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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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"Frcidentsche Jugendkultur''

Moralische Verarmung und Verödung innerhalb unserer deutschen Jugend wird
darum das Ergebnis dieser jüngsten Jugendbewegung sein, wenn es nicht ge¬
lingt, der Krankheitssymptome Herr zu werden und die Entwicklung durch das
Stadium der Kinderkrankheiten und Krisen hindurch in ein gesunderes Bett
zu leiten.


6. Aussichten und die jüngste Entwicklung

Ob das gelingen wird? Wir wollen es an Vertrauen zur Jugend nicht
fehlen lassen. Wir wünschten auch den "grünen" Umschlag des "Anfangs", der
in dem gegenwärtigen Stadium nur als ein Symbol der Unfertigkeit, Wirr-
köpfigkeit und mangelnden Reife verstanden werden kann, in diesem Sinne
deuten zu können. Aber zu dem Zweck wird es nötig sein, daß entweder
Dr. Wyneken von seiner Propaganda der pädagogischen Anarchie abläßt, oder
daß die freideutsche Jugend sich eindeutig von der Wynekenschen Vaterschaft
losmacht*).

Dr. Wyneken, der seit Jahren sür seine Lebensaufgabe "gestritten und
gelitten" hat, ist durch die Sprache der Tatsachen, das "meiningische Unrecht"
("Die neue Jugend" S. 11) nicht belehrt worden, hat vielmehr gegen die Ma߬
nahmen des meiningenschen Staatsministeriums den flammendsten Protest erhoben
und erachtet es in wohlanstehender Bescheidenheit als eine "Ehrenpflicht der
deutschen Nation", jenes Unrecht durch die Beisteuer der Mittel zur Gründung
einer neuen Freien Schulgemeinde wieder gut zu machen. Er wird vermutlich
auch für die Zusprüche deutscher Volks- und Jugenderzieher nicht zugänglich
sein, die jüngst an ihn ergangen sind, obwohl diese Männer zum Teil nicht
minder "fortschrittlich" gerichtet sind und einzelne sich mit ihm zur deutschen
Jugend und der neuen Jugendbewegung bekennen. Prof. Dr. Cauer-Münster
zollte auf der studentisch-pädagogischen Tagung in Breslau dem leidenschaft¬
lichen Ernst und dem sittlichen Pathos, die aus Wynekens Rede über das
Thema "Student und Erziehungsproblem" sprachen, alle Hochachtung, mußte
aber trotzdem bekennen: "Es gibt zwischen seiner Denkweise und der meinigen
keinen gemeinsamen Boden. Dr. Wyneken sprach von einem -positiven Ideals
das er aufstelle; aber gerade nach einem solchen habe im mich in seiner Rede
vergebens ungehört." Prof. Dr. Stern - Breslau betrachtete es in seinem



*) In Übereinstimmung damit steht das Urteil, das soeben auf dem S. Verbandstag
des Vereinsverbandes akademisch gebildeter Lehrer Deutschlands in München (6. bis 8. April
1914" die Referenten der Jungdeutschlandbewegung fällten: "Die zweite Jugendbewegung,
die Dr. Wynekensche, ist gar nicht mehr Jugendbewegung; hinter ihr steckt ein Erwachsener,
ein Mann von unleugbarer Bedeutung und von hohem Interesse, aber gefährlich wie eine
fleischgewordene moderne Verkörperung der sagenhaften Persönlichkeit des Rattenfängers von
tzameln, der mit lockenden Liedern unsere Jugend fängt, mit Liedern der Selbstgefälligkeit;
der die Jugend auf einen Weg führt, den er selbst nicht kennt, der eine Jugendbewegung
hervorgerufen hat, für die nicht er, sondern wir die Verantwortung tragen. Gegen diese
Jugendbewegung haben' wir nur schroffste Ablehnung" (Münchener Neueste Nachrichten
Ur. 180).
„Frcidentsche Jugendkultur''

Moralische Verarmung und Verödung innerhalb unserer deutschen Jugend wird
darum das Ergebnis dieser jüngsten Jugendbewegung sein, wenn es nicht ge¬
lingt, der Krankheitssymptome Herr zu werden und die Entwicklung durch das
Stadium der Kinderkrankheiten und Krisen hindurch in ein gesunderes Bett
zu leiten.


6. Aussichten und die jüngste Entwicklung

Ob das gelingen wird? Wir wollen es an Vertrauen zur Jugend nicht
fehlen lassen. Wir wünschten auch den „grünen" Umschlag des „Anfangs", der
in dem gegenwärtigen Stadium nur als ein Symbol der Unfertigkeit, Wirr-
köpfigkeit und mangelnden Reife verstanden werden kann, in diesem Sinne
deuten zu können. Aber zu dem Zweck wird es nötig sein, daß entweder
Dr. Wyneken von seiner Propaganda der pädagogischen Anarchie abläßt, oder
daß die freideutsche Jugend sich eindeutig von der Wynekenschen Vaterschaft
losmacht*).

Dr. Wyneken, der seit Jahren sür seine Lebensaufgabe „gestritten und
gelitten" hat, ist durch die Sprache der Tatsachen, das „meiningische Unrecht"
(„Die neue Jugend" S. 11) nicht belehrt worden, hat vielmehr gegen die Ma߬
nahmen des meiningenschen Staatsministeriums den flammendsten Protest erhoben
und erachtet es in wohlanstehender Bescheidenheit als eine „Ehrenpflicht der
deutschen Nation", jenes Unrecht durch die Beisteuer der Mittel zur Gründung
einer neuen Freien Schulgemeinde wieder gut zu machen. Er wird vermutlich
auch für die Zusprüche deutscher Volks- und Jugenderzieher nicht zugänglich
sein, die jüngst an ihn ergangen sind, obwohl diese Männer zum Teil nicht
minder „fortschrittlich" gerichtet sind und einzelne sich mit ihm zur deutschen
Jugend und der neuen Jugendbewegung bekennen. Prof. Dr. Cauer-Münster
zollte auf der studentisch-pädagogischen Tagung in Breslau dem leidenschaft¬
lichen Ernst und dem sittlichen Pathos, die aus Wynekens Rede über das
Thema „Student und Erziehungsproblem" sprachen, alle Hochachtung, mußte
aber trotzdem bekennen: „Es gibt zwischen seiner Denkweise und der meinigen
keinen gemeinsamen Boden. Dr. Wyneken sprach von einem -positiven Ideals
das er aufstelle; aber gerade nach einem solchen habe im mich in seiner Rede
vergebens ungehört." Prof. Dr. Stern - Breslau betrachtete es in seinem



*) In Übereinstimmung damit steht das Urteil, das soeben auf dem S. Verbandstag
des Vereinsverbandes akademisch gebildeter Lehrer Deutschlands in München (6. bis 8. April
1914» die Referenten der Jungdeutschlandbewegung fällten: „Die zweite Jugendbewegung,
die Dr. Wynekensche, ist gar nicht mehr Jugendbewegung; hinter ihr steckt ein Erwachsener,
ein Mann von unleugbarer Bedeutung und von hohem Interesse, aber gefährlich wie eine
fleischgewordene moderne Verkörperung der sagenhaften Persönlichkeit des Rattenfängers von
tzameln, der mit lockenden Liedern unsere Jugend fängt, mit Liedern der Selbstgefälligkeit;
der die Jugend auf einen Weg führt, den er selbst nicht kennt, der eine Jugendbewegung
hervorgerufen hat, für die nicht er, sondern wir die Verantwortung tragen. Gegen diese
Jugendbewegung haben' wir nur schroffste Ablehnung" (Münchener Neueste Nachrichten
Ur. 180).
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[0419] „Frcidentsche Jugendkultur'' Moralische Verarmung und Verödung innerhalb unserer deutschen Jugend wird darum das Ergebnis dieser jüngsten Jugendbewegung sein, wenn es nicht ge¬ lingt, der Krankheitssymptome Herr zu werden und die Entwicklung durch das Stadium der Kinderkrankheiten und Krisen hindurch in ein gesunderes Bett zu leiten. 6. Aussichten und die jüngste Entwicklung Ob das gelingen wird? Wir wollen es an Vertrauen zur Jugend nicht fehlen lassen. Wir wünschten auch den „grünen" Umschlag des „Anfangs", der in dem gegenwärtigen Stadium nur als ein Symbol der Unfertigkeit, Wirr- köpfigkeit und mangelnden Reife verstanden werden kann, in diesem Sinne deuten zu können. Aber zu dem Zweck wird es nötig sein, daß entweder Dr. Wyneken von seiner Propaganda der pädagogischen Anarchie abläßt, oder daß die freideutsche Jugend sich eindeutig von der Wynekenschen Vaterschaft losmacht*). Dr. Wyneken, der seit Jahren sür seine Lebensaufgabe „gestritten und gelitten" hat, ist durch die Sprache der Tatsachen, das „meiningische Unrecht" („Die neue Jugend" S. 11) nicht belehrt worden, hat vielmehr gegen die Ma߬ nahmen des meiningenschen Staatsministeriums den flammendsten Protest erhoben und erachtet es in wohlanstehender Bescheidenheit als eine „Ehrenpflicht der deutschen Nation", jenes Unrecht durch die Beisteuer der Mittel zur Gründung einer neuen Freien Schulgemeinde wieder gut zu machen. Er wird vermutlich auch für die Zusprüche deutscher Volks- und Jugenderzieher nicht zugänglich sein, die jüngst an ihn ergangen sind, obwohl diese Männer zum Teil nicht minder „fortschrittlich" gerichtet sind und einzelne sich mit ihm zur deutschen Jugend und der neuen Jugendbewegung bekennen. Prof. Dr. Cauer-Münster zollte auf der studentisch-pädagogischen Tagung in Breslau dem leidenschaft¬ lichen Ernst und dem sittlichen Pathos, die aus Wynekens Rede über das Thema „Student und Erziehungsproblem" sprachen, alle Hochachtung, mußte aber trotzdem bekennen: „Es gibt zwischen seiner Denkweise und der meinigen keinen gemeinsamen Boden. Dr. Wyneken sprach von einem -positiven Ideals das er aufstelle; aber gerade nach einem solchen habe im mich in seiner Rede vergebens ungehört." Prof. Dr. Stern - Breslau betrachtete es in seinem *) In Übereinstimmung damit steht das Urteil, das soeben auf dem S. Verbandstag des Vereinsverbandes akademisch gebildeter Lehrer Deutschlands in München (6. bis 8. April 1914» die Referenten der Jungdeutschlandbewegung fällten: „Die zweite Jugendbewegung, die Dr. Wynekensche, ist gar nicht mehr Jugendbewegung; hinter ihr steckt ein Erwachsener, ein Mann von unleugbarer Bedeutung und von hohem Interesse, aber gefährlich wie eine fleischgewordene moderne Verkörperung der sagenhaften Persönlichkeit des Rattenfängers von tzameln, der mit lockenden Liedern unsere Jugend fängt, mit Liedern der Selbstgefälligkeit; der die Jugend auf einen Weg führt, den er selbst nicht kennt, der eine Jugendbewegung hervorgerufen hat, für die nicht er, sondern wir die Verantwortung tragen. Gegen diese Jugendbewegung haben' wir nur schroffste Ablehnung" (Münchener Neueste Nachrichten Ur. 180).

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/419>, abgerufen am 04.07.2024.