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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Die Presse Indiens

westlichen Einflüssen und den innerpolitischen Wechselwirkungen in Europa bisher
noch sehr wenig berührt worden ist. Daher kommt es denn auch, daß sie
oft konservativer erscheinen als die englisch - indischen Zeitungen. Dennoch
steht fest, daß sich aus ihnen die Mehrzahl der wagemutigen und agressiven
Organe des neueren Nationalismus zusammensetzte. Die gut eingebürgerten
Hindu-Organe halten sich meist von einer Revolutionspropaganda fern. Sie
finden ihren Weg in die kleinen Städte und Dörfer, und werden dort von
vielen Tausenden gelesen, die sich keine englischen Zeitungen halten können oder
wollen. Die bedeutenderen dieser Zeitungen haben deshalb auch eine viel
größere Abonnentenzahl als die verbreitetsten englischen Konkurrenzblätter. So
hat z. B. eins der verbreitetsten englisch-bengalischen Blätter nach amtlicher Höchst¬
schätzung nur 15 000 Abonnenten. Das führende einheimische Blatt in Kalkutta
zählt jedoch doppelt so viel. Die Mitarbeiter der einheimischen Zeitungen und
Zeitschriften beschränken sich fast ausschließlich auf Beiträge in der Muttersprache.
Das Aussehen der Hindublätter ist oft recht komisch, weil es altmodisch an¬
mutet, und weil die Zeitung häufig nichts anderes ist als ein einziger, unförmiger,
großer Bogen bedrucktes Papier. Im allgemeinen sind die Hindublätter literarisch
und stilistisch recht gut. Eines der jetzigen erfolgreichsten Organe des bengalischen
Nationalismus verdankt seinen Ruf und großen Einfluß der Leidenschaftlichkeit
und Beredsamkeit seiner religiös vaterländischen Aufrufe. Ein zweites, nicht
minder einflußreiches Organ hat seinen Zweck wiederum erreicht durch seinen
leichten, unterhaltenden Gesprächston, der zumeist auf den weniger gebildeten
Leser und Hörer zugeschnitten ist. Man erkennt daraus, daß man in der
indischen Presse die allgemeine Beobachtung bestätigt findet, daß neben der
Qualitätspresse sich die farblose und populär gehaltene Generalanzeiger- und
Sensationspresse mehr und mehr entwickelt. In welchem Maße die eine oder
andere Kategorie in Indien an Oberwasser gewinnt, dafür habe ich leider nicht
genügend Anhaltspunkte gewinnen können. Jedoch ist anzunehmen, daß unter
dem Einfluß der jetzigen pressegesetzlichen Bestimmungen die Qualitätspresse zu¬
rückgedrängt werden muß.

Die Entwicklung der indisch-mohammedanischen Presse hat sich noch viel
langsamer vollzogen, als die Entfaltung der Hindupresse. Soweit hierzu
Material erlangbar war, und von einem guten englischen Kenner indischer Presse¬
verhältnisse wird das bestätigt, gibt es in ganz Indien nur ein einziges, aus¬
schließlich mohammedanisches Tageblatt. Es ist dies eine kleine Urdu-Zeitung,
die in Delhi herausgegeben wird. Es heißt in dem erwähnten englischen Be¬
richt, daß die mohammedanischen Unruhen des Jahres 1913 gleichzeitig von
einer bemerkenswerten Ausbreitung der mohammedanischen Presse begleitet seien.
Wenn diese Bewegung fortfahren sollte, zu wachsen, so würde das bedeuten,
daß eine ungeheure Zahl von sechzig Millionen Menschen angefangen hat, sich
mit größerer Energie öffentlich Gehör zu verschaffen, was naturgemäß von der
englischen Regierung mit sehr wachsamen Auge verfolgt wird.


Die Presse Indiens

westlichen Einflüssen und den innerpolitischen Wechselwirkungen in Europa bisher
noch sehr wenig berührt worden ist. Daher kommt es denn auch, daß sie
oft konservativer erscheinen als die englisch - indischen Zeitungen. Dennoch
steht fest, daß sich aus ihnen die Mehrzahl der wagemutigen und agressiven
Organe des neueren Nationalismus zusammensetzte. Die gut eingebürgerten
Hindu-Organe halten sich meist von einer Revolutionspropaganda fern. Sie
finden ihren Weg in die kleinen Städte und Dörfer, und werden dort von
vielen Tausenden gelesen, die sich keine englischen Zeitungen halten können oder
wollen. Die bedeutenderen dieser Zeitungen haben deshalb auch eine viel
größere Abonnentenzahl als die verbreitetsten englischen Konkurrenzblätter. So
hat z. B. eins der verbreitetsten englisch-bengalischen Blätter nach amtlicher Höchst¬
schätzung nur 15 000 Abonnenten. Das führende einheimische Blatt in Kalkutta
zählt jedoch doppelt so viel. Die Mitarbeiter der einheimischen Zeitungen und
Zeitschriften beschränken sich fast ausschließlich auf Beiträge in der Muttersprache.
Das Aussehen der Hindublätter ist oft recht komisch, weil es altmodisch an¬
mutet, und weil die Zeitung häufig nichts anderes ist als ein einziger, unförmiger,
großer Bogen bedrucktes Papier. Im allgemeinen sind die Hindublätter literarisch
und stilistisch recht gut. Eines der jetzigen erfolgreichsten Organe des bengalischen
Nationalismus verdankt seinen Ruf und großen Einfluß der Leidenschaftlichkeit
und Beredsamkeit seiner religiös vaterländischen Aufrufe. Ein zweites, nicht
minder einflußreiches Organ hat seinen Zweck wiederum erreicht durch seinen
leichten, unterhaltenden Gesprächston, der zumeist auf den weniger gebildeten
Leser und Hörer zugeschnitten ist. Man erkennt daraus, daß man in der
indischen Presse die allgemeine Beobachtung bestätigt findet, daß neben der
Qualitätspresse sich die farblose und populär gehaltene Generalanzeiger- und
Sensationspresse mehr und mehr entwickelt. In welchem Maße die eine oder
andere Kategorie in Indien an Oberwasser gewinnt, dafür habe ich leider nicht
genügend Anhaltspunkte gewinnen können. Jedoch ist anzunehmen, daß unter
dem Einfluß der jetzigen pressegesetzlichen Bestimmungen die Qualitätspresse zu¬
rückgedrängt werden muß.

Die Entwicklung der indisch-mohammedanischen Presse hat sich noch viel
langsamer vollzogen, als die Entfaltung der Hindupresse. Soweit hierzu
Material erlangbar war, und von einem guten englischen Kenner indischer Presse¬
verhältnisse wird das bestätigt, gibt es in ganz Indien nur ein einziges, aus¬
schließlich mohammedanisches Tageblatt. Es ist dies eine kleine Urdu-Zeitung,
die in Delhi herausgegeben wird. Es heißt in dem erwähnten englischen Be¬
richt, daß die mohammedanischen Unruhen des Jahres 1913 gleichzeitig von
einer bemerkenswerten Ausbreitung der mohammedanischen Presse begleitet seien.
Wenn diese Bewegung fortfahren sollte, zu wachsen, so würde das bedeuten,
daß eine ungeheure Zahl von sechzig Millionen Menschen angefangen hat, sich
mit größerer Energie öffentlich Gehör zu verschaffen, was naturgemäß von der
englischen Regierung mit sehr wachsamen Auge verfolgt wird.


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[0469] Die Presse Indiens westlichen Einflüssen und den innerpolitischen Wechselwirkungen in Europa bisher noch sehr wenig berührt worden ist. Daher kommt es denn auch, daß sie oft konservativer erscheinen als die englisch - indischen Zeitungen. Dennoch steht fest, daß sich aus ihnen die Mehrzahl der wagemutigen und agressiven Organe des neueren Nationalismus zusammensetzte. Die gut eingebürgerten Hindu-Organe halten sich meist von einer Revolutionspropaganda fern. Sie finden ihren Weg in die kleinen Städte und Dörfer, und werden dort von vielen Tausenden gelesen, die sich keine englischen Zeitungen halten können oder wollen. Die bedeutenderen dieser Zeitungen haben deshalb auch eine viel größere Abonnentenzahl als die verbreitetsten englischen Konkurrenzblätter. So hat z. B. eins der verbreitetsten englisch-bengalischen Blätter nach amtlicher Höchst¬ schätzung nur 15 000 Abonnenten. Das führende einheimische Blatt in Kalkutta zählt jedoch doppelt so viel. Die Mitarbeiter der einheimischen Zeitungen und Zeitschriften beschränken sich fast ausschließlich auf Beiträge in der Muttersprache. Das Aussehen der Hindublätter ist oft recht komisch, weil es altmodisch an¬ mutet, und weil die Zeitung häufig nichts anderes ist als ein einziger, unförmiger, großer Bogen bedrucktes Papier. Im allgemeinen sind die Hindublätter literarisch und stilistisch recht gut. Eines der jetzigen erfolgreichsten Organe des bengalischen Nationalismus verdankt seinen Ruf und großen Einfluß der Leidenschaftlichkeit und Beredsamkeit seiner religiös vaterländischen Aufrufe. Ein zweites, nicht minder einflußreiches Organ hat seinen Zweck wiederum erreicht durch seinen leichten, unterhaltenden Gesprächston, der zumeist auf den weniger gebildeten Leser und Hörer zugeschnitten ist. Man erkennt daraus, daß man in der indischen Presse die allgemeine Beobachtung bestätigt findet, daß neben der Qualitätspresse sich die farblose und populär gehaltene Generalanzeiger- und Sensationspresse mehr und mehr entwickelt. In welchem Maße die eine oder andere Kategorie in Indien an Oberwasser gewinnt, dafür habe ich leider nicht genügend Anhaltspunkte gewinnen können. Jedoch ist anzunehmen, daß unter dem Einfluß der jetzigen pressegesetzlichen Bestimmungen die Qualitätspresse zu¬ rückgedrängt werden muß. Die Entwicklung der indisch-mohammedanischen Presse hat sich noch viel langsamer vollzogen, als die Entfaltung der Hindupresse. Soweit hierzu Material erlangbar war, und von einem guten englischen Kenner indischer Presse¬ verhältnisse wird das bestätigt, gibt es in ganz Indien nur ein einziges, aus¬ schließlich mohammedanisches Tageblatt. Es ist dies eine kleine Urdu-Zeitung, die in Delhi herausgegeben wird. Es heißt in dem erwähnten englischen Be¬ richt, daß die mohammedanischen Unruhen des Jahres 1913 gleichzeitig von einer bemerkenswerten Ausbreitung der mohammedanischen Presse begleitet seien. Wenn diese Bewegung fortfahren sollte, zu wachsen, so würde das bedeuten, daß eine ungeheure Zahl von sechzig Millionen Menschen angefangen hat, sich mit größerer Energie öffentlich Gehör zu verschaffen, was naturgemäß von der englischen Regierung mit sehr wachsamen Auge verfolgt wird.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/469>, abgerufen am 25.07.2024.