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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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"Freideutschs Jugendkultur"

Das "Vaterhaus" aber wird von Ernst Angel in Wien in folgenden Versen
besungen und gewertet:

Wie gern läßt Haß sich mit Respekt maskieren!
Der Sitte Mantel deckt Verwirrung schonend --
Und ihr -- in tausend Tränen -- drinnen wohnend
Mit euren Vätern, geldgeborenen Tieren.
Die peitschen euch, gewandt auf allen Vieren,
Durch Marterschule und durch Weltenbangen:
Zu Hurer flüchtet euer Glückverlangen,
Indes die Schwestern schon in Ehen frieren.
Hat keiner, also grauenvoll verkettet,
Sich kraftentspannt und bebend losgerungen,
Hat keiner sich den blanken Schild gerettet,
Den Tatenschild? sterbe ihr so schnell, ihr Jungen?
Hat jener erste Vater schlecht gewettet,
Als er die Welt dem Chaos abgezwungen?

Nimmt dich die Sprache wunder? Aber sie ist doch nur ein Ausfluß der
Grundsätze, die der Meister seinen Jüngern einimpft. "An und für sich haben
Familie und Erziehung nichts miteinander zu tun:" die Familie dient nur
der Fortpflanzung des Geschlechts und der Verwaltung des Ginzelbesttzes, sie
hat darum eigentlich an dem jungen Menschen ein Recht nur "bis zu dem
Alter", wo die eigentliche Erziehung einsetzen soll. Von Rechts wegen müßte
er dann an diese (die Erziehung) abgegeben werden (Wuneken, Schule und
Jugendkultur. Gesammelte Aufsätze). Also das Elternhaus hat ausgedient,
wenn nicht die Eltern sich dazu aufraffen, in ihren Kindern nicht sich und ihre
Art, sondern das, was darüber hinausführt, zu lieben: die Jugend; und den
Beweis dafür könnten sie führen durch Unterstützung des "Anfangs", von dem
sie sich angegriffen glauben. An die Stelle des Elternhauses muß die "Freie
Schulgemeinde" treten, sie wird dem jungen Menschen Vater und Mutter, Freund
und Kenner, Lehrer und Erzieher sein.

Aber zeugt das von Logik und Gerechtigkeitsgefühl, die Erziehungsarbeit
des Hauses von tatsächlichen Mängeln einer durchschnittlichen Familienerziehung,
statt von der Idee des Elternhauses aus zu betrachten? Geht doch Dr. Wyneken
bei seiner Grundlegung der Erziehungsaufgabe auch von einer -- freilich nur
von ihm konstruierten -- "Idee" der Jugend aus! Und wollen denn diese
jungen Knaben und Mädchen für die Zukunft, da sie mit der Gründung einer
Familie an der Brunnenstube alles Volkslebens bauen werden, ohne weiteres
auf die Hoffnung, die Freude und den Stolz verzichten, sich in ihren Nach¬
kommen geistig fortzupflanzen und damit an der Erhaltung des Kulturbesitzes
und dem Ausbau der Menschheit zu schaffen?

Es ist doch nur eine Unklarheit, wenn man fordert, daß die Jugend "sich
als ein besonderer Faktor in die allgemeine Kulturarbeit eingliedern" müsse.


„Freideutschs Jugendkultur"

Das „Vaterhaus" aber wird von Ernst Angel in Wien in folgenden Versen
besungen und gewertet:

Wie gern läßt Haß sich mit Respekt maskieren!
Der Sitte Mantel deckt Verwirrung schonend —
Und ihr — in tausend Tränen — drinnen wohnend
Mit euren Vätern, geldgeborenen Tieren.
Die peitschen euch, gewandt auf allen Vieren,
Durch Marterschule und durch Weltenbangen:
Zu Hurer flüchtet euer Glückverlangen,
Indes die Schwestern schon in Ehen frieren.
Hat keiner, also grauenvoll verkettet,
Sich kraftentspannt und bebend losgerungen,
Hat keiner sich den blanken Schild gerettet,
Den Tatenschild? sterbe ihr so schnell, ihr Jungen?
Hat jener erste Vater schlecht gewettet,
Als er die Welt dem Chaos abgezwungen?

Nimmt dich die Sprache wunder? Aber sie ist doch nur ein Ausfluß der
Grundsätze, die der Meister seinen Jüngern einimpft. „An und für sich haben
Familie und Erziehung nichts miteinander zu tun:" die Familie dient nur
der Fortpflanzung des Geschlechts und der Verwaltung des Ginzelbesttzes, sie
hat darum eigentlich an dem jungen Menschen ein Recht nur „bis zu dem
Alter", wo die eigentliche Erziehung einsetzen soll. Von Rechts wegen müßte
er dann an diese (die Erziehung) abgegeben werden (Wuneken, Schule und
Jugendkultur. Gesammelte Aufsätze). Also das Elternhaus hat ausgedient,
wenn nicht die Eltern sich dazu aufraffen, in ihren Kindern nicht sich und ihre
Art, sondern das, was darüber hinausführt, zu lieben: die Jugend; und den
Beweis dafür könnten sie führen durch Unterstützung des „Anfangs", von dem
sie sich angegriffen glauben. An die Stelle des Elternhauses muß die „Freie
Schulgemeinde" treten, sie wird dem jungen Menschen Vater und Mutter, Freund
und Kenner, Lehrer und Erzieher sein.

Aber zeugt das von Logik und Gerechtigkeitsgefühl, die Erziehungsarbeit
des Hauses von tatsächlichen Mängeln einer durchschnittlichen Familienerziehung,
statt von der Idee des Elternhauses aus zu betrachten? Geht doch Dr. Wyneken
bei seiner Grundlegung der Erziehungsaufgabe auch von einer — freilich nur
von ihm konstruierten — „Idee" der Jugend aus! Und wollen denn diese
jungen Knaben und Mädchen für die Zukunft, da sie mit der Gründung einer
Familie an der Brunnenstube alles Volkslebens bauen werden, ohne weiteres
auf die Hoffnung, die Freude und den Stolz verzichten, sich in ihren Nach¬
kommen geistig fortzupflanzen und damit an der Erhaltung des Kulturbesitzes
und dem Ausbau der Menschheit zu schaffen?

Es ist doch nur eine Unklarheit, wenn man fordert, daß die Jugend „sich
als ein besonderer Faktor in die allgemeine Kulturarbeit eingliedern" müsse.


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[0410] „Freideutschs Jugendkultur" Das „Vaterhaus" aber wird von Ernst Angel in Wien in folgenden Versen besungen und gewertet: Wie gern läßt Haß sich mit Respekt maskieren! Der Sitte Mantel deckt Verwirrung schonend — Und ihr — in tausend Tränen — drinnen wohnend Mit euren Vätern, geldgeborenen Tieren. Die peitschen euch, gewandt auf allen Vieren, Durch Marterschule und durch Weltenbangen: Zu Hurer flüchtet euer Glückverlangen, Indes die Schwestern schon in Ehen frieren. Hat keiner, also grauenvoll verkettet, Sich kraftentspannt und bebend losgerungen, Hat keiner sich den blanken Schild gerettet, Den Tatenschild? sterbe ihr so schnell, ihr Jungen? Hat jener erste Vater schlecht gewettet, Als er die Welt dem Chaos abgezwungen? Nimmt dich die Sprache wunder? Aber sie ist doch nur ein Ausfluß der Grundsätze, die der Meister seinen Jüngern einimpft. „An und für sich haben Familie und Erziehung nichts miteinander zu tun:" die Familie dient nur der Fortpflanzung des Geschlechts und der Verwaltung des Ginzelbesttzes, sie hat darum eigentlich an dem jungen Menschen ein Recht nur „bis zu dem Alter", wo die eigentliche Erziehung einsetzen soll. Von Rechts wegen müßte er dann an diese (die Erziehung) abgegeben werden (Wuneken, Schule und Jugendkultur. Gesammelte Aufsätze). Also das Elternhaus hat ausgedient, wenn nicht die Eltern sich dazu aufraffen, in ihren Kindern nicht sich und ihre Art, sondern das, was darüber hinausführt, zu lieben: die Jugend; und den Beweis dafür könnten sie führen durch Unterstützung des „Anfangs", von dem sie sich angegriffen glauben. An die Stelle des Elternhauses muß die „Freie Schulgemeinde" treten, sie wird dem jungen Menschen Vater und Mutter, Freund und Kenner, Lehrer und Erzieher sein. Aber zeugt das von Logik und Gerechtigkeitsgefühl, die Erziehungsarbeit des Hauses von tatsächlichen Mängeln einer durchschnittlichen Familienerziehung, statt von der Idee des Elternhauses aus zu betrachten? Geht doch Dr. Wyneken bei seiner Grundlegung der Erziehungsaufgabe auch von einer — freilich nur von ihm konstruierten — „Idee" der Jugend aus! Und wollen denn diese jungen Knaben und Mädchen für die Zukunft, da sie mit der Gründung einer Familie an der Brunnenstube alles Volkslebens bauen werden, ohne weiteres auf die Hoffnung, die Freude und den Stolz verzichten, sich in ihren Nach¬ kommen geistig fortzupflanzen und damit an der Erhaltung des Kulturbesitzes und dem Ausbau der Menschheit zu schaffen? Es ist doch nur eine Unklarheit, wenn man fordert, daß die Jugend „sich als ein besonderer Faktor in die allgemeine Kulturarbeit eingliedern" müsse.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/410>, abgerufen am 04.07.2024.