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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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"Lreidentsche Iugendkultur"

organisation richten, muß der Verein seiner Tendenz nach als staatsgefährlich
bezeichnet werden"

Anderseits verkennen wir keineswegs, daß die Geheimakten des A. I.
(Archiv für Jugendkultur) neben jenen anarchistisch verwertbaren Bomben auch
wertvolle Beiträge für die junge Wissenschaft der Jugendkunde in sich bergen
werden und eine bemerkenswerte Ergänzung zu anderen Beiträgen hinsichtlich
der "Psychologie der Jugend" bzw. des Pubertätsalters bieten. Dieser Ge¬
danke hat offenbar auch ernsthafte wissenschaftliche Organe wie das Archiv für
Pädagogik, die Zeitschrift für angewandte Psychologie und die für pädagogische
Psychologie zu der Bereiterklärung veranlaßt, über das "Archiv" zu berichten:
in diesem Sinne, namentlich als Belegquelle für die Entwicklungszustände und
-fester dieses Alters, würdigt auch ein kurzer Artikel des Säemann (Januar 1914)
den "Anfang". Aber der Schade, der durch dieses organisierte, alles Vertrauen
bedrohende Ausfragesystem für die Jugend, die Eltern, die Lehrer und alle
Erzieher und Seelenführer der heranwachsenden Generation angerichtet werden
kann, ist doch dermaßen groß und erschreckend, daß wohl bei aller Bereitwilligkeit
zum Verstehen der Triebkräfte ein Urteil wie das der Rheinisch-Westfälischen
Zeitung vom 21. Mai 1913 begreiflich ist und den Abschluß bilden muß: "Eine
raffinierte Verführung für die Jugend. Man leitet ihren Unmut und ihre ganze
sich sonst im Wirklichen und Tatsächlichen ausgehende Kraft in den bequemen
Weg des geschriebenen Ausdrucks. Das verdirbt natürlich den Charakter. Denn
der Junge merkt bald, wie er auf gedruckte Weise gefahrlos freie Hand hat,
ohne Folgen und Verantwortung zu fürchten."


3. Die Heerschau auf dem Hohen Meißner

Haben wir der Organisation eingehende Beachtung geschenkt, um die fein-
gespounenen, festgefügten Fäden aufzuzeigen, durch die der Vater der Bewegung
meisterhaft die Jugend an den Hoch- und Mittelschulen für seine Ideen zu
gewinnen weiß, so können wir uns hier kürzer fassen, indem wir für den glanz¬
vollen Verlauf der äußeren Feier auf den Bericht der Tageszeitungen verweisen.
Denn in dem "Ersten freideutschen Jugendiage", der am 11. und 12. Oktober v. I.
auf dem Hohen Meißner als "das Fest der Jugend" abgehalten wurde, ist die
neue Jugendbewegung, die bisher ein mehr unterirdisches Dasein führte, zum
erstenmal vor die Öffentlichkeit getreten.

Die Idee zu der Feier ging wieder von dem Wynekenschen Kreise an den
Universitäten aus; die Stimme, die zu dem Feste einlud, wie der Herd, der
das Feuer des Festes aufbewahrt, ist "Der Anfang"; "das Programm des
Freideutschen Jugendtages ist das Programm des .Anfangs'" (Wyneken). Der
zweite Aufruf zum Feste wurde von Dr. Wyneken selber entworfen und mit



*) Auf diesen Vorgang bezieht sich offenbar die auf Sensation berechnete Inschrift des
Streifbandes, das der Verleger der dritten Auflage von W.s Broschüre "Was ist Jugend¬
kultur?" beigefügt hat: "Wynekens Auftreten in Österreich verbotenl"
„Lreidentsche Iugendkultur"

organisation richten, muß der Verein seiner Tendenz nach als staatsgefährlich
bezeichnet werden"

Anderseits verkennen wir keineswegs, daß die Geheimakten des A. I.
(Archiv für Jugendkultur) neben jenen anarchistisch verwertbaren Bomben auch
wertvolle Beiträge für die junge Wissenschaft der Jugendkunde in sich bergen
werden und eine bemerkenswerte Ergänzung zu anderen Beiträgen hinsichtlich
der „Psychologie der Jugend" bzw. des Pubertätsalters bieten. Dieser Ge¬
danke hat offenbar auch ernsthafte wissenschaftliche Organe wie das Archiv für
Pädagogik, die Zeitschrift für angewandte Psychologie und die für pädagogische
Psychologie zu der Bereiterklärung veranlaßt, über das „Archiv" zu berichten:
in diesem Sinne, namentlich als Belegquelle für die Entwicklungszustände und
-fester dieses Alters, würdigt auch ein kurzer Artikel des Säemann (Januar 1914)
den „Anfang". Aber der Schade, der durch dieses organisierte, alles Vertrauen
bedrohende Ausfragesystem für die Jugend, die Eltern, die Lehrer und alle
Erzieher und Seelenführer der heranwachsenden Generation angerichtet werden
kann, ist doch dermaßen groß und erschreckend, daß wohl bei aller Bereitwilligkeit
zum Verstehen der Triebkräfte ein Urteil wie das der Rheinisch-Westfälischen
Zeitung vom 21. Mai 1913 begreiflich ist und den Abschluß bilden muß: „Eine
raffinierte Verführung für die Jugend. Man leitet ihren Unmut und ihre ganze
sich sonst im Wirklichen und Tatsächlichen ausgehende Kraft in den bequemen
Weg des geschriebenen Ausdrucks. Das verdirbt natürlich den Charakter. Denn
der Junge merkt bald, wie er auf gedruckte Weise gefahrlos freie Hand hat,
ohne Folgen und Verantwortung zu fürchten."


3. Die Heerschau auf dem Hohen Meißner

Haben wir der Organisation eingehende Beachtung geschenkt, um die fein-
gespounenen, festgefügten Fäden aufzuzeigen, durch die der Vater der Bewegung
meisterhaft die Jugend an den Hoch- und Mittelschulen für seine Ideen zu
gewinnen weiß, so können wir uns hier kürzer fassen, indem wir für den glanz¬
vollen Verlauf der äußeren Feier auf den Bericht der Tageszeitungen verweisen.
Denn in dem „Ersten freideutschen Jugendiage", der am 11. und 12. Oktober v. I.
auf dem Hohen Meißner als „das Fest der Jugend" abgehalten wurde, ist die
neue Jugendbewegung, die bisher ein mehr unterirdisches Dasein führte, zum
erstenmal vor die Öffentlichkeit getreten.

Die Idee zu der Feier ging wieder von dem Wynekenschen Kreise an den
Universitäten aus; die Stimme, die zu dem Feste einlud, wie der Herd, der
das Feuer des Festes aufbewahrt, ist „Der Anfang"; „das Programm des
Freideutschen Jugendtages ist das Programm des .Anfangs'" (Wyneken). Der
zweite Aufruf zum Feste wurde von Dr. Wyneken selber entworfen und mit



*) Auf diesen Vorgang bezieht sich offenbar die auf Sensation berechnete Inschrift des
Streifbandes, das der Verleger der dritten Auflage von W.s Broschüre „Was ist Jugend¬
kultur?" beigefügt hat: „Wynekens Auftreten in Österreich verbotenl"
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[0360] „Lreidentsche Iugendkultur" organisation richten, muß der Verein seiner Tendenz nach als staatsgefährlich bezeichnet werden" Anderseits verkennen wir keineswegs, daß die Geheimakten des A. I. (Archiv für Jugendkultur) neben jenen anarchistisch verwertbaren Bomben auch wertvolle Beiträge für die junge Wissenschaft der Jugendkunde in sich bergen werden und eine bemerkenswerte Ergänzung zu anderen Beiträgen hinsichtlich der „Psychologie der Jugend" bzw. des Pubertätsalters bieten. Dieser Ge¬ danke hat offenbar auch ernsthafte wissenschaftliche Organe wie das Archiv für Pädagogik, die Zeitschrift für angewandte Psychologie und die für pädagogische Psychologie zu der Bereiterklärung veranlaßt, über das „Archiv" zu berichten: in diesem Sinne, namentlich als Belegquelle für die Entwicklungszustände und -fester dieses Alters, würdigt auch ein kurzer Artikel des Säemann (Januar 1914) den „Anfang". Aber der Schade, der durch dieses organisierte, alles Vertrauen bedrohende Ausfragesystem für die Jugend, die Eltern, die Lehrer und alle Erzieher und Seelenführer der heranwachsenden Generation angerichtet werden kann, ist doch dermaßen groß und erschreckend, daß wohl bei aller Bereitwilligkeit zum Verstehen der Triebkräfte ein Urteil wie das der Rheinisch-Westfälischen Zeitung vom 21. Mai 1913 begreiflich ist und den Abschluß bilden muß: „Eine raffinierte Verführung für die Jugend. Man leitet ihren Unmut und ihre ganze sich sonst im Wirklichen und Tatsächlichen ausgehende Kraft in den bequemen Weg des geschriebenen Ausdrucks. Das verdirbt natürlich den Charakter. Denn der Junge merkt bald, wie er auf gedruckte Weise gefahrlos freie Hand hat, ohne Folgen und Verantwortung zu fürchten." 3. Die Heerschau auf dem Hohen Meißner Haben wir der Organisation eingehende Beachtung geschenkt, um die fein- gespounenen, festgefügten Fäden aufzuzeigen, durch die der Vater der Bewegung meisterhaft die Jugend an den Hoch- und Mittelschulen für seine Ideen zu gewinnen weiß, so können wir uns hier kürzer fassen, indem wir für den glanz¬ vollen Verlauf der äußeren Feier auf den Bericht der Tageszeitungen verweisen. Denn in dem „Ersten freideutschen Jugendiage", der am 11. und 12. Oktober v. I. auf dem Hohen Meißner als „das Fest der Jugend" abgehalten wurde, ist die neue Jugendbewegung, die bisher ein mehr unterirdisches Dasein führte, zum erstenmal vor die Öffentlichkeit getreten. Die Idee zu der Feier ging wieder von dem Wynekenschen Kreise an den Universitäten aus; die Stimme, die zu dem Feste einlud, wie der Herd, der das Feuer des Festes aufbewahrt, ist „Der Anfang"; „das Programm des Freideutschen Jugendtages ist das Programm des .Anfangs'" (Wyneken). Der zweite Aufruf zum Feste wurde von Dr. Wyneken selber entworfen und mit *) Auf diesen Vorgang bezieht sich offenbar die auf Sensation berechnete Inschrift des Streifbandes, das der Verleger der dritten Auflage von W.s Broschüre „Was ist Jugend¬ kultur?" beigefügt hat: „Wynekens Auftreten in Österreich verbotenl"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/360>, abgerufen am 13.11.2024.