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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Das ZVahlproblem

der bald ein demokratisches, bald ein konservatives Gesicht zu zeigen vermag,
dessen Vernunft aber stets nicht nur von den Bedürfnissen des Augenblicks
bestimmt wird, wandte den Konservativen sein freundlich geneigtes Antlitz zu.
Nachdem die Regierung ihren festen Beschluß bekundet hatte, zuweitgehenden
Änderungen auf keinen Fall zuzustimmen, kamen durch das Bündnis der Kon¬
servativen und Klerikalen und gegenseitige Zugeständnisse dieser beiden Parteien
erst in der Kommission und sodann im Plenum die bekannten Abänderungen
des Entwurfs zur Annahme: die alte Abstufung nach den drei Vermögens¬
klassen sowie das indirekte Wahlverfahren wurde beibehalten; die Wahlen der
Abgeordneten sollten wie früher öffentlich, die Wahlen der Wahlmänner jedoch
künftig geheim sein. Sodann wurden die von der Regierung vorgeschlagenen
Milderungen der Härten des Systems zum Teil gebilligt, zum Teil verworfen
oder auch durch andere Bestimmungen ersetzt: gebilligt wurde die "Maximierung",
doch ward sie in Gemeinden mit mehr als 20 000 Einwohnern auf 10 000 Mark
erhöht, abgelehnt wurden die vorgeschlagenen umfangreichen Schiebungen in die
höheren Klassen; an ihre Stelle wurde als einzige Ausnahme die Bestimmung
gesetzt, daß diejenigen, die im Besitze des Reifezeugnisses einer neunklassigen
Lehranstalt seien, nicht der dritten Klasse angehören sollten; neu war ferner die
Erhöhung des fingierten Steuersatzes der Nicht-Steuerzahler von drei auf vier Mark.

Wie bekannt, ist der so geänderte Entwurf dann doch nicht Gesetz geworden.
Die herbe Kritik, die das ganze Reformwerk auf gewissen Seiten des Herren¬
hauses auflöste, die daraus sich entwickelnden Unstimmigkeiten zwischen beiden
Kammern und schließlich die wachsende Erregung im Volke bestimmten die Ne¬
gierung in letzter Stunde, den ganzen Entwurf zurückzuziehen und somit auch
die einzelnen Bestimmungen der Nichtigkeit zu überantworten. Dennoch aber
möchten wir zur Klärung der Gesamtsrage noch ein kurzes Fazit jener durch
Zentrum und Rechte durchgesetzten Abänderungen des Reformwerks zu ziehen
versuchen.

Daß diese Abänderungen bis auf die Bestimmung der geheimen Wahl der
Wahlmänner von ziemlich geringer Bedeutung waren, liegt auf der Hand.
Die Maximierung sowohl wie die Erhöhung des fingierten Steuersatzes ver¬
folgten den Zweck, den Prozentsatz der Wähler der ersten und zweiten Klasse
zu erhöhen, und beanspruchten, da sie für die Allgemeinheit galten, einen ent¬
sprechenden gewissen Wert. Die Schiebung der Besitzer des Reifezeugnisses
hingegen, die für die Allgemeinheit sehr geringen Wert hat, fiel aus dem ganzen
System heraus und würde stets als kümmerlicher Notbehelf empfunden worden
sein, der Bildung in diesem seelenlosen Reiche der bloßen Zahl einen Persönlich¬
keitswert zuzumessen. Immerhin ist aber anzunehmen, daß alle drei Bestimmungen
zusammen die Prozentzahlen der ersten und zweiten Klasse um etliche Einer
gesteigert haben würden.

Von viel größerer Bedeutung hingegen war die Bestimmung der geheimen
Wahl der Wahlmänner, die das Zentrum, der demokratischen Grundmasse seiner


Das ZVahlproblem

der bald ein demokratisches, bald ein konservatives Gesicht zu zeigen vermag,
dessen Vernunft aber stets nicht nur von den Bedürfnissen des Augenblicks
bestimmt wird, wandte den Konservativen sein freundlich geneigtes Antlitz zu.
Nachdem die Regierung ihren festen Beschluß bekundet hatte, zuweitgehenden
Änderungen auf keinen Fall zuzustimmen, kamen durch das Bündnis der Kon¬
servativen und Klerikalen und gegenseitige Zugeständnisse dieser beiden Parteien
erst in der Kommission und sodann im Plenum die bekannten Abänderungen
des Entwurfs zur Annahme: die alte Abstufung nach den drei Vermögens¬
klassen sowie das indirekte Wahlverfahren wurde beibehalten; die Wahlen der
Abgeordneten sollten wie früher öffentlich, die Wahlen der Wahlmänner jedoch
künftig geheim sein. Sodann wurden die von der Regierung vorgeschlagenen
Milderungen der Härten des Systems zum Teil gebilligt, zum Teil verworfen
oder auch durch andere Bestimmungen ersetzt: gebilligt wurde die „Maximierung",
doch ward sie in Gemeinden mit mehr als 20 000 Einwohnern auf 10 000 Mark
erhöht, abgelehnt wurden die vorgeschlagenen umfangreichen Schiebungen in die
höheren Klassen; an ihre Stelle wurde als einzige Ausnahme die Bestimmung
gesetzt, daß diejenigen, die im Besitze des Reifezeugnisses einer neunklassigen
Lehranstalt seien, nicht der dritten Klasse angehören sollten; neu war ferner die
Erhöhung des fingierten Steuersatzes der Nicht-Steuerzahler von drei auf vier Mark.

Wie bekannt, ist der so geänderte Entwurf dann doch nicht Gesetz geworden.
Die herbe Kritik, die das ganze Reformwerk auf gewissen Seiten des Herren¬
hauses auflöste, die daraus sich entwickelnden Unstimmigkeiten zwischen beiden
Kammern und schließlich die wachsende Erregung im Volke bestimmten die Ne¬
gierung in letzter Stunde, den ganzen Entwurf zurückzuziehen und somit auch
die einzelnen Bestimmungen der Nichtigkeit zu überantworten. Dennoch aber
möchten wir zur Klärung der Gesamtsrage noch ein kurzes Fazit jener durch
Zentrum und Rechte durchgesetzten Abänderungen des Reformwerks zu ziehen
versuchen.

Daß diese Abänderungen bis auf die Bestimmung der geheimen Wahl der
Wahlmänner von ziemlich geringer Bedeutung waren, liegt auf der Hand.
Die Maximierung sowohl wie die Erhöhung des fingierten Steuersatzes ver¬
folgten den Zweck, den Prozentsatz der Wähler der ersten und zweiten Klasse
zu erhöhen, und beanspruchten, da sie für die Allgemeinheit galten, einen ent¬
sprechenden gewissen Wert. Die Schiebung der Besitzer des Reifezeugnisses
hingegen, die für die Allgemeinheit sehr geringen Wert hat, fiel aus dem ganzen
System heraus und würde stets als kümmerlicher Notbehelf empfunden worden
sein, der Bildung in diesem seelenlosen Reiche der bloßen Zahl einen Persönlich¬
keitswert zuzumessen. Immerhin ist aber anzunehmen, daß alle drei Bestimmungen
zusammen die Prozentzahlen der ersten und zweiten Klasse um etliche Einer
gesteigert haben würden.

Von viel größerer Bedeutung hingegen war die Bestimmung der geheimen
Wahl der Wahlmänner, die das Zentrum, der demokratischen Grundmasse seiner


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[0402] Das ZVahlproblem der bald ein demokratisches, bald ein konservatives Gesicht zu zeigen vermag, dessen Vernunft aber stets nicht nur von den Bedürfnissen des Augenblicks bestimmt wird, wandte den Konservativen sein freundlich geneigtes Antlitz zu. Nachdem die Regierung ihren festen Beschluß bekundet hatte, zuweitgehenden Änderungen auf keinen Fall zuzustimmen, kamen durch das Bündnis der Kon¬ servativen und Klerikalen und gegenseitige Zugeständnisse dieser beiden Parteien erst in der Kommission und sodann im Plenum die bekannten Abänderungen des Entwurfs zur Annahme: die alte Abstufung nach den drei Vermögens¬ klassen sowie das indirekte Wahlverfahren wurde beibehalten; die Wahlen der Abgeordneten sollten wie früher öffentlich, die Wahlen der Wahlmänner jedoch künftig geheim sein. Sodann wurden die von der Regierung vorgeschlagenen Milderungen der Härten des Systems zum Teil gebilligt, zum Teil verworfen oder auch durch andere Bestimmungen ersetzt: gebilligt wurde die „Maximierung", doch ward sie in Gemeinden mit mehr als 20 000 Einwohnern auf 10 000 Mark erhöht, abgelehnt wurden die vorgeschlagenen umfangreichen Schiebungen in die höheren Klassen; an ihre Stelle wurde als einzige Ausnahme die Bestimmung gesetzt, daß diejenigen, die im Besitze des Reifezeugnisses einer neunklassigen Lehranstalt seien, nicht der dritten Klasse angehören sollten; neu war ferner die Erhöhung des fingierten Steuersatzes der Nicht-Steuerzahler von drei auf vier Mark. Wie bekannt, ist der so geänderte Entwurf dann doch nicht Gesetz geworden. Die herbe Kritik, die das ganze Reformwerk auf gewissen Seiten des Herren¬ hauses auflöste, die daraus sich entwickelnden Unstimmigkeiten zwischen beiden Kammern und schließlich die wachsende Erregung im Volke bestimmten die Ne¬ gierung in letzter Stunde, den ganzen Entwurf zurückzuziehen und somit auch die einzelnen Bestimmungen der Nichtigkeit zu überantworten. Dennoch aber möchten wir zur Klärung der Gesamtsrage noch ein kurzes Fazit jener durch Zentrum und Rechte durchgesetzten Abänderungen des Reformwerks zu ziehen versuchen. Daß diese Abänderungen bis auf die Bestimmung der geheimen Wahl der Wahlmänner von ziemlich geringer Bedeutung waren, liegt auf der Hand. Die Maximierung sowohl wie die Erhöhung des fingierten Steuersatzes ver¬ folgten den Zweck, den Prozentsatz der Wähler der ersten und zweiten Klasse zu erhöhen, und beanspruchten, da sie für die Allgemeinheit galten, einen ent¬ sprechenden gewissen Wert. Die Schiebung der Besitzer des Reifezeugnisses hingegen, die für die Allgemeinheit sehr geringen Wert hat, fiel aus dem ganzen System heraus und würde stets als kümmerlicher Notbehelf empfunden worden sein, der Bildung in diesem seelenlosen Reiche der bloßen Zahl einen Persönlich¬ keitswert zuzumessen. Immerhin ist aber anzunehmen, daß alle drei Bestimmungen zusammen die Prozentzahlen der ersten und zweiten Klasse um etliche Einer gesteigert haben würden. Von viel größerer Bedeutung hingegen war die Bestimmung der geheimen Wahl der Wahlmänner, die das Zentrum, der demokratischen Grundmasse seiner

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/402>, abgerufen am 29.08.2024.