Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Maßgebliches und Unmaßgebliches

wägungen strategischer Art, die mit dem Aufmarsch zusammenhängen, fürchtet,
das polnische Gebiet in Abhängigkeit von Preußen zu bringen und so einer
Verbindung der russischen mit den preußischen Polen Vorschub zu leisten.
Auf der kurzen deutsch - dänischen Landgrenze gibt es nicht weniger als drei
Eisenbahnübergänge, die die deutsche Nordmark direkt mit der dänischen
Magistrate Esbjerg--Odensee--Kopenhagen verbinden und natürlich auch den
Handelsweg nach Norden besonders günstig gestalten. Würde es möglich
sein, die Handelswege nach Süden günstiger zu gestalten, was die preußische
Eisenbahnverwaltung ja durch die jüngsten Eisenbahnvorlagen schon ins Auge
gefaßt hat, so brauchten wir uns um die Nordmark weniger zu sorgen, als
heut im Hinblick auf die Möglichkeit eines europäischen Krieges. Der schlimmste
Feind der deutschen Zukunft befindet sich nicht unter unsern wirtschaftlichen und
politischen Gegern, er liegt unbemerkt gerade in dem, worauf wir mit Recht
stolz sein können, in unsrer wirtschaftlichen Entwicklung, die uns innerlich um¬
bildet. Ein Studium der Zusammenhänge zwischen Wirtschaft und Nationali¬
tät tut uns bittrer Not als Ausnahmegesetze gegen die fremden Nationalitäten.


G. Lleinow


Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]
Literatur
Zum 7. Juni 1914.

An Geburtstagen,
die wir in kindlichen Frohsinn feiern, eilt
unser Blick voraus in ein Unbekanntes, das
uns schmeichelnd lockt; in reifen Jahren ist es
ein rückschauendes Wägen und Messen sest-
umrissenen Geschehens, das wir üben, es sei
denn, daß uns der Schritt des Alltags den
festlichen Flitter zertrat und das Datum
unseres Eintritts in das Leben uns nichts
mehr bedeutet als eine praktische Handhabe
zur Verankerung des individuellen Daseins
mit einem Kalendarium der Geschichte. Wer
in den Schriften der Charlotte Niese blättert,
wird schwerlich zu dem Schlüsse kommen, daß
diese Dichterin zu den nüchternen Verstandes¬
menschen gehört, die verlernt haben, einen
Tag zu umkränzen, und so wollen auch wir,
denen sie zu schenken verstand und dadurch

[Spaltenumbruch]

nahe und vertraut wurde, an ihrem sechzigsten
Geburtstage einen Strauß der Erinnerung
Pflücken.

Wenn Charlotte Rieses Auge zurückschweift
in ihrer Kindheit Land, sieht sie sich im elter¬
lichen Pfarrhaus von einer Schar munterer
Buben umringt, sieben Brüdern, denen sie
die einzige Schwester war. Weit draußen in
der Stille eines Landstädtchens, auf der Insel
Fehmarn, hat sie mit ihnen gespielt, aber
auch mit empfänglicher Seele den Glocken
gelauscht, die ihrem Leben klangen und sie
zur liebevollen Versenkung in Dinge und
Menschen riefen. Unter den Stürmen der
Nordsee, die über Fehmarn hinbrausten, ist
mancher Baum zu knorrigen Eigenwuchs ge¬
langt und manches Menschen Seele ist schartig
und kantig geworden, Charlotte Rieses Seele
aber gedieh zu Gleichmaß und Frohsinn. In
einem langen, wechselvolle" Dasein, das sie

[Ende Spaltensatz]
Maßgebliches und Unmaßgebliches

wägungen strategischer Art, die mit dem Aufmarsch zusammenhängen, fürchtet,
das polnische Gebiet in Abhängigkeit von Preußen zu bringen und so einer
Verbindung der russischen mit den preußischen Polen Vorschub zu leisten.
Auf der kurzen deutsch - dänischen Landgrenze gibt es nicht weniger als drei
Eisenbahnübergänge, die die deutsche Nordmark direkt mit der dänischen
Magistrate Esbjerg—Odensee—Kopenhagen verbinden und natürlich auch den
Handelsweg nach Norden besonders günstig gestalten. Würde es möglich
sein, die Handelswege nach Süden günstiger zu gestalten, was die preußische
Eisenbahnverwaltung ja durch die jüngsten Eisenbahnvorlagen schon ins Auge
gefaßt hat, so brauchten wir uns um die Nordmark weniger zu sorgen, als
heut im Hinblick auf die Möglichkeit eines europäischen Krieges. Der schlimmste
Feind der deutschen Zukunft befindet sich nicht unter unsern wirtschaftlichen und
politischen Gegern, er liegt unbemerkt gerade in dem, worauf wir mit Recht
stolz sein können, in unsrer wirtschaftlichen Entwicklung, die uns innerlich um¬
bildet. Ein Studium der Zusammenhänge zwischen Wirtschaft und Nationali¬
tät tut uns bittrer Not als Ausnahmegesetze gegen die fremden Nationalitäten.


G. Lleinow


Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]
Literatur
Zum 7. Juni 1914.

An Geburtstagen,
die wir in kindlichen Frohsinn feiern, eilt
unser Blick voraus in ein Unbekanntes, das
uns schmeichelnd lockt; in reifen Jahren ist es
ein rückschauendes Wägen und Messen sest-
umrissenen Geschehens, das wir üben, es sei
denn, daß uns der Schritt des Alltags den
festlichen Flitter zertrat und das Datum
unseres Eintritts in das Leben uns nichts
mehr bedeutet als eine praktische Handhabe
zur Verankerung des individuellen Daseins
mit einem Kalendarium der Geschichte. Wer
in den Schriften der Charlotte Niese blättert,
wird schwerlich zu dem Schlüsse kommen, daß
diese Dichterin zu den nüchternen Verstandes¬
menschen gehört, die verlernt haben, einen
Tag zu umkränzen, und so wollen auch wir,
denen sie zu schenken verstand und dadurch

[Spaltenumbruch]

nahe und vertraut wurde, an ihrem sechzigsten
Geburtstage einen Strauß der Erinnerung
Pflücken.

Wenn Charlotte Rieses Auge zurückschweift
in ihrer Kindheit Land, sieht sie sich im elter¬
lichen Pfarrhaus von einer Schar munterer
Buben umringt, sieben Brüdern, denen sie
die einzige Schwester war. Weit draußen in
der Stille eines Landstädtchens, auf der Insel
Fehmarn, hat sie mit ihnen gespielt, aber
auch mit empfänglicher Seele den Glocken
gelauscht, die ihrem Leben klangen und sie
zur liebevollen Versenkung in Dinge und
Menschen riefen. Unter den Stürmen der
Nordsee, die über Fehmarn hinbrausten, ist
mancher Baum zu knorrigen Eigenwuchs ge¬
langt und manches Menschen Seele ist schartig
und kantig geworden, Charlotte Rieses Seele
aber gedieh zu Gleichmaß und Frohsinn. In
einem langen, wechselvolle» Dasein, das sie

[Ende Spaltensatz]
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0441" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/328541"/>
            <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1781" prev="#ID_1780"> wägungen strategischer Art, die mit dem Aufmarsch zusammenhängen, fürchtet,<lb/>
das polnische Gebiet in Abhängigkeit von Preußen zu bringen und so einer<lb/>
Verbindung der russischen mit den preußischen Polen Vorschub zu leisten.<lb/>
Auf der kurzen deutsch - dänischen Landgrenze gibt es nicht weniger als drei<lb/>
Eisenbahnübergänge, die die deutsche Nordmark direkt mit der dänischen<lb/>
Magistrate Esbjerg&#x2014;Odensee&#x2014;Kopenhagen verbinden und natürlich auch den<lb/>
Handelsweg nach Norden besonders günstig gestalten. Würde es möglich<lb/>
sein, die Handelswege nach Süden günstiger zu gestalten, was die preußische<lb/>
Eisenbahnverwaltung ja durch die jüngsten Eisenbahnvorlagen schon ins Auge<lb/>
gefaßt hat, so brauchten wir uns um die Nordmark weniger zu sorgen, als<lb/>
heut im Hinblick auf die Möglichkeit eines europäischen Krieges. Der schlimmste<lb/>
Feind der deutschen Zukunft befindet sich nicht unter unsern wirtschaftlichen und<lb/>
politischen Gegern, er liegt unbemerkt gerade in dem, worauf wir mit Recht<lb/>
stolz sein können, in unsrer wirtschaftlichen Entwicklung, die uns innerlich um¬<lb/>
bildet. Ein Studium der Zusammenhänge zwischen Wirtschaft und Nationali¬<lb/>
tät tut uns bittrer Not als Ausnahmegesetze gegen die fremden Nationalitäten.</p><lb/>
            <note type="byline"> G. Lleinow</note><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Maßgebliches und Unmaßgebliches</head><lb/>
          <cb type="start"/>
          <div n="2">
            <head> Literatur</head>
            <div n="3">
              <head> Zum 7. Juni 1914.</head>
              <p xml:id="ID_1782" next="#ID_1783"> An Geburtstagen,<lb/>
die wir in kindlichen Frohsinn feiern, eilt<lb/>
unser Blick voraus in ein Unbekanntes, das<lb/>
uns schmeichelnd lockt; in reifen Jahren ist es<lb/>
ein rückschauendes Wägen und Messen sest-<lb/>
umrissenen Geschehens, das wir üben, es sei<lb/>
denn, daß uns der Schritt des Alltags den<lb/>
festlichen Flitter zertrat und das Datum<lb/>
unseres Eintritts in das Leben uns nichts<lb/>
mehr bedeutet als eine praktische Handhabe<lb/>
zur Verankerung des individuellen Daseins<lb/>
mit einem Kalendarium der Geschichte. Wer<lb/>
in den Schriften der Charlotte Niese blättert,<lb/>
wird schwerlich zu dem Schlüsse kommen, daß<lb/>
diese Dichterin zu den nüchternen Verstandes¬<lb/>
menschen gehört, die verlernt haben, einen<lb/>
Tag zu umkränzen, und so wollen auch wir,<lb/>
denen sie zu schenken verstand und dadurch</p>
              <cb/><lb/>
              <p xml:id="ID_1783" prev="#ID_1782"> nahe und vertraut wurde, an ihrem sechzigsten<lb/>
Geburtstage einen Strauß der Erinnerung<lb/>
Pflücken.</p>
              <p xml:id="ID_1784" next="#ID_1785"> Wenn Charlotte Rieses Auge zurückschweift<lb/>
in ihrer Kindheit Land, sieht sie sich im elter¬<lb/>
lichen Pfarrhaus von einer Schar munterer<lb/>
Buben umringt, sieben Brüdern, denen sie<lb/>
die einzige Schwester war. Weit draußen in<lb/>
der Stille eines Landstädtchens, auf der Insel<lb/>
Fehmarn, hat sie mit ihnen gespielt, aber<lb/>
auch mit empfänglicher Seele den Glocken<lb/>
gelauscht, die ihrem Leben klangen und sie<lb/>
zur liebevollen Versenkung in Dinge und<lb/>
Menschen riefen. Unter den Stürmen der<lb/>
Nordsee, die über Fehmarn hinbrausten, ist<lb/>
mancher Baum zu knorrigen Eigenwuchs ge¬<lb/>
langt und manches Menschen Seele ist schartig<lb/>
und kantig geworden, Charlotte Rieses Seele<lb/>
aber gedieh zu Gleichmaß und Frohsinn. In<lb/>
einem langen, wechselvolle» Dasein, das sie</p>
              <cb type="end"/><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0441] Maßgebliches und Unmaßgebliches wägungen strategischer Art, die mit dem Aufmarsch zusammenhängen, fürchtet, das polnische Gebiet in Abhängigkeit von Preußen zu bringen und so einer Verbindung der russischen mit den preußischen Polen Vorschub zu leisten. Auf der kurzen deutsch - dänischen Landgrenze gibt es nicht weniger als drei Eisenbahnübergänge, die die deutsche Nordmark direkt mit der dänischen Magistrate Esbjerg—Odensee—Kopenhagen verbinden und natürlich auch den Handelsweg nach Norden besonders günstig gestalten. Würde es möglich sein, die Handelswege nach Süden günstiger zu gestalten, was die preußische Eisenbahnverwaltung ja durch die jüngsten Eisenbahnvorlagen schon ins Auge gefaßt hat, so brauchten wir uns um die Nordmark weniger zu sorgen, als heut im Hinblick auf die Möglichkeit eines europäischen Krieges. Der schlimmste Feind der deutschen Zukunft befindet sich nicht unter unsern wirtschaftlichen und politischen Gegern, er liegt unbemerkt gerade in dem, worauf wir mit Recht stolz sein können, in unsrer wirtschaftlichen Entwicklung, die uns innerlich um¬ bildet. Ein Studium der Zusammenhänge zwischen Wirtschaft und Nationali¬ tät tut uns bittrer Not als Ausnahmegesetze gegen die fremden Nationalitäten. G. Lleinow Maßgebliches und Unmaßgebliches Literatur Zum 7. Juni 1914. An Geburtstagen, die wir in kindlichen Frohsinn feiern, eilt unser Blick voraus in ein Unbekanntes, das uns schmeichelnd lockt; in reifen Jahren ist es ein rückschauendes Wägen und Messen sest- umrissenen Geschehens, das wir üben, es sei denn, daß uns der Schritt des Alltags den festlichen Flitter zertrat und das Datum unseres Eintritts in das Leben uns nichts mehr bedeutet als eine praktische Handhabe zur Verankerung des individuellen Daseins mit einem Kalendarium der Geschichte. Wer in den Schriften der Charlotte Niese blättert, wird schwerlich zu dem Schlüsse kommen, daß diese Dichterin zu den nüchternen Verstandes¬ menschen gehört, die verlernt haben, einen Tag zu umkränzen, und so wollen auch wir, denen sie zu schenken verstand und dadurch nahe und vertraut wurde, an ihrem sechzigsten Geburtstage einen Strauß der Erinnerung Pflücken. Wenn Charlotte Rieses Auge zurückschweift in ihrer Kindheit Land, sieht sie sich im elter¬ lichen Pfarrhaus von einer Schar munterer Buben umringt, sieben Brüdern, denen sie die einzige Schwester war. Weit draußen in der Stille eines Landstädtchens, auf der Insel Fehmarn, hat sie mit ihnen gespielt, aber auch mit empfänglicher Seele den Glocken gelauscht, die ihrem Leben klangen und sie zur liebevollen Versenkung in Dinge und Menschen riefen. Unter den Stürmen der Nordsee, die über Fehmarn hinbrausten, ist mancher Baum zu knorrigen Eigenwuchs ge¬ langt und manches Menschen Seele ist schartig und kantig geworden, Charlotte Rieses Seele aber gedieh zu Gleichmaß und Frohsinn. In einem langen, wechselvolle» Dasein, das sie

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/441
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/441>, abgerufen am 13.11.2024.