde ist nach dem Erlaß des

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Preußischen Ministers für Handel und
Gewerbe vom 13. Februar 1912 be¬
treffend Gesetz über Änderung der Ge¬
werbeordnung vom 27. Dezember 1911
-- Ministerialblatt für Handel und Gewerbe
Seite 53 und Gewerbearchiv für das Deutsche
Reich Band II Seite 614 ff. -- niemals der
Leiter der Schule oder der Schulvorstand,
sondern der Gemeindevorstand, also in
Städten der Magistrat. Nur der letzte kann
die Unterrichtszeit und somit, wenn eine
Schulfeier als Teil des Unterrichts der Fort¬
bildungsschule angesehen werden könnte, was
aber meines Erachtens nicht der Fall ist, die
Zeit der Schulfeier bestimmen. Ferner genügt
nicht allein die Festsetzung der Unterrichts¬
zeit durch die zuständige Behörde, also in
Preußen durch den Magistrat der betreffenden
Gemeinde, sondern die Zeit muß auch von
dieser Behörde bekannt gemacht werden.
Daher ist nicht ausreichend, wenn der
Magistrat die Unterrichtszeit festsetzt und der
Schulleiter sie in der Schule bekannt macht;
denn die Bekanntmachung ist vom Magistrat
auszugeben und hat in der Weise zu ge¬
schehen, wie der Magistrat seine Bekannt¬
machungen sonst zu erlassen Pflegt. In dem
oben erwähnten Spezialfälle hat denn auch
das Kammergericht in seinem Urteile vom
2. Oktober 1913 dahin erkannt, daß der
Leiter der Schule zur Festsetzung der Zeit
für die Kaisergeburtstagsfeier und zu ihrer
Bekanntmachung nicht befugt gewesen sei, und
aus diesem Grunde den Angeklagten wegen
Versäumnis der Kaisergeburtstagsfeier frei¬
gesprochen.

Der durch die Novelle vom 27. De¬
zember 1911 neu eingeführte Absatz 6 des
K 120 der Gewerbeordnung hat übrigens die
allgemeine Bedeutung, daß bei Versäumnis
des Unterrichts eine Bestrafung niemals ein¬
treten kann, wenn die Unterrichtszeiten vom
Magistrat nicht festgesetzt und von diesem
nicht bekannt sind. Wenn daher die Ge¬
meinden einen Zwang zum Besuche der
Fortbildungsschule durch Strafe herbeiführen
wollen, tun sie gut daran, ihre betreffenden
Ortsstatute mit dieser neuen Bestimmung
der Gewerbeordnung in Einklang zu bringen
und die Unterrichtszeiten selbst festzusetzen
und selbst bekannt zu machen und nicht, wie

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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das Gesetz beabsichtigt hätte, auch den Schülern
den Besuch von Schulfeiern als gesetzliche und
erzwingbare Pflicht aufzuerlegen, so hätte
sicherlich der Gesetzgeber dies zum Ausdruck
gebracht und nicht lediglich von Unterricht
gesprochen. Dies um so mehr, als die erwähnte
gesetzliche Bestimmung sogar den Unterricht
an Sonntagen regelt, indem sie ausspricht,
daß am Sonntage der Unterricht nur statt¬
finden darf, wenn die Unterrichtsstunden so
geregelt werden, daß die Schüler am Besuche
des Hauptgottesdienstes nicht gehindert
werden. Die Gerichte haben, soviel ich sehe,
zu dieser Frage noch keine Stellung ge¬
nommen. In einem Spezialfälle, wo ein
Schüler wegen Versäumnis einer auf den
Nachmittag eines Sonntags angesetzten Kaiser¬
geburtstagsfeier mit einer polizeilichen Strafe
belegt war und dagegen auf gerichtliche Ent¬
scheidung angetragen hatte, hat das Kammer¬
gericht es dahin gestellt gelassen, ob eine
solche Feier mit Zwang zur Teilnahme daran
auf Grund des § 120 der Gewerbeordnung
angeordnet werden könne, selbst wenn dieser
als ein Teil des Unterrichts der Fortbildungs¬
schule anzusehen wäre. Offenbar hat also
das Kammergericht auch in früheren Urteilen
keine Stellung hierzu genommen. Meines
Erachtens kann aber diese Frage auf Grund
der einzig und allein in Betracht kommenden
gesetzlichen Bestimmung des § 120 der Ge¬
werbeordnung nur verneint werden. Es kann
daher die Teilnahme an einer solchen Feier¬
lichkeit nicht erzwungen und die Versäumnis
einer solchen Feierlichkeit nicht bestraft werden,
selbst wenn das Ortsstatut der betreffenden
Gemeinde den Besuch einer Schulfeier an¬
ordnen und den Nichtbesuch derselben unter
Strafe stellen sollte. Auf alle Fälle kann
der Besuch einer Schulfeier dann nicht er¬
zwungen werden, wenn die Feier lediglich
vom Leiter der Schule oder vom Schulvor¬
stande angeordnet und den Schülern nur
von dieser Seite aus bekannt gegeben ist;
denn nach dem oben erwähnten, durch die
Novelle vom 27. Dezember 1911 neu ein¬
geführten Absatz ö des ß 120 der Gewerbe¬
ordnung sind die Unterrichtszeiten von der
hierfür nach Landesrecht zuständigen Behörde
festzusetzen und bekannt zu machen. Die zu¬
ständige Behörde ist nach dem Erlaß des

[Spaltenumbruch]

Preußischen Ministers für Handel und
Gewerbe vom 13. Februar 1912 be¬
treffend Gesetz über Änderung der Ge¬
werbeordnung vom 27. Dezember 1911
— Ministerialblatt für Handel und Gewerbe
Seite 53 und Gewerbearchiv für das Deutsche
Reich Band II Seite 614 ff. — niemals der
Leiter der Schule oder der Schulvorstand,
sondern der Gemeindevorstand, also in
Städten der Magistrat. Nur der letzte kann
die Unterrichtszeit und somit, wenn eine
Schulfeier als Teil des Unterrichts der Fort¬
bildungsschule angesehen werden könnte, was
aber meines Erachtens nicht der Fall ist, die
Zeit der Schulfeier bestimmen. Ferner genügt
nicht allein die Festsetzung der Unterrichts¬
zeit durch die zuständige Behörde, also in
Preußen durch den Magistrat der betreffenden
Gemeinde, sondern die Zeit muß auch von
dieser Behörde bekannt gemacht werden.
Daher ist nicht ausreichend, wenn der
Magistrat die Unterrichtszeit festsetzt und der
Schulleiter sie in der Schule bekannt macht;
denn die Bekanntmachung ist vom Magistrat
auszugeben und hat in der Weise zu ge¬
schehen, wie der Magistrat seine Bekannt¬
machungen sonst zu erlassen Pflegt. In dem
oben erwähnten Spezialfälle hat denn auch
das Kammergericht in seinem Urteile vom
2. Oktober 1913 dahin erkannt, daß der
Leiter der Schule zur Festsetzung der Zeit
für die Kaisergeburtstagsfeier und zu ihrer
Bekanntmachung nicht befugt gewesen sei, und
aus diesem Grunde den Angeklagten wegen
Versäumnis der Kaisergeburtstagsfeier frei¬
gesprochen.

Der durch die Novelle vom 27. De¬
zember 1911 neu eingeführte Absatz 6 des
K 120 der Gewerbeordnung hat übrigens die
allgemeine Bedeutung, daß bei Versäumnis
des Unterrichts eine Bestrafung niemals ein¬
treten kann, wenn die Unterrichtszeiten vom
Magistrat nicht festgesetzt und von diesem
nicht bekannt sind. Wenn daher die Ge¬
meinden einen Zwang zum Besuche der
Fortbildungsschule durch Strafe herbeiführen
wollen, tun sie gut daran, ihre betreffenden
Ortsstatute mit dieser neuen Bestimmung
der Gewerbeordnung in Einklang zu bringen
und die Unterrichtszeiten selbst festzusetzen
und selbst bekannt zu machen und nicht, wie

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[0539] Maßgebliches und Unmaßgebliches das Gesetz beabsichtigt hätte, auch den Schülern den Besuch von Schulfeiern als gesetzliche und erzwingbare Pflicht aufzuerlegen, so hätte sicherlich der Gesetzgeber dies zum Ausdruck gebracht und nicht lediglich von Unterricht gesprochen. Dies um so mehr, als die erwähnte gesetzliche Bestimmung sogar den Unterricht an Sonntagen regelt, indem sie ausspricht, daß am Sonntage der Unterricht nur statt¬ finden darf, wenn die Unterrichtsstunden so geregelt werden, daß die Schüler am Besuche des Hauptgottesdienstes nicht gehindert werden. Die Gerichte haben, soviel ich sehe, zu dieser Frage noch keine Stellung ge¬ nommen. In einem Spezialfälle, wo ein Schüler wegen Versäumnis einer auf den Nachmittag eines Sonntags angesetzten Kaiser¬ geburtstagsfeier mit einer polizeilichen Strafe belegt war und dagegen auf gerichtliche Ent¬ scheidung angetragen hatte, hat das Kammer¬ gericht es dahin gestellt gelassen, ob eine solche Feier mit Zwang zur Teilnahme daran auf Grund des § 120 der Gewerbeordnung angeordnet werden könne, selbst wenn dieser als ein Teil des Unterrichts der Fortbildungs¬ schule anzusehen wäre. Offenbar hat also das Kammergericht auch in früheren Urteilen keine Stellung hierzu genommen. Meines Erachtens kann aber diese Frage auf Grund der einzig und allein in Betracht kommenden gesetzlichen Bestimmung des § 120 der Ge¬ werbeordnung nur verneint werden. Es kann daher die Teilnahme an einer solchen Feier¬ lichkeit nicht erzwungen und die Versäumnis einer solchen Feierlichkeit nicht bestraft werden, selbst wenn das Ortsstatut der betreffenden Gemeinde den Besuch einer Schulfeier an¬ ordnen und den Nichtbesuch derselben unter Strafe stellen sollte. Auf alle Fälle kann der Besuch einer Schulfeier dann nicht er¬ zwungen werden, wenn die Feier lediglich vom Leiter der Schule oder vom Schulvor¬ stande angeordnet und den Schülern nur von dieser Seite aus bekannt gegeben ist; denn nach dem oben erwähnten, durch die Novelle vom 27. Dezember 1911 neu ein¬ geführten Absatz ö des ß 120 der Gewerbe¬ ordnung sind die Unterrichtszeiten von der hierfür nach Landesrecht zuständigen Behörde festzusetzen und bekannt zu machen. Die zu¬ ständige Behörde ist nach dem Erlaß des Preußischen Ministers für Handel und Gewerbe vom 13. Februar 1912 be¬ treffend Gesetz über Änderung der Ge¬ werbeordnung vom 27. Dezember 1911 — Ministerialblatt für Handel und Gewerbe Seite 53 und Gewerbearchiv für das Deutsche Reich Band II Seite 614 ff. — niemals der Leiter der Schule oder der Schulvorstand, sondern der Gemeindevorstand, also in Städten der Magistrat. Nur der letzte kann die Unterrichtszeit und somit, wenn eine Schulfeier als Teil des Unterrichts der Fort¬ bildungsschule angesehen werden könnte, was aber meines Erachtens nicht der Fall ist, die Zeit der Schulfeier bestimmen. Ferner genügt nicht allein die Festsetzung der Unterrichts¬ zeit durch die zuständige Behörde, also in Preußen durch den Magistrat der betreffenden Gemeinde, sondern die Zeit muß auch von dieser Behörde bekannt gemacht werden. Daher ist nicht ausreichend, wenn der Magistrat die Unterrichtszeit festsetzt und der Schulleiter sie in der Schule bekannt macht; denn die Bekanntmachung ist vom Magistrat auszugeben und hat in der Weise zu ge¬ schehen, wie der Magistrat seine Bekannt¬ machungen sonst zu erlassen Pflegt. In dem oben erwähnten Spezialfälle hat denn auch das Kammergericht in seinem Urteile vom 2. Oktober 1913 dahin erkannt, daß der Leiter der Schule zur Festsetzung der Zeit für die Kaisergeburtstagsfeier und zu ihrer Bekanntmachung nicht befugt gewesen sei, und aus diesem Grunde den Angeklagten wegen Versäumnis der Kaisergeburtstagsfeier frei¬ gesprochen. Der durch die Novelle vom 27. De¬ zember 1911 neu eingeführte Absatz 6 des K 120 der Gewerbeordnung hat übrigens die allgemeine Bedeutung, daß bei Versäumnis des Unterrichts eine Bestrafung niemals ein¬ treten kann, wenn die Unterrichtszeiten vom Magistrat nicht festgesetzt und von diesem nicht bekannt sind. Wenn daher die Ge¬ meinden einen Zwang zum Besuche der Fortbildungsschule durch Strafe herbeiführen wollen, tun sie gut daran, ihre betreffenden Ortsstatute mit dieser neuen Bestimmung der Gewerbeordnung in Einklang zu bringen und die Unterrichtszeiten selbst festzusetzen und selbst bekannt zu machen und nicht, wie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/539>, abgerufen am 04.07.2024.