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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Die Grundzüge einer Litcrcitnrbeurteilnng

immer nur als Sensation oder gar als Skandal." -- I, 133: Wenn Bartels
einmal einen Triumph erwähnt, den ein Autor -- wie Voltaire in Paris --
in einer Großstadt erringt, so hat natürlich "die Sensationssucht der
Großstadt" -- eine beliebte Zeitungsphrase! -- dazu "ihr gut Teil" beige¬
tragen. -- I, 152: Moses Mendelssohn war der "Neuen Heloise" als Kritiker
nicht gewachsen, weil er "Jude und Aufklärer" war. -- I, 160: der Liberalismus
erkennt die Gegenwcut an, Bartels ist folglich ein lauclator temporis acti:
bei Beaumarchais denkt er an Sudermann (!), "nur daß der Berliner Deutsche
des neunzehnten Jahrhunderts an Kultur und Geist natürlich unendlich hinter
dem Franzosen des achtzehnten zurücksteht." Wozu dann der Vergleich? Nur
um der Tendenz willen. -- I, 281 heißt es: "Der Geist, von dem die neuen
Zeitschriften (Addisons und Stceles) getragen wurden, war im ganzen der
bürgerlich freisinnige, hier in England im Gegensatz zu der aristokratischen
Sittenlosigkeit jedenfalls Träger der Zukunft, aber allerdings auch schon
im Keime alle jene Schwächen aufzeigend, die später zu dem, was wir heute
Liberalismus, Radikalismus, Jndustrialismus und Kapitalismus nennen, geführt
haben." -- I, 418 sagt Bartels: "Im besonderen ist Lessing auch der Mann
des aufstrebenden Berlins und eigentlich bis auf diesen Tag der g'<zniu8 loci
der preußischen Hauptstadt, im Guten und im Bösen (nämlich seinem Libera¬
lismus usw) geblieben." -- I, 421 schwächt Bartels einen Vers Goethes gegen
die schnüffelnden Pfaffen ab, weil solche Gegnerschaft in der Konservativen
Partei nicht geduldet wird: "Wir wollen dabei nicht vergessen, daß das Pfaffen-
tum keine kirchliche Einrichtung (wer behauptet das? es ist das Resultat
gewisser kirchlicher Einrichtungen) ist, sondern eine Menschenart bedeutet, die
sich auf allen Gebieten menschlicher Betätigung findet, und daß im be¬
sonderen die Pfaffen des Unglaubens im verflossenen Jahrhundert mächtiger
gewesen sind und dem Seelenleben der Völker mehr geschadet haben als wahr¬
scheinlich (!) die christlichen Pfaffen zu irgendeiner Zeit."

Ich denke diese Beispiele aus dem ersten Bande der "Weltliteratur" ge¬
nügen, um zu zeigen, was Gerechtigkeit und Unbefangenheit bei Bartels be¬
deuten!




Mit der Tendenz gegen den Liberalismus geht die gegen das Judentum,
daZ er bekämpfen will, "solange noch ein Blutstropfen in mir ist", Schritt für
Schritt zusammen. Er zentralisiert das Judentum in der Gestalt Heines. Ich
will hier nicht daraus eingehen, wie er Heines Leben und Schaffen behandelt
-- diese Seite von Bartels' Literaturbeurteilung ist ja schon oft genug kritisch
betrachtet worden und er selbst hat sein Heinebuch einmal "grob" genannt, was
ihn freilich nicht abhält, eS weiter zu sein. Es ist das Hauptkennzeichen von
Bartels' Tendenzart, daß er Behauptungen aufstellt. Urteile fällt, ohne sie zu
begründen; schon Julius Hart hat mit Recht den Grundsatz geäußert: "das


Die Grundzüge einer Litcrcitnrbeurteilnng

immer nur als Sensation oder gar als Skandal." — I, 133: Wenn Bartels
einmal einen Triumph erwähnt, den ein Autor — wie Voltaire in Paris —
in einer Großstadt erringt, so hat natürlich „die Sensationssucht der
Großstadt" — eine beliebte Zeitungsphrase! — dazu „ihr gut Teil" beige¬
tragen. — I, 152: Moses Mendelssohn war der „Neuen Heloise" als Kritiker
nicht gewachsen, weil er „Jude und Aufklärer" war. — I, 160: der Liberalismus
erkennt die Gegenwcut an, Bartels ist folglich ein lauclator temporis acti:
bei Beaumarchais denkt er an Sudermann (!), „nur daß der Berliner Deutsche
des neunzehnten Jahrhunderts an Kultur und Geist natürlich unendlich hinter
dem Franzosen des achtzehnten zurücksteht." Wozu dann der Vergleich? Nur
um der Tendenz willen. — I, 281 heißt es: „Der Geist, von dem die neuen
Zeitschriften (Addisons und Stceles) getragen wurden, war im ganzen der
bürgerlich freisinnige, hier in England im Gegensatz zu der aristokratischen
Sittenlosigkeit jedenfalls Träger der Zukunft, aber allerdings auch schon
im Keime alle jene Schwächen aufzeigend, die später zu dem, was wir heute
Liberalismus, Radikalismus, Jndustrialismus und Kapitalismus nennen, geführt
haben." — I, 418 sagt Bartels: „Im besonderen ist Lessing auch der Mann
des aufstrebenden Berlins und eigentlich bis auf diesen Tag der g'<zniu8 loci
der preußischen Hauptstadt, im Guten und im Bösen (nämlich seinem Libera¬
lismus usw) geblieben." — I, 421 schwächt Bartels einen Vers Goethes gegen
die schnüffelnden Pfaffen ab, weil solche Gegnerschaft in der Konservativen
Partei nicht geduldet wird: „Wir wollen dabei nicht vergessen, daß das Pfaffen-
tum keine kirchliche Einrichtung (wer behauptet das? es ist das Resultat
gewisser kirchlicher Einrichtungen) ist, sondern eine Menschenart bedeutet, die
sich auf allen Gebieten menschlicher Betätigung findet, und daß im be¬
sonderen die Pfaffen des Unglaubens im verflossenen Jahrhundert mächtiger
gewesen sind und dem Seelenleben der Völker mehr geschadet haben als wahr¬
scheinlich (!) die christlichen Pfaffen zu irgendeiner Zeit."

Ich denke diese Beispiele aus dem ersten Bande der „Weltliteratur" ge¬
nügen, um zu zeigen, was Gerechtigkeit und Unbefangenheit bei Bartels be¬
deuten!




Mit der Tendenz gegen den Liberalismus geht die gegen das Judentum,
daZ er bekämpfen will, „solange noch ein Blutstropfen in mir ist", Schritt für
Schritt zusammen. Er zentralisiert das Judentum in der Gestalt Heines. Ich
will hier nicht daraus eingehen, wie er Heines Leben und Schaffen behandelt
— diese Seite von Bartels' Literaturbeurteilung ist ja schon oft genug kritisch
betrachtet worden und er selbst hat sein Heinebuch einmal „grob" genannt, was
ihn freilich nicht abhält, eS weiter zu sein. Es ist das Hauptkennzeichen von
Bartels' Tendenzart, daß er Behauptungen aufstellt. Urteile fällt, ohne sie zu
begründen; schon Julius Hart hat mit Recht den Grundsatz geäußert: „das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/504>, abgerufen am 25.07.2024.