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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Der bekämpfte Nietzsche
Moritz Goldstein von

it Erstaunen und Kopfschütteln vernahm man vor einiger Zeit,
daß der fröhliche Verfasser der Appelschnut - Geschichten, daß
niemand anderes als Otto Ernst in öffentlichen Vorträgen gegen
Nietzsche zu Felde zog. Und mit dem gleichen Gefühl nimmt
man jetzt das nicht ganz dünne Büchlein zur Hand, zu dem er
seine Vorträge erweitert hat (Otto Ernst, Nietzsche der falsche Prophet. Leipzig,
L. Staackmann), Es liegt sehr nahe, über diesen Kampf eines Unberufenen als
über eine Donquichoterie mit leichtem Spott hinwegzugehen. Indessen Otto
Ernsts Name ist in Deutschland nicht ohne Belang, und sein Besitzer darf
fordern, wichtig genommen zu werden, wo er sich selbst so wichtig nimmt.
Anderseits, wer einen Namen hat, muß sich gefallen lassen, daß man ihm bei
seinen Veröffentlichungen scharf auf die Finger sieht, und ihm wird man nicht
gestatten, was ein obskurer Schreiber ungestraft tun dürfte. Und so wird man,
abgesehen von allem Spott, den dieser aussichtslose Kampf verdient, unserem
Otto Ernst mit Nachdruck sagen müssen, daß seine Streitschrift nicht hätte
geschrieben werden dürfen. Von Nietzsche, der einen so ungeheueren Einfluß
auf das deutsche und das ganze europäische Geistesleben geübt hat und von
dem alle führenden Geister, die nach ihm kamen, ihre entscheidenden Eindrücke
empfangen haben -- von einem solchen Manne mit Ausdrücken zu reden wie
"unser Temperamentsphilosoph", seine Lehre zu bezeichnen als "psychologischen
Unsinn", "Konfusion", "feuilletonistischen Humbug", die Anlage seines Geistes
"von Grund auf pervers" zu nennen: dergleichen ist durchaus ungebührlich und
geschmacklos, man mag im übrigen zum Inhalt seiner Bücher stehen, wie man
will. Und wer von diesem reinsten und edelsten aller Menschen mit Wendungen
sprechen kann wie "ein Herostrat, wenn nicht aus Eitelkeit, so doch aus Leicht¬
sinn und Irrsinn", wer ihn als einen "Scharlatan" bezeichnet, "wenn man aus
dem Begriff . . . das Merkmal der bewußten Täuschung ausscheidet", wer seinem
Leben "Unwahrhaftigkeit im Kleinen" vorwirft und "die Nietzschcsche Philosophie
eine ganze und große Unwahrhaftigkeit" nennt -- der macht sich einfach
lächerlich.

Man sollte die Schrift also vielleicht doch mit Spott abtun, wenn sie nicht
ein Symptom wäre, das Beachtung fordert. Was hier Nietzsche widerfährt, ist




Der bekämpfte Nietzsche
Moritz Goldstein von

it Erstaunen und Kopfschütteln vernahm man vor einiger Zeit,
daß der fröhliche Verfasser der Appelschnut - Geschichten, daß
niemand anderes als Otto Ernst in öffentlichen Vorträgen gegen
Nietzsche zu Felde zog. Und mit dem gleichen Gefühl nimmt
man jetzt das nicht ganz dünne Büchlein zur Hand, zu dem er
seine Vorträge erweitert hat (Otto Ernst, Nietzsche der falsche Prophet. Leipzig,
L. Staackmann), Es liegt sehr nahe, über diesen Kampf eines Unberufenen als
über eine Donquichoterie mit leichtem Spott hinwegzugehen. Indessen Otto
Ernsts Name ist in Deutschland nicht ohne Belang, und sein Besitzer darf
fordern, wichtig genommen zu werden, wo er sich selbst so wichtig nimmt.
Anderseits, wer einen Namen hat, muß sich gefallen lassen, daß man ihm bei
seinen Veröffentlichungen scharf auf die Finger sieht, und ihm wird man nicht
gestatten, was ein obskurer Schreiber ungestraft tun dürfte. Und so wird man,
abgesehen von allem Spott, den dieser aussichtslose Kampf verdient, unserem
Otto Ernst mit Nachdruck sagen müssen, daß seine Streitschrift nicht hätte
geschrieben werden dürfen. Von Nietzsche, der einen so ungeheueren Einfluß
auf das deutsche und das ganze europäische Geistesleben geübt hat und von
dem alle führenden Geister, die nach ihm kamen, ihre entscheidenden Eindrücke
empfangen haben — von einem solchen Manne mit Ausdrücken zu reden wie
„unser Temperamentsphilosoph", seine Lehre zu bezeichnen als „psychologischen
Unsinn", „Konfusion", „feuilletonistischen Humbug", die Anlage seines Geistes
„von Grund auf pervers" zu nennen: dergleichen ist durchaus ungebührlich und
geschmacklos, man mag im übrigen zum Inhalt seiner Bücher stehen, wie man
will. Und wer von diesem reinsten und edelsten aller Menschen mit Wendungen
sprechen kann wie „ein Herostrat, wenn nicht aus Eitelkeit, so doch aus Leicht¬
sinn und Irrsinn", wer ihn als einen „Scharlatan" bezeichnet, „wenn man aus
dem Begriff . . . das Merkmal der bewußten Täuschung ausscheidet", wer seinem
Leben „Unwahrhaftigkeit im Kleinen" vorwirft und „die Nietzschcsche Philosophie
eine ganze und große Unwahrhaftigkeit" nennt — der macht sich einfach
lächerlich.

Man sollte die Schrift also vielleicht doch mit Spott abtun, wenn sie nicht
ein Symptom wäre, das Beachtung fordert. Was hier Nietzsche widerfährt, ist


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[0426] [Abbildung] Der bekämpfte Nietzsche Moritz Goldstein von it Erstaunen und Kopfschütteln vernahm man vor einiger Zeit, daß der fröhliche Verfasser der Appelschnut - Geschichten, daß niemand anderes als Otto Ernst in öffentlichen Vorträgen gegen Nietzsche zu Felde zog. Und mit dem gleichen Gefühl nimmt man jetzt das nicht ganz dünne Büchlein zur Hand, zu dem er seine Vorträge erweitert hat (Otto Ernst, Nietzsche der falsche Prophet. Leipzig, L. Staackmann), Es liegt sehr nahe, über diesen Kampf eines Unberufenen als über eine Donquichoterie mit leichtem Spott hinwegzugehen. Indessen Otto Ernsts Name ist in Deutschland nicht ohne Belang, und sein Besitzer darf fordern, wichtig genommen zu werden, wo er sich selbst so wichtig nimmt. Anderseits, wer einen Namen hat, muß sich gefallen lassen, daß man ihm bei seinen Veröffentlichungen scharf auf die Finger sieht, und ihm wird man nicht gestatten, was ein obskurer Schreiber ungestraft tun dürfte. Und so wird man, abgesehen von allem Spott, den dieser aussichtslose Kampf verdient, unserem Otto Ernst mit Nachdruck sagen müssen, daß seine Streitschrift nicht hätte geschrieben werden dürfen. Von Nietzsche, der einen so ungeheueren Einfluß auf das deutsche und das ganze europäische Geistesleben geübt hat und von dem alle führenden Geister, die nach ihm kamen, ihre entscheidenden Eindrücke empfangen haben — von einem solchen Manne mit Ausdrücken zu reden wie „unser Temperamentsphilosoph", seine Lehre zu bezeichnen als „psychologischen Unsinn", „Konfusion", „feuilletonistischen Humbug", die Anlage seines Geistes „von Grund auf pervers" zu nennen: dergleichen ist durchaus ungebührlich und geschmacklos, man mag im übrigen zum Inhalt seiner Bücher stehen, wie man will. Und wer von diesem reinsten und edelsten aller Menschen mit Wendungen sprechen kann wie „ein Herostrat, wenn nicht aus Eitelkeit, so doch aus Leicht¬ sinn und Irrsinn", wer ihn als einen „Scharlatan" bezeichnet, „wenn man aus dem Begriff . . . das Merkmal der bewußten Täuschung ausscheidet", wer seinem Leben „Unwahrhaftigkeit im Kleinen" vorwirft und „die Nietzschcsche Philosophie eine ganze und große Unwahrhaftigkeit" nennt — der macht sich einfach lächerlich. Man sollte die Schrift also vielleicht doch mit Spott abtun, wenn sie nicht ein Symptom wäre, das Beachtung fordert. Was hier Nietzsche widerfährt, ist

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/426>, abgerufen am 13.11.2024.