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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Lin reaktionärer Briefwechsel

nicht hat -- Du hast ja deutlich genug ausgesprochen, daß Du ihn nicht hast, und
Du hast recht, ihn nicht zu haben -- wer diesen Glauben nicht hat, der
kann auch nicht annehmen, daß mit der Übertragung der äußeren Verant¬
wortung auf ein von den Sonderinteressen der Wähler so abhängiges Parlament
irgend etwas gebessert werde.

Wir brauchen uns ja darüber nicht zu streiten, denn schließlich sollen wir
uns ja nicht theoretisch um die Ursachen des heutigen Elends, sondern praktisch
um die möglichen Mittel einer Abhilfe bemühen. Die Einführung des parla¬
mentarischen Regimes ist unmöglich. Du magst noch so sehr an ihre Nützlichkeit
glauben, diese Unmöglichkeit wirst Du zugeben müssen. Wir sind ein Bundes¬
staat mit einer recht komplizierten Maschinerie. Eines der wesentlichsten Stücke
dieser Maschinerie ist die Personalunion zwischen dem Reichskanzler und dem
preußischen Ministerpräsidenten. Die Einführung des parlamentarischen Regimes
in Preußen würde bedeuten, daß der Reichskanzler durch den preußischen Landtag
gestürzt werden kann; die Einführung desselben Regimes im Reiche aber die
Unterwerfung der preußischen Regierung unter ein demokratisches Reichsparlament,
also das Mitbestimmen süddeutscher Abgeordneter in preußischen Dingen, ohne
das preußischer Abgeordneter in den Angelegenheiten der süddeutschen Staaten.
Die Anhänger des parlamentarischen Regimes in der Zeit der Reichsgründung
waren sich dessen auch bewußt und haben deswegen gegen diesen ganzen Auf¬
bau, insbesondere gegen die Institution des Bundesrath gestimmt. Also das
geht nicht, man müßte denn vorher das Reich gründlich umbauen, zentra¬
lisieren, den Bundesrat abschaffen, kurz und gut, etwas tun. worüber Deine
Haare wohl ebenso zu Berge stehen würden wie meine.

Es käme also höchstens in betracht, daß man zwar dem Parlament nicht
die Macht gibt, die Minister zu stürzen, aber sich allmählich gewöhnt, die
Minister aus den Kreisen der Parlamentarier zu holen. Ach, du lieber
Himmel, das wollen unsere Parlamentarier auch recht gern. Aber Hand aufs
Herz, wo sind denn die Leute? Kannst Du irgendeinen nennen, der sich nicht
nur für fähig hielte, sondern es auch wäre? Alle zehn Jahre ist einmal einer
da -- aber alle zehn Jahre ist auch bisher schon einer oder der andere auf
einen Ministerposten gelangt. Wollte man diese gelegentlichen Ausnahmen zur
regelmäßigen Übung machen, so würde man vielleicht den Durchschnitt unserer
Parlamentarier etwas verbessern, vielleicht würde die parlamentarische Karriere
dann mehr ehrgeizige und fähige Köpfe anlocken als bisher. Ganz sicher ist
aber, daß, wenn auf diese Weise der Durchschnitt der Parlamentarier
um ein weniges verbessert, der Durchschnitt unserer Bureaukratie um ein
bedeutendes herabgedrückt würde. Gerade die besten Köpfe würden durch die
Aussicht, mis Geheimrat unter irgendeinem Parlamentarier zu enden, verscheucht
werden. Außerdem: welche Partei kann eigentlich irgendeinem bedeutenden Mann
einen Sitz im Reichstage anbieten? Mit Ausnahme der Sozialdemokratie ver¬
fügen nur drei Parteien über einige wenige sichere Sitze, die Konservativen,


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Lin reaktionärer Briefwechsel

nicht hat — Du hast ja deutlich genug ausgesprochen, daß Du ihn nicht hast, und
Du hast recht, ihn nicht zu haben — wer diesen Glauben nicht hat, der
kann auch nicht annehmen, daß mit der Übertragung der äußeren Verant¬
wortung auf ein von den Sonderinteressen der Wähler so abhängiges Parlament
irgend etwas gebessert werde.

Wir brauchen uns ja darüber nicht zu streiten, denn schließlich sollen wir
uns ja nicht theoretisch um die Ursachen des heutigen Elends, sondern praktisch
um die möglichen Mittel einer Abhilfe bemühen. Die Einführung des parla¬
mentarischen Regimes ist unmöglich. Du magst noch so sehr an ihre Nützlichkeit
glauben, diese Unmöglichkeit wirst Du zugeben müssen. Wir sind ein Bundes¬
staat mit einer recht komplizierten Maschinerie. Eines der wesentlichsten Stücke
dieser Maschinerie ist die Personalunion zwischen dem Reichskanzler und dem
preußischen Ministerpräsidenten. Die Einführung des parlamentarischen Regimes
in Preußen würde bedeuten, daß der Reichskanzler durch den preußischen Landtag
gestürzt werden kann; die Einführung desselben Regimes im Reiche aber die
Unterwerfung der preußischen Regierung unter ein demokratisches Reichsparlament,
also das Mitbestimmen süddeutscher Abgeordneter in preußischen Dingen, ohne
das preußischer Abgeordneter in den Angelegenheiten der süddeutschen Staaten.
Die Anhänger des parlamentarischen Regimes in der Zeit der Reichsgründung
waren sich dessen auch bewußt und haben deswegen gegen diesen ganzen Auf¬
bau, insbesondere gegen die Institution des Bundesrath gestimmt. Also das
geht nicht, man müßte denn vorher das Reich gründlich umbauen, zentra¬
lisieren, den Bundesrat abschaffen, kurz und gut, etwas tun. worüber Deine
Haare wohl ebenso zu Berge stehen würden wie meine.

Es käme also höchstens in betracht, daß man zwar dem Parlament nicht
die Macht gibt, die Minister zu stürzen, aber sich allmählich gewöhnt, die
Minister aus den Kreisen der Parlamentarier zu holen. Ach, du lieber
Himmel, das wollen unsere Parlamentarier auch recht gern. Aber Hand aufs
Herz, wo sind denn die Leute? Kannst Du irgendeinen nennen, der sich nicht
nur für fähig hielte, sondern es auch wäre? Alle zehn Jahre ist einmal einer
da — aber alle zehn Jahre ist auch bisher schon einer oder der andere auf
einen Ministerposten gelangt. Wollte man diese gelegentlichen Ausnahmen zur
regelmäßigen Übung machen, so würde man vielleicht den Durchschnitt unserer
Parlamentarier etwas verbessern, vielleicht würde die parlamentarische Karriere
dann mehr ehrgeizige und fähige Köpfe anlocken als bisher. Ganz sicher ist
aber, daß, wenn auf diese Weise der Durchschnitt der Parlamentarier
um ein weniges verbessert, der Durchschnitt unserer Bureaukratie um ein
bedeutendes herabgedrückt würde. Gerade die besten Köpfe würden durch die
Aussicht, mis Geheimrat unter irgendeinem Parlamentarier zu enden, verscheucht
werden. Außerdem: welche Partei kann eigentlich irgendeinem bedeutenden Mann
einen Sitz im Reichstage anbieten? Mit Ausnahme der Sozialdemokratie ver¬
fügen nur drei Parteien über einige wenige sichere Sitze, die Konservativen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/495>, abgerufen am 25.07.2024.