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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Das Mahlproblem

eigen zu machen versucht; es bedarf daher wohl kaum einer besonderen Be¬
gründung, wenn dem bedächtigen Mannesalter, das im Leben und in der
Politik reiche Erfahrungen gesammelt hat, vom funfzigsten Lebensjahre ab als
Gegengewicht gegen die schnellhandelnde Jugend eine weitere Zusatzstimme zu¬
gebilligt wird.

Während diese beiden Differenzierungen genügen dürften, um den gleich¬
gerichteten Stoß der unteren Gesamtmasse zu hemmen oder jedenfalls bedeutend
zu schwächen, muß nun noch Sorge getragen werden, der instinktmäßig gegen
die Kultur sich wendenden Strömung der dichteren unteren Volksschichten durch
entsprechende Stimmenvermehrung der kulturfreundlichen dünneren oberen Schichten
einen Damm entgegenzusetzen, damit so ein freies Spiel der gleichgewachsenen
Kräfte des Gesamtvolkes ermöglicht wird. Als Prinzip für diese Stimmen¬
vermehrung der oberen Schichten kommt an erster Stelle der Zensus in betracht,
da bei verständiger Anwendung dieses Prinzips alle anderen Unterscheidungs¬
möglichkeiten wie Amt, Bildung usw. mit einbegriffen werden können. Auch
entspricht die Einteilung in Zensusklassen am meisten der Billigkeit, da durch
die entrichtete direkte Steuer der Anteil des einzelnen an der Unterhaltung des
Staates und damit sicherlich auch ein entsprechender Anspruch auf politische Be¬
wertung am klarsten festzustellen ist.

Bei der Bestimmung dieser Zensusklassen wird nun schwerlich jemals der
Schein der Willkür vermieden werden können; dennoch dürften gewisse Er¬
wägungen dazu beitragen, diesen Vorwurf einzuschränken. Die unterste Zensus¬
klasse, die also jedem Zugehörigen, auch dem Nichtsteuerzahler, nach den obigen
Differenzierungen eine bis drei Stimmen sichert, müßte bis zur unteren Grenze
des Mittelstandes ausgedehnt werden, also etwa bis zum Zensus, der einem
Einkommen von zirka 2000 Mark entspricht. Will man die Dreiteilung der
gesamten steuerzahlenden Bevölkerung, die dem Volksempfinden genehm ist, bei¬
behalten, so würde dann die mittlere Zensusklasse den sogenannten Mittel¬
stand umfassen. Es empfiehlt sich aber, die obere Grenze dieser Mittel¬
klasse, die also bei einem Einkommen von zirka 2000 Mark einzusetzen
hätte, nicht zu hoch zu wählen, da sonst die oberste Klasse, die natürlich
die höchste Anzahl von Stimmen zu beanspruchen hat, infolge der Ver¬
ringerung der Zahl ihrer Zensiten an Gesamtwirkung nur verlieren würde.
Die Billigkeit scheint es außerdem zu fordern, daß in dieser "Kampfordnung
zum Schutze der Kultur" die Hauptträger dieser Kultur, die sogenannten
akademischen Berufsstände, der obersten Zensuskasse angehören, und so würde
die Grenze zwischen der mittleren und obersten Zensusklasse am zweckdienlichsten
etwa bei einem Einkommen von 6000 Mark zu setzen fein. Alle die also,
welche ein Jahreseinkommen von über 6000 Mark beziehen, wären der obersten
Zensusklasse zuzuweisen.

Nachdem so die Zensusklassen festgelegt sind, kann die Bestimmung des
Stimmenverhältnisses nicht schwer fallen: am passendsten erscheint für die drei


Das Mahlproblem

eigen zu machen versucht; es bedarf daher wohl kaum einer besonderen Be¬
gründung, wenn dem bedächtigen Mannesalter, das im Leben und in der
Politik reiche Erfahrungen gesammelt hat, vom funfzigsten Lebensjahre ab als
Gegengewicht gegen die schnellhandelnde Jugend eine weitere Zusatzstimme zu¬
gebilligt wird.

Während diese beiden Differenzierungen genügen dürften, um den gleich¬
gerichteten Stoß der unteren Gesamtmasse zu hemmen oder jedenfalls bedeutend
zu schwächen, muß nun noch Sorge getragen werden, der instinktmäßig gegen
die Kultur sich wendenden Strömung der dichteren unteren Volksschichten durch
entsprechende Stimmenvermehrung der kulturfreundlichen dünneren oberen Schichten
einen Damm entgegenzusetzen, damit so ein freies Spiel der gleichgewachsenen
Kräfte des Gesamtvolkes ermöglicht wird. Als Prinzip für diese Stimmen¬
vermehrung der oberen Schichten kommt an erster Stelle der Zensus in betracht,
da bei verständiger Anwendung dieses Prinzips alle anderen Unterscheidungs¬
möglichkeiten wie Amt, Bildung usw. mit einbegriffen werden können. Auch
entspricht die Einteilung in Zensusklassen am meisten der Billigkeit, da durch
die entrichtete direkte Steuer der Anteil des einzelnen an der Unterhaltung des
Staates und damit sicherlich auch ein entsprechender Anspruch auf politische Be¬
wertung am klarsten festzustellen ist.

Bei der Bestimmung dieser Zensusklassen wird nun schwerlich jemals der
Schein der Willkür vermieden werden können; dennoch dürften gewisse Er¬
wägungen dazu beitragen, diesen Vorwurf einzuschränken. Die unterste Zensus¬
klasse, die also jedem Zugehörigen, auch dem Nichtsteuerzahler, nach den obigen
Differenzierungen eine bis drei Stimmen sichert, müßte bis zur unteren Grenze
des Mittelstandes ausgedehnt werden, also etwa bis zum Zensus, der einem
Einkommen von zirka 2000 Mark entspricht. Will man die Dreiteilung der
gesamten steuerzahlenden Bevölkerung, die dem Volksempfinden genehm ist, bei¬
behalten, so würde dann die mittlere Zensusklasse den sogenannten Mittel¬
stand umfassen. Es empfiehlt sich aber, die obere Grenze dieser Mittel¬
klasse, die also bei einem Einkommen von zirka 2000 Mark einzusetzen
hätte, nicht zu hoch zu wählen, da sonst die oberste Klasse, die natürlich
die höchste Anzahl von Stimmen zu beanspruchen hat, infolge der Ver¬
ringerung der Zahl ihrer Zensiten an Gesamtwirkung nur verlieren würde.
Die Billigkeit scheint es außerdem zu fordern, daß in dieser „Kampfordnung
zum Schutze der Kultur" die Hauptträger dieser Kultur, die sogenannten
akademischen Berufsstände, der obersten Zensuskasse angehören, und so würde
die Grenze zwischen der mittleren und obersten Zensusklasse am zweckdienlichsten
etwa bei einem Einkommen von 6000 Mark zu setzen fein. Alle die also,
welche ein Jahreseinkommen von über 6000 Mark beziehen, wären der obersten
Zensusklasse zuzuweisen.

Nachdem so die Zensusklassen festgelegt sind, kann die Bestimmung des
Stimmenverhältnisses nicht schwer fallen: am passendsten erscheint für die drei


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[0407] Das Mahlproblem eigen zu machen versucht; es bedarf daher wohl kaum einer besonderen Be¬ gründung, wenn dem bedächtigen Mannesalter, das im Leben und in der Politik reiche Erfahrungen gesammelt hat, vom funfzigsten Lebensjahre ab als Gegengewicht gegen die schnellhandelnde Jugend eine weitere Zusatzstimme zu¬ gebilligt wird. Während diese beiden Differenzierungen genügen dürften, um den gleich¬ gerichteten Stoß der unteren Gesamtmasse zu hemmen oder jedenfalls bedeutend zu schwächen, muß nun noch Sorge getragen werden, der instinktmäßig gegen die Kultur sich wendenden Strömung der dichteren unteren Volksschichten durch entsprechende Stimmenvermehrung der kulturfreundlichen dünneren oberen Schichten einen Damm entgegenzusetzen, damit so ein freies Spiel der gleichgewachsenen Kräfte des Gesamtvolkes ermöglicht wird. Als Prinzip für diese Stimmen¬ vermehrung der oberen Schichten kommt an erster Stelle der Zensus in betracht, da bei verständiger Anwendung dieses Prinzips alle anderen Unterscheidungs¬ möglichkeiten wie Amt, Bildung usw. mit einbegriffen werden können. Auch entspricht die Einteilung in Zensusklassen am meisten der Billigkeit, da durch die entrichtete direkte Steuer der Anteil des einzelnen an der Unterhaltung des Staates und damit sicherlich auch ein entsprechender Anspruch auf politische Be¬ wertung am klarsten festzustellen ist. Bei der Bestimmung dieser Zensusklassen wird nun schwerlich jemals der Schein der Willkür vermieden werden können; dennoch dürften gewisse Er¬ wägungen dazu beitragen, diesen Vorwurf einzuschränken. Die unterste Zensus¬ klasse, die also jedem Zugehörigen, auch dem Nichtsteuerzahler, nach den obigen Differenzierungen eine bis drei Stimmen sichert, müßte bis zur unteren Grenze des Mittelstandes ausgedehnt werden, also etwa bis zum Zensus, der einem Einkommen von zirka 2000 Mark entspricht. Will man die Dreiteilung der gesamten steuerzahlenden Bevölkerung, die dem Volksempfinden genehm ist, bei¬ behalten, so würde dann die mittlere Zensusklasse den sogenannten Mittel¬ stand umfassen. Es empfiehlt sich aber, die obere Grenze dieser Mittel¬ klasse, die also bei einem Einkommen von zirka 2000 Mark einzusetzen hätte, nicht zu hoch zu wählen, da sonst die oberste Klasse, die natürlich die höchste Anzahl von Stimmen zu beanspruchen hat, infolge der Ver¬ ringerung der Zahl ihrer Zensiten an Gesamtwirkung nur verlieren würde. Die Billigkeit scheint es außerdem zu fordern, daß in dieser „Kampfordnung zum Schutze der Kultur" die Hauptträger dieser Kultur, die sogenannten akademischen Berufsstände, der obersten Zensuskasse angehören, und so würde die Grenze zwischen der mittleren und obersten Zensusklasse am zweckdienlichsten etwa bei einem Einkommen von 6000 Mark zu setzen fein. Alle die also, welche ein Jahreseinkommen von über 6000 Mark beziehen, wären der obersten Zensusklasse zuzuweisen. Nachdem so die Zensusklassen festgelegt sind, kann die Bestimmung des Stimmenverhältnisses nicht schwer fallen: am passendsten erscheint für die drei

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/407>, abgerufen am 04.07.2024.