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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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die die Bibel nicht antasten lassen, überstürmtl -- I. S. 613: "Wilhelm Grimm
steht also im ganzen (!) das Märchen doch als Rasseerbteil an. In neuerer
Zeit hat man... im besonderen eine Wandertheorie ausgebildet, zu der ich
mich aber so wenig wie Wilhelm Grimm (I) bekennen kann: was nicht
Rassenerbteil ist, ist aus allgemeinen menschlichen Verhältnissen
zu erklären, mag auch hier und da einmal eine Wanderung stattfinden,"




Neben den Tendenzen, die einer Gruppe von Gesinnungsgenossen, einer
Partei, der konservativ-agrarischen, angehören, pflegt Barrels auch noch eine Reihe
von Privattendenzen, auf die nur flüchtig hinzuweisen ist. Mit der Rasse¬
tendenz und seiner dithmarsischen Herkunft hängt die Tendenz zusammen, Heb bei
als den typischen Germanen unter den modernen Genies und als Schiedsrichter
in allen Streitfragen hinzustellen. Barrels schwört offenkundig (l, 78) zu
dem Dramatiker und Tagebüchler und nutzt dessen Äußerungen stritte für
seine Anschauungen aus. (Vgl. I. 9, 69. 70, 148 f., 186 f., 259. 658/62, 688.
692 usw. usw.) Wir haben darauf nur zu erwidern, daß nichts gegen solchen
Schwur zu Hebbel einzuwenden wäre, wenn er in universalem Geiste geschähe,
aber er geschieht im Bartelsschen! Und wir setzen dem: "Wir schwören zu
Hebbel" nur ein "Wir schwören zu Goethe" gegenüber, um der Univer¬
salität willen, um des Menschentums willen, das Bartels selbst einst pries
(III, S. 65 f.), und dessen Erhebung durch ihn wir eingangs zitiert haben.

Auch ästhetische Forderungen werden bei Bartels zu Tendenzen, weil er
alle Werke, die seinen persönlichen Forderungen für die Zukunft des deutschen
Schrifttums entsprechen, günstiger beurteilt. So vor allem den Realismus,
den er für die erste Form der Dichtkunst erklären möchte, denn er hat seine
geschichtliche Entwicklung im neunzehnten Jahrhundert erforscht und festgelegt.
Der universale Literaturwissenschaftler läßt aber allen Kunstrichtungen gleiche
Geltung widerfahren; das Leben läßt sich in jeder wie auch gearteten Kunst¬
richtung gleich intensiv erlebbar gestalten -- es kommt nur darauf an, wie man
das Leben erlebt und anschaut. (Zitate: I, 13; 254; 307; II, 117; III, 502f. usw.)
Die gleiche Anschauung muß für die andern ästhetischen Tendenzen von Bartels
gelten: die Forderungen eines historischen Dramas, eines modernen Problem¬
dramas, des deutschen Lustspiels, des Anschlusses an die deutsche und der
Menschheit Vergangenheit, des Zeit- und historischen Romanes. Solche Tendenzen
haben allein den Wert, daß sie den charakterisieren, der sie vertritt und Licht
auf die Zeit, in der sie entstanden sind, werfen. Niemals aber dürfen sie, wie es
bei Bartels der Fall ist, das Urteil oder gar die Verwaltung des geistigen
Volksbesitzes beeinflussen, indem sie zu Gesichtspunkten für die Art und Weise
der Verwaltung werden.

Bartels glaubt eben in hypertrophischen Egoismus nur an sein Ich, an
seine Natur. Für sie kennt er keine Aufwärtsentwicklung, sondern nur eine stete


Grenzboten II I9t4 32

die die Bibel nicht antasten lassen, überstürmtl — I. S. 613: „Wilhelm Grimm
steht also im ganzen (!) das Märchen doch als Rasseerbteil an. In neuerer
Zeit hat man... im besonderen eine Wandertheorie ausgebildet, zu der ich
mich aber so wenig wie Wilhelm Grimm (I) bekennen kann: was nicht
Rassenerbteil ist, ist aus allgemeinen menschlichen Verhältnissen
zu erklären, mag auch hier und da einmal eine Wanderung stattfinden,"




Neben den Tendenzen, die einer Gruppe von Gesinnungsgenossen, einer
Partei, der konservativ-agrarischen, angehören, pflegt Barrels auch noch eine Reihe
von Privattendenzen, auf die nur flüchtig hinzuweisen ist. Mit der Rasse¬
tendenz und seiner dithmarsischen Herkunft hängt die Tendenz zusammen, Heb bei
als den typischen Germanen unter den modernen Genies und als Schiedsrichter
in allen Streitfragen hinzustellen. Barrels schwört offenkundig (l, 78) zu
dem Dramatiker und Tagebüchler und nutzt dessen Äußerungen stritte für
seine Anschauungen aus. (Vgl. I. 9, 69. 70, 148 f., 186 f., 259. 658/62, 688.
692 usw. usw.) Wir haben darauf nur zu erwidern, daß nichts gegen solchen
Schwur zu Hebbel einzuwenden wäre, wenn er in universalem Geiste geschähe,
aber er geschieht im Bartelsschen! Und wir setzen dem: „Wir schwören zu
Hebbel" nur ein „Wir schwören zu Goethe" gegenüber, um der Univer¬
salität willen, um des Menschentums willen, das Bartels selbst einst pries
(III, S. 65 f.), und dessen Erhebung durch ihn wir eingangs zitiert haben.

Auch ästhetische Forderungen werden bei Bartels zu Tendenzen, weil er
alle Werke, die seinen persönlichen Forderungen für die Zukunft des deutschen
Schrifttums entsprechen, günstiger beurteilt. So vor allem den Realismus,
den er für die erste Form der Dichtkunst erklären möchte, denn er hat seine
geschichtliche Entwicklung im neunzehnten Jahrhundert erforscht und festgelegt.
Der universale Literaturwissenschaftler läßt aber allen Kunstrichtungen gleiche
Geltung widerfahren; das Leben läßt sich in jeder wie auch gearteten Kunst¬
richtung gleich intensiv erlebbar gestalten — es kommt nur darauf an, wie man
das Leben erlebt und anschaut. (Zitate: I, 13; 254; 307; II, 117; III, 502f. usw.)
Die gleiche Anschauung muß für die andern ästhetischen Tendenzen von Bartels
gelten: die Forderungen eines historischen Dramas, eines modernen Problem¬
dramas, des deutschen Lustspiels, des Anschlusses an die deutsche und der
Menschheit Vergangenheit, des Zeit- und historischen Romanes. Solche Tendenzen
haben allein den Wert, daß sie den charakterisieren, der sie vertritt und Licht
auf die Zeit, in der sie entstanden sind, werfen. Niemals aber dürfen sie, wie es
bei Bartels der Fall ist, das Urteil oder gar die Verwaltung des geistigen
Volksbesitzes beeinflussen, indem sie zu Gesichtspunkten für die Art und Weise
der Verwaltung werden.

Bartels glaubt eben in hypertrophischen Egoismus nur an sein Ich, an
seine Natur. Für sie kennt er keine Aufwärtsentwicklung, sondern nur eine stete


Grenzboten II I9t4 32
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/509>, abgerufen am 25.07.2024.