Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Wilhelm Driewer, der Rinderfreund

hohen und niedrigen Gästen dort ein. Am Nachmittag hatte er auf eine
knappe Stunde zu Hause hereingesehen und Martha gutmütig gefragt, ob er
daheim bleiben solle, weil ihre Niederkunft nächster Tage bevorstand, sie hatte
ihn aber weggeschickt, er möge sich gern belustigen, erzählte sie Rika, und daß
es nicht darüber ginge, dafür sorge ja die Base.

Die Frau hatte bei hastigem Sprechen aufgeregt heiße Backen, ein Knecht,
den Rika auf dem Fest geglaubt hatte, kam eben aus der Stadt zurück, eine
Magd war eilig hin und wieder.

"Martha," sagte Rika mit zögernden Fragen, "ist es wahr, was ich
glaube? Dann gehe ich gleich, und Wilhelm ist in zwei Stunden auf dem Hofe."

"Laß das sein." fuhr die tapfere junge Frau auf. "Er braucht die
ersten Stunden nicht mitzumachen, und ginge es schnell und gut mit mir, dann
hätte ich ihm einen reichlichen Lohn zu geben, wenn du ihn mir heil nach Hause
schafftest."

"Jetzt beißt du dich sest in dem unsinnigen Gedanken, mich ihm nach¬
zuschicken," sagte Rika düster. "Du weißt nicht, wie es ist, in Nöten zu
liegen, wenn die Hand vom Manne nicht da ist, die einen hält, einem
hilft." Und sie fügte bitter hinzu: "Du könntest es besser haben als ich
es hatte."

Und doch wolle sie, daß es so sei, sie brauche es nicht besser zu haben
als Rika, antwortete Frau Martha, ihren Willen durchsetzend. Sie schob
Rika aus der Tür in den Hos, aber das Mädchen zögerte immer noch zu
gehen und stieß endlich heraus, die Hand der jungen Frau in ihrer pressend:
"Martha. ich bin feig und schlecht vor dir."

Die Frau entzog Rika ihre Hand, weil ihr Kind sie an die nächsten
Stunden erinnerte, und sie trat in das Haus zurück, das sie hinter sich
verschloß.

Rika ging durch den Hof und die Straße entlang, wo diese in die
jenseitige, westliche Ebene führte. Sie ging unsicher, über Steine strauchelnd,
fand keinen Anschluß auf dem einsamen, einstündiger Wege und hatte Zeit
und Gelegenheit, über sich nachzudenken und in Zweifel an sich zu kommen.

Frau Martha wußte nicht, was sie getan, als sie Rika ihrem Manne
nachschickte, sie wußte nichts von einer früheren Liebschaft jener beiden, und so
wußte sie auch freilich nicht, was man im Ort kaum wahrgenommen hatte, daß
sie Rika dem Vater von des Mädchens Kinde entgegenschickte.

Rika hatte ihre Liebe zu Wilhelm Driewer noch nicht soweit überwunden,
um nicht über den Verlauf der heutigen Nacht in Zweifel zu sein. Sie wollte
fest sein nach dem Gelöbnisse der letzten Tage, fest um Marthas willen, um
ihrer beiden Kinder willen, sest um Heinrich Leiting und alle Ehre! Aber die
Liebe zu Wilhelm Driewer war so leicht wieder da. wenn sie ihn sah, daß sie
nun nichts beschwor. Rika hatte wegen ihrer Pflicht zu Martha den heutigen
Weg zu gehen auf sich genommen, als sie nun wirklich ging, dachte sie mehr


Wilhelm Driewer, der Rinderfreund

hohen und niedrigen Gästen dort ein. Am Nachmittag hatte er auf eine
knappe Stunde zu Hause hereingesehen und Martha gutmütig gefragt, ob er
daheim bleiben solle, weil ihre Niederkunft nächster Tage bevorstand, sie hatte
ihn aber weggeschickt, er möge sich gern belustigen, erzählte sie Rika, und daß
es nicht darüber ginge, dafür sorge ja die Base.

Die Frau hatte bei hastigem Sprechen aufgeregt heiße Backen, ein Knecht,
den Rika auf dem Fest geglaubt hatte, kam eben aus der Stadt zurück, eine
Magd war eilig hin und wieder.

„Martha," sagte Rika mit zögernden Fragen, „ist es wahr, was ich
glaube? Dann gehe ich gleich, und Wilhelm ist in zwei Stunden auf dem Hofe."

„Laß das sein." fuhr die tapfere junge Frau auf. „Er braucht die
ersten Stunden nicht mitzumachen, und ginge es schnell und gut mit mir, dann
hätte ich ihm einen reichlichen Lohn zu geben, wenn du ihn mir heil nach Hause
schafftest."

„Jetzt beißt du dich sest in dem unsinnigen Gedanken, mich ihm nach¬
zuschicken," sagte Rika düster. „Du weißt nicht, wie es ist, in Nöten zu
liegen, wenn die Hand vom Manne nicht da ist, die einen hält, einem
hilft." Und sie fügte bitter hinzu: „Du könntest es besser haben als ich
es hatte."

Und doch wolle sie, daß es so sei, sie brauche es nicht besser zu haben
als Rika, antwortete Frau Martha, ihren Willen durchsetzend. Sie schob
Rika aus der Tür in den Hos, aber das Mädchen zögerte immer noch zu
gehen und stieß endlich heraus, die Hand der jungen Frau in ihrer pressend:
„Martha. ich bin feig und schlecht vor dir."

Die Frau entzog Rika ihre Hand, weil ihr Kind sie an die nächsten
Stunden erinnerte, und sie trat in das Haus zurück, das sie hinter sich
verschloß.

Rika ging durch den Hof und die Straße entlang, wo diese in die
jenseitige, westliche Ebene führte. Sie ging unsicher, über Steine strauchelnd,
fand keinen Anschluß auf dem einsamen, einstündiger Wege und hatte Zeit
und Gelegenheit, über sich nachzudenken und in Zweifel an sich zu kommen.

Frau Martha wußte nicht, was sie getan, als sie Rika ihrem Manne
nachschickte, sie wußte nichts von einer früheren Liebschaft jener beiden, und so
wußte sie auch freilich nicht, was man im Ort kaum wahrgenommen hatte, daß
sie Rika dem Vater von des Mädchens Kinde entgegenschickte.

Rika hatte ihre Liebe zu Wilhelm Driewer noch nicht soweit überwunden,
um nicht über den Verlauf der heutigen Nacht in Zweifel zu sein. Sie wollte
fest sein nach dem Gelöbnisse der letzten Tage, fest um Marthas willen, um
ihrer beiden Kinder willen, sest um Heinrich Leiting und alle Ehre! Aber die
Liebe zu Wilhelm Driewer war so leicht wieder da. wenn sie ihn sah, daß sie
nun nichts beschwor. Rika hatte wegen ihrer Pflicht zu Martha den heutigen
Weg zu gehen auf sich genommen, als sie nun wirklich ging, dachte sie mehr


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0476" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/328576"/>
          <fw type="header" place="top"> Wilhelm Driewer, der Rinderfreund</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1921" prev="#ID_1920"> hohen und niedrigen Gästen dort ein. Am Nachmittag hatte er auf eine<lb/>
knappe Stunde zu Hause hereingesehen und Martha gutmütig gefragt, ob er<lb/>
daheim bleiben solle, weil ihre Niederkunft nächster Tage bevorstand, sie hatte<lb/>
ihn aber weggeschickt, er möge sich gern belustigen, erzählte sie Rika, und daß<lb/>
es nicht darüber ginge, dafür sorge ja die Base.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1922"> Die Frau hatte bei hastigem Sprechen aufgeregt heiße Backen, ein Knecht,<lb/>
den Rika auf dem Fest geglaubt hatte, kam eben aus der Stadt zurück, eine<lb/>
Magd war eilig hin und wieder.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1923"> &#x201E;Martha," sagte Rika mit zögernden Fragen, &#x201E;ist es wahr, was ich<lb/>
glaube? Dann gehe ich gleich, und Wilhelm ist in zwei Stunden auf dem Hofe."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1924"> &#x201E;Laß das sein." fuhr die tapfere junge Frau auf. &#x201E;Er braucht die<lb/>
ersten Stunden nicht mitzumachen, und ginge es schnell und gut mit mir, dann<lb/>
hätte ich ihm einen reichlichen Lohn zu geben, wenn du ihn mir heil nach Hause<lb/>
schafftest."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1925"> &#x201E;Jetzt beißt du dich sest in dem unsinnigen Gedanken, mich ihm nach¬<lb/>
zuschicken," sagte Rika düster. &#x201E;Du weißt nicht, wie es ist, in Nöten zu<lb/>
liegen, wenn die Hand vom Manne nicht da ist, die einen hält, einem<lb/>
hilft." Und sie fügte bitter hinzu: &#x201E;Du könntest es besser haben als ich<lb/>
es hatte."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1926"> Und doch wolle sie, daß es so sei, sie brauche es nicht besser zu haben<lb/>
als Rika, antwortete Frau Martha, ihren Willen durchsetzend. Sie schob<lb/>
Rika aus der Tür in den Hos, aber das Mädchen zögerte immer noch zu<lb/>
gehen und stieß endlich heraus, die Hand der jungen Frau in ihrer pressend:<lb/>
&#x201E;Martha. ich bin feig und schlecht vor dir."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1927"> Die Frau entzog Rika ihre Hand, weil ihr Kind sie an die nächsten<lb/>
Stunden erinnerte, und sie trat in das Haus zurück, das sie hinter sich<lb/>
verschloß.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1928"> Rika ging durch den Hof und die Straße entlang, wo diese in die<lb/>
jenseitige, westliche Ebene führte. Sie ging unsicher, über Steine strauchelnd,<lb/>
fand keinen Anschluß auf dem einsamen, einstündiger Wege und hatte Zeit<lb/>
und Gelegenheit, über sich nachzudenken und in Zweifel an sich zu kommen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1929"> Frau Martha wußte nicht, was sie getan, als sie Rika ihrem Manne<lb/>
nachschickte, sie wußte nichts von einer früheren Liebschaft jener beiden, und so<lb/>
wußte sie auch freilich nicht, was man im Ort kaum wahrgenommen hatte, daß<lb/>
sie Rika dem Vater von des Mädchens Kinde entgegenschickte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1930" next="#ID_1931"> Rika hatte ihre Liebe zu Wilhelm Driewer noch nicht soweit überwunden,<lb/>
um nicht über den Verlauf der heutigen Nacht in Zweifel zu sein. Sie wollte<lb/>
fest sein nach dem Gelöbnisse der letzten Tage, fest um Marthas willen, um<lb/>
ihrer beiden Kinder willen, sest um Heinrich Leiting und alle Ehre! Aber die<lb/>
Liebe zu Wilhelm Driewer war so leicht wieder da. wenn sie ihn sah, daß sie<lb/>
nun nichts beschwor. Rika hatte wegen ihrer Pflicht zu Martha den heutigen<lb/>
Weg zu gehen auf sich genommen, als sie nun wirklich ging, dachte sie mehr</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0476] Wilhelm Driewer, der Rinderfreund hohen und niedrigen Gästen dort ein. Am Nachmittag hatte er auf eine knappe Stunde zu Hause hereingesehen und Martha gutmütig gefragt, ob er daheim bleiben solle, weil ihre Niederkunft nächster Tage bevorstand, sie hatte ihn aber weggeschickt, er möge sich gern belustigen, erzählte sie Rika, und daß es nicht darüber ginge, dafür sorge ja die Base. Die Frau hatte bei hastigem Sprechen aufgeregt heiße Backen, ein Knecht, den Rika auf dem Fest geglaubt hatte, kam eben aus der Stadt zurück, eine Magd war eilig hin und wieder. „Martha," sagte Rika mit zögernden Fragen, „ist es wahr, was ich glaube? Dann gehe ich gleich, und Wilhelm ist in zwei Stunden auf dem Hofe." „Laß das sein." fuhr die tapfere junge Frau auf. „Er braucht die ersten Stunden nicht mitzumachen, und ginge es schnell und gut mit mir, dann hätte ich ihm einen reichlichen Lohn zu geben, wenn du ihn mir heil nach Hause schafftest." „Jetzt beißt du dich sest in dem unsinnigen Gedanken, mich ihm nach¬ zuschicken," sagte Rika düster. „Du weißt nicht, wie es ist, in Nöten zu liegen, wenn die Hand vom Manne nicht da ist, die einen hält, einem hilft." Und sie fügte bitter hinzu: „Du könntest es besser haben als ich es hatte." Und doch wolle sie, daß es so sei, sie brauche es nicht besser zu haben als Rika, antwortete Frau Martha, ihren Willen durchsetzend. Sie schob Rika aus der Tür in den Hos, aber das Mädchen zögerte immer noch zu gehen und stieß endlich heraus, die Hand der jungen Frau in ihrer pressend: „Martha. ich bin feig und schlecht vor dir." Die Frau entzog Rika ihre Hand, weil ihr Kind sie an die nächsten Stunden erinnerte, und sie trat in das Haus zurück, das sie hinter sich verschloß. Rika ging durch den Hof und die Straße entlang, wo diese in die jenseitige, westliche Ebene führte. Sie ging unsicher, über Steine strauchelnd, fand keinen Anschluß auf dem einsamen, einstündiger Wege und hatte Zeit und Gelegenheit, über sich nachzudenken und in Zweifel an sich zu kommen. Frau Martha wußte nicht, was sie getan, als sie Rika ihrem Manne nachschickte, sie wußte nichts von einer früheren Liebschaft jener beiden, und so wußte sie auch freilich nicht, was man im Ort kaum wahrgenommen hatte, daß sie Rika dem Vater von des Mädchens Kinde entgegenschickte. Rika hatte ihre Liebe zu Wilhelm Driewer noch nicht soweit überwunden, um nicht über den Verlauf der heutigen Nacht in Zweifel zu sein. Sie wollte fest sein nach dem Gelöbnisse der letzten Tage, fest um Marthas willen, um ihrer beiden Kinder willen, sest um Heinrich Leiting und alle Ehre! Aber die Liebe zu Wilhelm Driewer war so leicht wieder da. wenn sie ihn sah, daß sie nun nichts beschwor. Rika hatte wegen ihrer Pflicht zu Martha den heutigen Weg zu gehen auf sich genommen, als sie nun wirklich ging, dachte sie mehr

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/476
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/476>, abgerufen am 25.07.2024.