Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

hör' ich rufen. Mit Nichten I Aber meint
man, daß die Freiheitskämpfer gegen Na¬
poleon ins Feld zogen, weil sie ihr Wissen
vom Staate in die Wirklichkeit umsetzen
wollten, oder daß die Kanonen ^1871 gegen
Paris donnerten, weil die Kanoniere meinten,
sie brauchten nun endlich eine einheitliche
Strafprozeßordnung, eine durch Reichsgesetz
geregelte Konkursordnung? Die Deutschen
erstrebten das Reich nicht um des Staates
willen, sondern um der Nation einen festen
Rückhalt zu ihrer Wirksamkeit zu geben. Nicht
staatliche Rücksichten trieben zur Staaten¬
bildung, sondern nationale.

Aber es ist heute so: wer mit Gefühls¬
werten operiert, wird sofort etwas von der
Seite angesehen. In der Gegenwart herrscht
die Technik, der rechnende Verstand. Unsere
gesamte Erziehung mit ihrer Forderung der
naturwissenschaftlichen Erkenntnis, der ver¬
standesmäßigen Auffassung aller Dinge ist
vollkommen davon durchsetzt. Und die staats¬
bürgerliche Erziehung unserer Tage macht
keine Ausnahme. Mit diesem verstandes-
mäßigen Erziehungsbetriebe aber kommen
wir in die Gefahr, wertvolle Ideale zu ver¬
nichten, sie der Einwirkung auf die begeiste-
nmgsfähige Jugend zu entziehen. Das sind
die nationalen, die völkischen Ideale.

Von ihnen ist in der Literatur zur staats¬
bürgerlichen Erziehung wenig zu finden.
Zwar sucht man in der Jugend Verständnis
für den Wert der Kolonien, der Marine, des
Landheeres und anderer hierhergehöriger
Faktoren zu wecken. Aber der Hauptwert
wird doch nur auf die verstandesmäßige Auf¬
fassung gelegt, der wirtschaftliche Gesichts¬
punkt ist maßgebend. Indem man zur Er¬
ziehung zum Staatsbürger drängt, kann das
Ziel gar kein anderes sein; der Staat ist ja
oft nur der Faktor zur Ausbreitung der wirt¬
schaftlichen Macht.

Sollte das deutsche Volk aber nicht irren,
wenn es damit seine Wirksamkeit für erledigt
ansieht? Eine der größten Taten der künftigen
deutschen Geschichte wird die Ausbreitung der
deutschen Kultur sein. Der Träger dieser
Kultur ist aber nicht der Staat, sondern die
Nation; der Staat kann ihr nur die Macht¬
mittel zur Ausbreitung, seine starke stützende
Hand leihen.

[Spaltenumbruch]

Wenn nun die Forderung nach einer ein¬
seitigen staatsbürgerlichen Erziehung in der
Gegenwart aufgestellt, ihre Richtigkeit allent¬
halben anerkannt, ihre Durchführung energisch
betrieben wird, müssen wir uns fragen, ob
der richtigeWeg zur Weiterentwicklung Deutsch¬
lands gegangen wird. Entbehren die vor¬
stehenden Ausführungen nicht der Beweis¬
kraft, so kann kein Zweifel darüber obwalten,
daß wir ihn nicht für den einzig möglichen
und unbedingt rechten halten, obwohl man
sich gegenwärtig den Anschein gibt, als wäre
ohne die landläufige staatsbürgerliche Er¬
ziehung an ein Heil für Deutschland nicht zu
denken.

Die staatsbürgerliche Erziehung ist unseres
Erachtens zu eng, sie entbehrt des großen
Rahmens, in dein man das Bild von der
Entwicklung Deutschlands sehen muß.

Sie ist zu intellektualistisch bestimmt, als
daß von ihr starke Impulse ausgehen könnten;
sie entbehrt des durchschlagenden Elaus dös
nationalen Gedankens. Denn damit kann es
doch tatsächlich nicht getan sein, baß wir
Rcichstagswähler von klarem, bestimmten
Wollen bilden, obwohl auch das von Wert ist.

Sie ist zu sehr auf die Nöte einer kurzen
Gegenwart zugeschnitten. Weil man auf
Unverständnis für staatliche Verhältnisse stößt,
weil man den Staat in seiner jetzigen Form
sichern, auf der anderen Seite ihn aber ver¬
nichten will, fordert man überall die staats¬
bürgerliche Erziehung. Aus der Verschieden¬
heit der Zielpunkte ergibt sich der Widerstreit
der Anschauungen. Und daran wird sie letzten
Endes, trotz aller Bemühungen, scheitern.

Da nun die Ausbreitung der deutschen
Kultur die Aufgabe des jetzigen und der
nächsten Geschlechter ist, kann uns die staats¬
bürgerliche Erziehung nicht befriedigen. Zu¬
mal hier unter Kultur vor allein die geistige
zu verstehen ist. Zur Erfüllung dieser Auf¬
gabe, die über Sein oder Nichtsein des Deutsch¬
tums entscheiden wird, kann das deutsche Volk
nur stark gemacht werden durch eine nationale,
eine völkische Erziehung.

Ihr wohnt der hochfliegende Enthusiasmus
inne, ohne den nichts Großes geschaffen werden
kann. Auf ihrem Boden können sich alleWesens-
richtungen vereinen. Hier könnte die Probe
gemacht werden, ob die Liebe der Sozial-

[Ende Spaltensatz]
Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

hör' ich rufen. Mit Nichten I Aber meint
man, daß die Freiheitskämpfer gegen Na¬
poleon ins Feld zogen, weil sie ihr Wissen
vom Staate in die Wirklichkeit umsetzen
wollten, oder daß die Kanonen ^1871 gegen
Paris donnerten, weil die Kanoniere meinten,
sie brauchten nun endlich eine einheitliche
Strafprozeßordnung, eine durch Reichsgesetz
geregelte Konkursordnung? Die Deutschen
erstrebten das Reich nicht um des Staates
willen, sondern um der Nation einen festen
Rückhalt zu ihrer Wirksamkeit zu geben. Nicht
staatliche Rücksichten trieben zur Staaten¬
bildung, sondern nationale.

Aber es ist heute so: wer mit Gefühls¬
werten operiert, wird sofort etwas von der
Seite angesehen. In der Gegenwart herrscht
die Technik, der rechnende Verstand. Unsere
gesamte Erziehung mit ihrer Forderung der
naturwissenschaftlichen Erkenntnis, der ver¬
standesmäßigen Auffassung aller Dinge ist
vollkommen davon durchsetzt. Und die staats¬
bürgerliche Erziehung unserer Tage macht
keine Ausnahme. Mit diesem verstandes-
mäßigen Erziehungsbetriebe aber kommen
wir in die Gefahr, wertvolle Ideale zu ver¬
nichten, sie der Einwirkung auf die begeiste-
nmgsfähige Jugend zu entziehen. Das sind
die nationalen, die völkischen Ideale.

Von ihnen ist in der Literatur zur staats¬
bürgerlichen Erziehung wenig zu finden.
Zwar sucht man in der Jugend Verständnis
für den Wert der Kolonien, der Marine, des
Landheeres und anderer hierhergehöriger
Faktoren zu wecken. Aber der Hauptwert
wird doch nur auf die verstandesmäßige Auf¬
fassung gelegt, der wirtschaftliche Gesichts¬
punkt ist maßgebend. Indem man zur Er¬
ziehung zum Staatsbürger drängt, kann das
Ziel gar kein anderes sein; der Staat ist ja
oft nur der Faktor zur Ausbreitung der wirt¬
schaftlichen Macht.

Sollte das deutsche Volk aber nicht irren,
wenn es damit seine Wirksamkeit für erledigt
ansieht? Eine der größten Taten der künftigen
deutschen Geschichte wird die Ausbreitung der
deutschen Kultur sein. Der Träger dieser
Kultur ist aber nicht der Staat, sondern die
Nation; der Staat kann ihr nur die Macht¬
mittel zur Ausbreitung, seine starke stützende
Hand leihen.

[Spaltenumbruch]

Wenn nun die Forderung nach einer ein¬
seitigen staatsbürgerlichen Erziehung in der
Gegenwart aufgestellt, ihre Richtigkeit allent¬
halben anerkannt, ihre Durchführung energisch
betrieben wird, müssen wir uns fragen, ob
der richtigeWeg zur Weiterentwicklung Deutsch¬
lands gegangen wird. Entbehren die vor¬
stehenden Ausführungen nicht der Beweis¬
kraft, so kann kein Zweifel darüber obwalten,
daß wir ihn nicht für den einzig möglichen
und unbedingt rechten halten, obwohl man
sich gegenwärtig den Anschein gibt, als wäre
ohne die landläufige staatsbürgerliche Er¬
ziehung an ein Heil für Deutschland nicht zu
denken.

Die staatsbürgerliche Erziehung ist unseres
Erachtens zu eng, sie entbehrt des großen
Rahmens, in dein man das Bild von der
Entwicklung Deutschlands sehen muß.

Sie ist zu intellektualistisch bestimmt, als
daß von ihr starke Impulse ausgehen könnten;
sie entbehrt des durchschlagenden Elaus dös
nationalen Gedankens. Denn damit kann es
doch tatsächlich nicht getan sein, baß wir
Rcichstagswähler von klarem, bestimmten
Wollen bilden, obwohl auch das von Wert ist.

Sie ist zu sehr auf die Nöte einer kurzen
Gegenwart zugeschnitten. Weil man auf
Unverständnis für staatliche Verhältnisse stößt,
weil man den Staat in seiner jetzigen Form
sichern, auf der anderen Seite ihn aber ver¬
nichten will, fordert man überall die staats¬
bürgerliche Erziehung. Aus der Verschieden¬
heit der Zielpunkte ergibt sich der Widerstreit
der Anschauungen. Und daran wird sie letzten
Endes, trotz aller Bemühungen, scheitern.

Da nun die Ausbreitung der deutschen
Kultur die Aufgabe des jetzigen und der
nächsten Geschlechter ist, kann uns die staats¬
bürgerliche Erziehung nicht befriedigen. Zu¬
mal hier unter Kultur vor allein die geistige
zu verstehen ist. Zur Erfüllung dieser Auf¬
gabe, die über Sein oder Nichtsein des Deutsch¬
tums entscheiden wird, kann das deutsche Volk
nur stark gemacht werden durch eine nationale,
eine völkische Erziehung.

Ihr wohnt der hochfliegende Enthusiasmus
inne, ohne den nichts Großes geschaffen werden
kann. Auf ihrem Boden können sich alleWesens-
richtungen vereinen. Hier könnte die Probe
gemacht werden, ob die Liebe der Sozial-

[Ende Spaltensatz]
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <div n="3">
              <pb facs="#f0537" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/328637"/>
              <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/>
              <cb type="start"/>
              <p xml:id="ID_2169" prev="#ID_2168"> hör' ich rufen. Mit Nichten I Aber meint<lb/>
man, daß die Freiheitskämpfer gegen Na¬<lb/>
poleon ins Feld zogen, weil sie ihr Wissen<lb/>
vom Staate in die Wirklichkeit umsetzen<lb/>
wollten, oder daß die Kanonen ^1871 gegen<lb/>
Paris donnerten, weil die Kanoniere meinten,<lb/>
sie brauchten nun endlich eine einheitliche<lb/>
Strafprozeßordnung, eine durch Reichsgesetz<lb/>
geregelte Konkursordnung? Die Deutschen<lb/>
erstrebten das Reich nicht um des Staates<lb/>
willen, sondern um der Nation einen festen<lb/>
Rückhalt zu ihrer Wirksamkeit zu geben. Nicht<lb/>
staatliche Rücksichten trieben zur Staaten¬<lb/>
bildung, sondern nationale.</p>
              <p xml:id="ID_2170"> Aber es ist heute so: wer mit Gefühls¬<lb/>
werten operiert, wird sofort etwas von der<lb/>
Seite angesehen. In der Gegenwart herrscht<lb/>
die Technik, der rechnende Verstand. Unsere<lb/>
gesamte Erziehung mit ihrer Forderung der<lb/>
naturwissenschaftlichen Erkenntnis, der ver¬<lb/>
standesmäßigen Auffassung aller Dinge ist<lb/>
vollkommen davon durchsetzt. Und die staats¬<lb/>
bürgerliche Erziehung unserer Tage macht<lb/>
keine Ausnahme. Mit diesem verstandes-<lb/>
mäßigen Erziehungsbetriebe aber kommen<lb/>
wir in die Gefahr, wertvolle Ideale zu ver¬<lb/>
nichten, sie der Einwirkung auf die begeiste-<lb/>
nmgsfähige Jugend zu entziehen. Das sind<lb/>
die nationalen, die völkischen Ideale.</p>
              <p xml:id="ID_2171"> Von ihnen ist in der Literatur zur staats¬<lb/>
bürgerlichen Erziehung wenig zu finden.<lb/>
Zwar sucht man in der Jugend Verständnis<lb/>
für den Wert der Kolonien, der Marine, des<lb/>
Landheeres und anderer hierhergehöriger<lb/>
Faktoren zu wecken. Aber der Hauptwert<lb/>
wird doch nur auf die verstandesmäßige Auf¬<lb/>
fassung gelegt, der wirtschaftliche Gesichts¬<lb/>
punkt ist maßgebend. Indem man zur Er¬<lb/>
ziehung zum Staatsbürger drängt, kann das<lb/>
Ziel gar kein anderes sein; der Staat ist ja<lb/>
oft nur der Faktor zur Ausbreitung der wirt¬<lb/>
schaftlichen Macht.</p>
              <p xml:id="ID_2172"> Sollte das deutsche Volk aber nicht irren,<lb/>
wenn es damit seine Wirksamkeit für erledigt<lb/>
ansieht? Eine der größten Taten der künftigen<lb/>
deutschen Geschichte wird die Ausbreitung der<lb/>
deutschen Kultur sein. Der Träger dieser<lb/>
Kultur ist aber nicht der Staat, sondern die<lb/>
Nation; der Staat kann ihr nur die Macht¬<lb/>
mittel zur Ausbreitung, seine starke stützende<lb/>
Hand leihen.</p>
              <cb/><lb/>
              <p xml:id="ID_2173"> Wenn nun die Forderung nach einer ein¬<lb/>
seitigen staatsbürgerlichen Erziehung in der<lb/>
Gegenwart aufgestellt, ihre Richtigkeit allent¬<lb/>
halben anerkannt, ihre Durchführung energisch<lb/>
betrieben wird, müssen wir uns fragen, ob<lb/>
der richtigeWeg zur Weiterentwicklung Deutsch¬<lb/>
lands gegangen wird. Entbehren die vor¬<lb/>
stehenden Ausführungen nicht der Beweis¬<lb/>
kraft, so kann kein Zweifel darüber obwalten,<lb/>
daß wir ihn nicht für den einzig möglichen<lb/>
und unbedingt rechten halten, obwohl man<lb/>
sich gegenwärtig den Anschein gibt, als wäre<lb/>
ohne die landläufige staatsbürgerliche Er¬<lb/>
ziehung an ein Heil für Deutschland nicht zu<lb/>
denken.</p>
              <p xml:id="ID_2174"> Die staatsbürgerliche Erziehung ist unseres<lb/>
Erachtens zu eng, sie entbehrt des großen<lb/>
Rahmens, in dein man das Bild von der<lb/>
Entwicklung Deutschlands sehen muß.</p>
              <p xml:id="ID_2175"> Sie ist zu intellektualistisch bestimmt, als<lb/>
daß von ihr starke Impulse ausgehen könnten;<lb/>
sie entbehrt des durchschlagenden Elaus dös<lb/>
nationalen Gedankens. Denn damit kann es<lb/>
doch tatsächlich nicht getan sein, baß wir<lb/>
Rcichstagswähler von klarem, bestimmten<lb/>
Wollen bilden, obwohl auch das von Wert ist.</p>
              <p xml:id="ID_2176"> Sie ist zu sehr auf die Nöte einer kurzen<lb/>
Gegenwart zugeschnitten. Weil man auf<lb/>
Unverständnis für staatliche Verhältnisse stößt,<lb/>
weil man den Staat in seiner jetzigen Form<lb/>
sichern, auf der anderen Seite ihn aber ver¬<lb/>
nichten will, fordert man überall die staats¬<lb/>
bürgerliche Erziehung. Aus der Verschieden¬<lb/>
heit der Zielpunkte ergibt sich der Widerstreit<lb/>
der Anschauungen. Und daran wird sie letzten<lb/>
Endes, trotz aller Bemühungen, scheitern.</p>
              <p xml:id="ID_2177"> Da nun die Ausbreitung der deutschen<lb/>
Kultur die Aufgabe des jetzigen und der<lb/>
nächsten Geschlechter ist, kann uns die staats¬<lb/>
bürgerliche Erziehung nicht befriedigen. Zu¬<lb/>
mal hier unter Kultur vor allein die geistige<lb/>
zu verstehen ist. Zur Erfüllung dieser Auf¬<lb/>
gabe, die über Sein oder Nichtsein des Deutsch¬<lb/>
tums entscheiden wird, kann das deutsche Volk<lb/>
nur stark gemacht werden durch eine nationale,<lb/>
eine völkische Erziehung.</p>
              <p xml:id="ID_2178" next="#ID_2179"> Ihr wohnt der hochfliegende Enthusiasmus<lb/>
inne, ohne den nichts Großes geschaffen werden<lb/>
kann. Auf ihrem Boden können sich alleWesens-<lb/>
richtungen vereinen. Hier könnte die Probe<lb/>
gemacht werden, ob die Liebe der Sozial-</p>
              <cb type="end"/><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0537] Maßgebliches und Unmaßgebliches hör' ich rufen. Mit Nichten I Aber meint man, daß die Freiheitskämpfer gegen Na¬ poleon ins Feld zogen, weil sie ihr Wissen vom Staate in die Wirklichkeit umsetzen wollten, oder daß die Kanonen ^1871 gegen Paris donnerten, weil die Kanoniere meinten, sie brauchten nun endlich eine einheitliche Strafprozeßordnung, eine durch Reichsgesetz geregelte Konkursordnung? Die Deutschen erstrebten das Reich nicht um des Staates willen, sondern um der Nation einen festen Rückhalt zu ihrer Wirksamkeit zu geben. Nicht staatliche Rücksichten trieben zur Staaten¬ bildung, sondern nationale. Aber es ist heute so: wer mit Gefühls¬ werten operiert, wird sofort etwas von der Seite angesehen. In der Gegenwart herrscht die Technik, der rechnende Verstand. Unsere gesamte Erziehung mit ihrer Forderung der naturwissenschaftlichen Erkenntnis, der ver¬ standesmäßigen Auffassung aller Dinge ist vollkommen davon durchsetzt. Und die staats¬ bürgerliche Erziehung unserer Tage macht keine Ausnahme. Mit diesem verstandes- mäßigen Erziehungsbetriebe aber kommen wir in die Gefahr, wertvolle Ideale zu ver¬ nichten, sie der Einwirkung auf die begeiste- nmgsfähige Jugend zu entziehen. Das sind die nationalen, die völkischen Ideale. Von ihnen ist in der Literatur zur staats¬ bürgerlichen Erziehung wenig zu finden. Zwar sucht man in der Jugend Verständnis für den Wert der Kolonien, der Marine, des Landheeres und anderer hierhergehöriger Faktoren zu wecken. Aber der Hauptwert wird doch nur auf die verstandesmäßige Auf¬ fassung gelegt, der wirtschaftliche Gesichts¬ punkt ist maßgebend. Indem man zur Er¬ ziehung zum Staatsbürger drängt, kann das Ziel gar kein anderes sein; der Staat ist ja oft nur der Faktor zur Ausbreitung der wirt¬ schaftlichen Macht. Sollte das deutsche Volk aber nicht irren, wenn es damit seine Wirksamkeit für erledigt ansieht? Eine der größten Taten der künftigen deutschen Geschichte wird die Ausbreitung der deutschen Kultur sein. Der Träger dieser Kultur ist aber nicht der Staat, sondern die Nation; der Staat kann ihr nur die Macht¬ mittel zur Ausbreitung, seine starke stützende Hand leihen. Wenn nun die Forderung nach einer ein¬ seitigen staatsbürgerlichen Erziehung in der Gegenwart aufgestellt, ihre Richtigkeit allent¬ halben anerkannt, ihre Durchführung energisch betrieben wird, müssen wir uns fragen, ob der richtigeWeg zur Weiterentwicklung Deutsch¬ lands gegangen wird. Entbehren die vor¬ stehenden Ausführungen nicht der Beweis¬ kraft, so kann kein Zweifel darüber obwalten, daß wir ihn nicht für den einzig möglichen und unbedingt rechten halten, obwohl man sich gegenwärtig den Anschein gibt, als wäre ohne die landläufige staatsbürgerliche Er¬ ziehung an ein Heil für Deutschland nicht zu denken. Die staatsbürgerliche Erziehung ist unseres Erachtens zu eng, sie entbehrt des großen Rahmens, in dein man das Bild von der Entwicklung Deutschlands sehen muß. Sie ist zu intellektualistisch bestimmt, als daß von ihr starke Impulse ausgehen könnten; sie entbehrt des durchschlagenden Elaus dös nationalen Gedankens. Denn damit kann es doch tatsächlich nicht getan sein, baß wir Rcichstagswähler von klarem, bestimmten Wollen bilden, obwohl auch das von Wert ist. Sie ist zu sehr auf die Nöte einer kurzen Gegenwart zugeschnitten. Weil man auf Unverständnis für staatliche Verhältnisse stößt, weil man den Staat in seiner jetzigen Form sichern, auf der anderen Seite ihn aber ver¬ nichten will, fordert man überall die staats¬ bürgerliche Erziehung. Aus der Verschieden¬ heit der Zielpunkte ergibt sich der Widerstreit der Anschauungen. Und daran wird sie letzten Endes, trotz aller Bemühungen, scheitern. Da nun die Ausbreitung der deutschen Kultur die Aufgabe des jetzigen und der nächsten Geschlechter ist, kann uns die staats¬ bürgerliche Erziehung nicht befriedigen. Zu¬ mal hier unter Kultur vor allein die geistige zu verstehen ist. Zur Erfüllung dieser Auf¬ gabe, die über Sein oder Nichtsein des Deutsch¬ tums entscheiden wird, kann das deutsche Volk nur stark gemacht werden durch eine nationale, eine völkische Erziehung. Ihr wohnt der hochfliegende Enthusiasmus inne, ohne den nichts Großes geschaffen werden kann. Auf ihrem Boden können sich alleWesens- richtungen vereinen. Hier könnte die Probe gemacht werden, ob die Liebe der Sozial-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/537
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/537>, abgerufen am 04.07.2024.