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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Die Grundzüge einer Literaturbeurtcilung

oder volkstümlich, dem Reichstag entsprechend "Links" und "Rechts" gebildet
haben. Ob diese politischen Anschauungen zutreffen oder nicht, will ich nicht
untersuchen. Jedenfalls ist schon ersichtlich, daß hier bereits die Konstruktion
beginnt, die ebenfalls den idealistischen Politiker kennzeichnet. Ich übernehme die
Zweiteilung nur der Methode halber. Bartels stellt sich entschieden auf die
Seite der Rechten. Täte er das nur als Staatsbürger -- wie etwa Hanns
von Zobeltitz --, so könnte es uns ganz gleichgültig bleiben. Er tut es aber
auch als Literaturwissenschaftler und ist damit zum größten Teil einer der
Haupturheber für eine Krankheitserscheinung unseres modernen literarischen Lebens:
die Politisierung der Literatur, der literarischen Produktion wie des
literarischen Urteils. Solche Politisierung ist jedoch der Verderb jedes rein
geistigen Lebens und damit auch des geistigen Besitzes eines Volkes, der Welt
und deren Verwaltung, weil eben infolge der heutigen politischen wirtschaftlich
begründeten Formen das Materielle damit Gewalt über das Ideelle erhält.
Die "Ideale", die die politischen Wirtschaftsgruppen vertreten, hängen nicht mit
ihrem Wesen, ihrer wirklichen Aufgabe zusammen, sondern sind nur Traditionen,
von denen die Wirtschaftsgruppen sofort abrücken würden, wären sie der
Festigung ihrer politischen Macht gefährlich, wären sie dem Erreichen der realen
Ziele hinderlich.

Bartels behauptet nun, die Geschichte habe ihm seine konservativ-agrarische
Geschichtsauffassung gelehrt. Für jeden vorurteilsloser Geschichtskenner liegt
es auf der Hand, daß die Geschichte niemals die Gegnerschaft des Konservativ¬
agrarischen und Liberal-industriellen lehren kann, sondern es liegt hier eine
Entwicklung vor, über der der Geistesmensch zu stehen hat, so daß er beiden
Richtungen vermöge seiner universalen Persönlichkeit gerecht zu werden vermag.
Bei Adolf Bartels zeigt sich aber ein ganz subjektiver Fall in auffallender
Engherzigkeit der Entwicklung und Ausbildung: Bartels ist durch Abstammung
-- als Dithmarsche --, durch Jugendmilieu -- Dithmarschens Bauernland -- durch
Erziehung und Lebensschicksale das, was wir eine konservativ-agrarische Natur
nennen können. Daß diese an sich große Sympathie verdient, leugnen wir
nicht, sondern wollen wir gerade hervorheben, schon wegen ihrer Bedeutung
für die Entwicklung des Volkes, für das Volkstum. Aber Bartels hat in seinem
ganzen Leben auch als Wissenschaftler nie danach gestrebt, sich von diesem Erbe,
dieser äußeren wie inneren Tradition, dieser Abhängigkeit seines zufälligen
Seins, diesen Grenzen seines Ichs, fortzuentwickeln zur nationalen Universalität,
zur Allseitigkeit, sondern sich dem konservativ-agrarischen Weltbilde immer
bewußter und entschlossener untergeordnet. Was er von Haus aus war. ist
er geblieben: ein einseitiger Parteimensch, der die Welt gleichsam aus einem
dithmarsischen Dorfwinkel heraus betrachtet und auch nichts anderes will. Dabei
kann natürlich nur eine Tendenz herausschlagen, sobald solch ein Mensch
ein bestimmtes geistiges Gebiet zu untersuchen, zu bewältigen beginnt, niemals
jene erforderliche Gerechtigkeit, die über den Parteien steht, sowohl rechts wie


Die Grundzüge einer Literaturbeurtcilung

oder volkstümlich, dem Reichstag entsprechend „Links" und „Rechts" gebildet
haben. Ob diese politischen Anschauungen zutreffen oder nicht, will ich nicht
untersuchen. Jedenfalls ist schon ersichtlich, daß hier bereits die Konstruktion
beginnt, die ebenfalls den idealistischen Politiker kennzeichnet. Ich übernehme die
Zweiteilung nur der Methode halber. Bartels stellt sich entschieden auf die
Seite der Rechten. Täte er das nur als Staatsbürger — wie etwa Hanns
von Zobeltitz —, so könnte es uns ganz gleichgültig bleiben. Er tut es aber
auch als Literaturwissenschaftler und ist damit zum größten Teil einer der
Haupturheber für eine Krankheitserscheinung unseres modernen literarischen Lebens:
die Politisierung der Literatur, der literarischen Produktion wie des
literarischen Urteils. Solche Politisierung ist jedoch der Verderb jedes rein
geistigen Lebens und damit auch des geistigen Besitzes eines Volkes, der Welt
und deren Verwaltung, weil eben infolge der heutigen politischen wirtschaftlich
begründeten Formen das Materielle damit Gewalt über das Ideelle erhält.
Die „Ideale", die die politischen Wirtschaftsgruppen vertreten, hängen nicht mit
ihrem Wesen, ihrer wirklichen Aufgabe zusammen, sondern sind nur Traditionen,
von denen die Wirtschaftsgruppen sofort abrücken würden, wären sie der
Festigung ihrer politischen Macht gefährlich, wären sie dem Erreichen der realen
Ziele hinderlich.

Bartels behauptet nun, die Geschichte habe ihm seine konservativ-agrarische
Geschichtsauffassung gelehrt. Für jeden vorurteilsloser Geschichtskenner liegt
es auf der Hand, daß die Geschichte niemals die Gegnerschaft des Konservativ¬
agrarischen und Liberal-industriellen lehren kann, sondern es liegt hier eine
Entwicklung vor, über der der Geistesmensch zu stehen hat, so daß er beiden
Richtungen vermöge seiner universalen Persönlichkeit gerecht zu werden vermag.
Bei Adolf Bartels zeigt sich aber ein ganz subjektiver Fall in auffallender
Engherzigkeit der Entwicklung und Ausbildung: Bartels ist durch Abstammung
— als Dithmarsche —, durch Jugendmilieu — Dithmarschens Bauernland — durch
Erziehung und Lebensschicksale das, was wir eine konservativ-agrarische Natur
nennen können. Daß diese an sich große Sympathie verdient, leugnen wir
nicht, sondern wollen wir gerade hervorheben, schon wegen ihrer Bedeutung
für die Entwicklung des Volkes, für das Volkstum. Aber Bartels hat in seinem
ganzen Leben auch als Wissenschaftler nie danach gestrebt, sich von diesem Erbe,
dieser äußeren wie inneren Tradition, dieser Abhängigkeit seines zufälligen
Seins, diesen Grenzen seines Ichs, fortzuentwickeln zur nationalen Universalität,
zur Allseitigkeit, sondern sich dem konservativ-agrarischen Weltbilde immer
bewußter und entschlossener untergeordnet. Was er von Haus aus war. ist
er geblieben: ein einseitiger Parteimensch, der die Welt gleichsam aus einem
dithmarsischen Dorfwinkel heraus betrachtet und auch nichts anderes will. Dabei
kann natürlich nur eine Tendenz herausschlagen, sobald solch ein Mensch
ein bestimmtes geistiges Gebiet zu untersuchen, zu bewältigen beginnt, niemals
jene erforderliche Gerechtigkeit, die über den Parteien steht, sowohl rechts wie


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[0499] Die Grundzüge einer Literaturbeurtcilung oder volkstümlich, dem Reichstag entsprechend „Links" und „Rechts" gebildet haben. Ob diese politischen Anschauungen zutreffen oder nicht, will ich nicht untersuchen. Jedenfalls ist schon ersichtlich, daß hier bereits die Konstruktion beginnt, die ebenfalls den idealistischen Politiker kennzeichnet. Ich übernehme die Zweiteilung nur der Methode halber. Bartels stellt sich entschieden auf die Seite der Rechten. Täte er das nur als Staatsbürger — wie etwa Hanns von Zobeltitz —, so könnte es uns ganz gleichgültig bleiben. Er tut es aber auch als Literaturwissenschaftler und ist damit zum größten Teil einer der Haupturheber für eine Krankheitserscheinung unseres modernen literarischen Lebens: die Politisierung der Literatur, der literarischen Produktion wie des literarischen Urteils. Solche Politisierung ist jedoch der Verderb jedes rein geistigen Lebens und damit auch des geistigen Besitzes eines Volkes, der Welt und deren Verwaltung, weil eben infolge der heutigen politischen wirtschaftlich begründeten Formen das Materielle damit Gewalt über das Ideelle erhält. Die „Ideale", die die politischen Wirtschaftsgruppen vertreten, hängen nicht mit ihrem Wesen, ihrer wirklichen Aufgabe zusammen, sondern sind nur Traditionen, von denen die Wirtschaftsgruppen sofort abrücken würden, wären sie der Festigung ihrer politischen Macht gefährlich, wären sie dem Erreichen der realen Ziele hinderlich. Bartels behauptet nun, die Geschichte habe ihm seine konservativ-agrarische Geschichtsauffassung gelehrt. Für jeden vorurteilsloser Geschichtskenner liegt es auf der Hand, daß die Geschichte niemals die Gegnerschaft des Konservativ¬ agrarischen und Liberal-industriellen lehren kann, sondern es liegt hier eine Entwicklung vor, über der der Geistesmensch zu stehen hat, so daß er beiden Richtungen vermöge seiner universalen Persönlichkeit gerecht zu werden vermag. Bei Adolf Bartels zeigt sich aber ein ganz subjektiver Fall in auffallender Engherzigkeit der Entwicklung und Ausbildung: Bartels ist durch Abstammung — als Dithmarsche —, durch Jugendmilieu — Dithmarschens Bauernland — durch Erziehung und Lebensschicksale das, was wir eine konservativ-agrarische Natur nennen können. Daß diese an sich große Sympathie verdient, leugnen wir nicht, sondern wollen wir gerade hervorheben, schon wegen ihrer Bedeutung für die Entwicklung des Volkes, für das Volkstum. Aber Bartels hat in seinem ganzen Leben auch als Wissenschaftler nie danach gestrebt, sich von diesem Erbe, dieser äußeren wie inneren Tradition, dieser Abhängigkeit seines zufälligen Seins, diesen Grenzen seines Ichs, fortzuentwickeln zur nationalen Universalität, zur Allseitigkeit, sondern sich dem konservativ-agrarischen Weltbilde immer bewußter und entschlossener untergeordnet. Was er von Haus aus war. ist er geblieben: ein einseitiger Parteimensch, der die Welt gleichsam aus einem dithmarsischen Dorfwinkel heraus betrachtet und auch nichts anderes will. Dabei kann natürlich nur eine Tendenz herausschlagen, sobald solch ein Mensch ein bestimmtes geistiges Gebiet zu untersuchen, zu bewältigen beginnt, niemals jene erforderliche Gerechtigkeit, die über den Parteien steht, sowohl rechts wie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/499>, abgerufen am 25.07.2024.