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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Wilhelm Driewer, der Aindcrfrcund

"Bringst du es gleich wieder weg?" fragte er. scheu nach dem kleinen
lieben Wesen blickend.

"Gleich," versprach sie.

Er legte, während sie sprach, seine Hand um ihren Fuß, den er von
seinem niedrigen Platz aus ergreifen konnte, aber als sie seine Nähe durchfuhr,
ließ das Kind erschrocken von ihr ab, und Wilhelm wagte sie nicht mehr an¬
zurühren. Sie behielt es noch ans dem Arm, als es längst zufrieden war,
machte es kregel und zeigte Wilhelm das Gesicht des Kindes, das dem seinen
ähnlich war.

"Ich dachte, du wolltest mich leichtsinnig machen, und nun läßt du mich
fühlen, wieviel Schuld ich gegen dich habe, und machst mich schwer," sagte er.

Das wollte Rika nicht wahr haben. Sie sprachen sich dann zum ersten
Male in ruhiger und offener Weise um ihre Liebschaft und deren Folgen aus.
"Nita," sagte Wilhelm Driewer, indem ihm die Augen feucht wurden, "du
bist mein Schatz gewesen mehr als die Martha, vor dein Herrgott und dir
kann ich es nicht ablägen. Wäre ich zu Hause der Anerbe gewesen, so
wärest du als Bäuerin auf dem Hofe eingezogen. Aber ich war es nicht und
habe doch als großer Bauer angesehen werden wollen. Da nahm ich es
nicht schwer, daß ich an dir handelte wie ein gemeiner Knecht an einer ehr¬
lichen Magd."

Rika hörte ihm ruhig zu, um ihn dann zu verbessern. "Ich hätte dich
um deine Schuld vor keinem Gericht verklagen können. Du hattest nur nichts
versprochen, darum bliebst du mir nichts Eigentliches schuldig. Vergiß das
nicht."

Er antwortete: "Wir wollen uns nichts vormachen, Rika. Beim Gericht
gehen sie nicht soweit. Aber wir haben noch ein anderes Gericht in uns, das
ist das Gewissen."

"Rede nicht," lehnte Rika ab. "Es ist alles längst gut gemacht, nicht durch
dich, aber durch Martha. Sie gibt mir alle Ehre wieder, die ich um dich auf¬
gab. Sie tut es unbewußt in deinem Namen, das ist das Wunderbare, das
Schöne dabei."

Wilhelm Driewer sagte weiter: "Ich bot dir damals an, ich wolle mich
offen zu dir und dem Kinde del unen. Du hättest das annehmen sollen."

Da lächelte sie. "Warum fragtest du? Du kanntest mich und wußtest,
daß ich es abwies. Hättest du es ehrlich tun wollen, so hättest du statt zu
fragen handeln müssen."

Wilhelm Driewer bekam einen roten Kopf, weil das Mädchen ihm zeigte,
daß er kein großer Mann war, wenn es in heiklen Dingen von ihm gefordert
wurde. Es war aber nicht ihre Absicht, ihm in dieser Weise heimzuleuchten,
sie wußte, daß von denen, die zuviel geliebt wurden, nicht viel wiederzu¬
fordern war, darum erklärte sie ihm die Zwecklosigkeit seines damaligen An¬
gebotes.


Wilhelm Driewer, der Aindcrfrcund

„Bringst du es gleich wieder weg?" fragte er. scheu nach dem kleinen
lieben Wesen blickend.

„Gleich," versprach sie.

Er legte, während sie sprach, seine Hand um ihren Fuß, den er von
seinem niedrigen Platz aus ergreifen konnte, aber als sie seine Nähe durchfuhr,
ließ das Kind erschrocken von ihr ab, und Wilhelm wagte sie nicht mehr an¬
zurühren. Sie behielt es noch ans dem Arm, als es längst zufrieden war,
machte es kregel und zeigte Wilhelm das Gesicht des Kindes, das dem seinen
ähnlich war.

„Ich dachte, du wolltest mich leichtsinnig machen, und nun läßt du mich
fühlen, wieviel Schuld ich gegen dich habe, und machst mich schwer," sagte er.

Das wollte Rika nicht wahr haben. Sie sprachen sich dann zum ersten
Male in ruhiger und offener Weise um ihre Liebschaft und deren Folgen aus.
„Nita," sagte Wilhelm Driewer, indem ihm die Augen feucht wurden, „du
bist mein Schatz gewesen mehr als die Martha, vor dein Herrgott und dir
kann ich es nicht ablägen. Wäre ich zu Hause der Anerbe gewesen, so
wärest du als Bäuerin auf dem Hofe eingezogen. Aber ich war es nicht und
habe doch als großer Bauer angesehen werden wollen. Da nahm ich es
nicht schwer, daß ich an dir handelte wie ein gemeiner Knecht an einer ehr¬
lichen Magd."

Rika hörte ihm ruhig zu, um ihn dann zu verbessern. „Ich hätte dich
um deine Schuld vor keinem Gericht verklagen können. Du hattest nur nichts
versprochen, darum bliebst du mir nichts Eigentliches schuldig. Vergiß das
nicht."

Er antwortete: „Wir wollen uns nichts vormachen, Rika. Beim Gericht
gehen sie nicht soweit. Aber wir haben noch ein anderes Gericht in uns, das
ist das Gewissen."

„Rede nicht," lehnte Rika ab. „Es ist alles längst gut gemacht, nicht durch
dich, aber durch Martha. Sie gibt mir alle Ehre wieder, die ich um dich auf¬
gab. Sie tut es unbewußt in deinem Namen, das ist das Wunderbare, das
Schöne dabei."

Wilhelm Driewer sagte weiter: „Ich bot dir damals an, ich wolle mich
offen zu dir und dem Kinde del unen. Du hättest das annehmen sollen."

Da lächelte sie. „Warum fragtest du? Du kanntest mich und wußtest,
daß ich es abwies. Hättest du es ehrlich tun wollen, so hättest du statt zu
fragen handeln müssen."

Wilhelm Driewer bekam einen roten Kopf, weil das Mädchen ihm zeigte,
daß er kein großer Mann war, wenn es in heiklen Dingen von ihm gefordert
wurde. Es war aber nicht ihre Absicht, ihm in dieser Weise heimzuleuchten,
sie wußte, daß von denen, die zuviel geliebt wurden, nicht viel wiederzu¬
fordern war, darum erklärte sie ihm die Zwecklosigkeit seines damaligen An¬
gebotes.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/522>, abgerufen am 25.07.2024.