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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]
presse und Weltpolitik

Die moderne Presse in China. In der
Geschichte des internationalen Zeitungswesens
wird die Pekinger Zeitung oft als die älteste
Zeitung der Welt bezeichnet. Sie hat bekannt¬
lich vor wenig Jahren in ihrer ursprünglichen
Form aufgehört zu existieren. Übrigens war
sie auch nicht eine Zeitung in dem heutigen
Sinne des Wortes. Vielmehr stellte sie ledig¬
lich einen periodischen Hofbericht dar, d. h. sie
enthielt offizielle Aufzeichnungen von Erlassen,
Ernennungen, Entlassungen, Veränderungen im
öffentlichen Dienst, in den Beamtenstellen usw.
Das Datum zu nennen, wann in China die
erste eigentliche Tageszeitung erschien, ist nicht
ganz leicht. Einige der in China arbeitenden
Missionsgesellschaften haben schon vor 1370
wöchentliche oder monatliche Zeitschriften her¬
ausgegeben. Um die gleiche Zeit wurde auch
die erste eigentliche chinesische Zeitung, die
Shanghai hsin Pao (Schanghaier Nachrichten¬
blatt) begründet. Das Organ ist inzwischen
jedoch durch eine mit englischem Kapital finan¬
zierte Zeitung ersetzt worden, der man den
Namen sser Pao gab> und die durchaus
chinesischen Geist atmete. Ihre ersten Blätter
wurden in den Schanghaier privilegierten
Fremdenkolonien herausgegeben, weil es nur
an diesem Platze Chinas möglich war, eine
freie Sprache zu führen. Schanghai war
der gegebene Mittelpunkt des chinesischen

[Spaltenumbruch]

Zeitungswesens gewesen, hatten doch alle
vor vierzig Jahren vorhandenen, zum Teil
recht Primitiven Verkehrseinrichtungen und
PostVerbindungen dort ihren Hauptsitz. Die
beiden letzten Umstände sowie besondere
Privilegien und außergewöhnliche Erleich¬
terungen haben es bewirkt, daß auch heute
noch Schanghai die "Wall Street" von China
darstellt und nicht, wie man sonst annehmen
möchte, die Hauptstadt Peking. Auch heute
noch gibt es außerhalb Schanghais in ganz
China nicht eine einzige täglich erscheinende
Zeitung, die so hohe Auflageziffern nach¬
weisen kann, wie sie die führenden Blätter
dieser Stadt haben.

Für die allgemeine Beurteilung des chine¬
sischen Presseniveaus ist es nun sehr interessant
und wichtig zu verfolgen, worauf die seit¬
herigen Erfolge in der Presseentwicklung be¬
ruhen, wie sich insbesondere vor und während
der letzten Revolution die chinesische Presse
entwickelt hat, und wie ihr Depeschen- und
Nachrichtendienst jetzt organisiert ist. Zu
diesen drei Gesichtspunkten sollen in den fol¬
genden Zeilen einige neue Beiträge geliefert
werden.

Auf die Rolle, die Schanghai seit vierzig
Jahren als chinesischer Zeitungsmittelpunkt
spielt, wurde bereits kurz hingedeutet. Ins¬
gesamt hat man in der chinesischen Presse scharf
zu unterscheiden zwischen dem Einfluß, den zahl¬
reiche pilzartig aus der Erde schießende und

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]
presse und Weltpolitik

Die moderne Presse in China. In der
Geschichte des internationalen Zeitungswesens
wird die Pekinger Zeitung oft als die älteste
Zeitung der Welt bezeichnet. Sie hat bekannt¬
lich vor wenig Jahren in ihrer ursprünglichen
Form aufgehört zu existieren. Übrigens war
sie auch nicht eine Zeitung in dem heutigen
Sinne des Wortes. Vielmehr stellte sie ledig¬
lich einen periodischen Hofbericht dar, d. h. sie
enthielt offizielle Aufzeichnungen von Erlassen,
Ernennungen, Entlassungen, Veränderungen im
öffentlichen Dienst, in den Beamtenstellen usw.
Das Datum zu nennen, wann in China die
erste eigentliche Tageszeitung erschien, ist nicht
ganz leicht. Einige der in China arbeitenden
Missionsgesellschaften haben schon vor 1370
wöchentliche oder monatliche Zeitschriften her¬
ausgegeben. Um die gleiche Zeit wurde auch
die erste eigentliche chinesische Zeitung, die
Shanghai hsin Pao (Schanghaier Nachrichten¬
blatt) begründet. Das Organ ist inzwischen
jedoch durch eine mit englischem Kapital finan¬
zierte Zeitung ersetzt worden, der man den
Namen sser Pao gab> und die durchaus
chinesischen Geist atmete. Ihre ersten Blätter
wurden in den Schanghaier privilegierten
Fremdenkolonien herausgegeben, weil es nur
an diesem Platze Chinas möglich war, eine
freie Sprache zu führen. Schanghai war
der gegebene Mittelpunkt des chinesischen

[Spaltenumbruch]

Zeitungswesens gewesen, hatten doch alle
vor vierzig Jahren vorhandenen, zum Teil
recht Primitiven Verkehrseinrichtungen und
PostVerbindungen dort ihren Hauptsitz. Die
beiden letzten Umstände sowie besondere
Privilegien und außergewöhnliche Erleich¬
terungen haben es bewirkt, daß auch heute
noch Schanghai die „Wall Street" von China
darstellt und nicht, wie man sonst annehmen
möchte, die Hauptstadt Peking. Auch heute
noch gibt es außerhalb Schanghais in ganz
China nicht eine einzige täglich erscheinende
Zeitung, die so hohe Auflageziffern nach¬
weisen kann, wie sie die führenden Blätter
dieser Stadt haben.

Für die allgemeine Beurteilung des chine¬
sischen Presseniveaus ist es nun sehr interessant
und wichtig zu verfolgen, worauf die seit¬
herigen Erfolge in der Presseentwicklung be¬
ruhen, wie sich insbesondere vor und während
der letzten Revolution die chinesische Presse
entwickelt hat, und wie ihr Depeschen- und
Nachrichtendienst jetzt organisiert ist. Zu
diesen drei Gesichtspunkten sollen in den fol¬
genden Zeilen einige neue Beiträge geliefert
werden.

Auf die Rolle, die Schanghai seit vierzig
Jahren als chinesischer Zeitungsmittelpunkt
spielt, wurde bereits kurz hingedeutet. Ins¬
gesamt hat man in der chinesischen Presse scharf
zu unterscheiden zwischen dem Einfluß, den zahl¬
reiche pilzartig aus der Erde schießende und

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[0338] [Abbildung] Maßgebliches und Unmaßgebliches presse und Weltpolitik Die moderne Presse in China. In der Geschichte des internationalen Zeitungswesens wird die Pekinger Zeitung oft als die älteste Zeitung der Welt bezeichnet. Sie hat bekannt¬ lich vor wenig Jahren in ihrer ursprünglichen Form aufgehört zu existieren. Übrigens war sie auch nicht eine Zeitung in dem heutigen Sinne des Wortes. Vielmehr stellte sie ledig¬ lich einen periodischen Hofbericht dar, d. h. sie enthielt offizielle Aufzeichnungen von Erlassen, Ernennungen, Entlassungen, Veränderungen im öffentlichen Dienst, in den Beamtenstellen usw. Das Datum zu nennen, wann in China die erste eigentliche Tageszeitung erschien, ist nicht ganz leicht. Einige der in China arbeitenden Missionsgesellschaften haben schon vor 1370 wöchentliche oder monatliche Zeitschriften her¬ ausgegeben. Um die gleiche Zeit wurde auch die erste eigentliche chinesische Zeitung, die Shanghai hsin Pao (Schanghaier Nachrichten¬ blatt) begründet. Das Organ ist inzwischen jedoch durch eine mit englischem Kapital finan¬ zierte Zeitung ersetzt worden, der man den Namen sser Pao gab> und die durchaus chinesischen Geist atmete. Ihre ersten Blätter wurden in den Schanghaier privilegierten Fremdenkolonien herausgegeben, weil es nur an diesem Platze Chinas möglich war, eine freie Sprache zu führen. Schanghai war der gegebene Mittelpunkt des chinesischen Zeitungswesens gewesen, hatten doch alle vor vierzig Jahren vorhandenen, zum Teil recht Primitiven Verkehrseinrichtungen und PostVerbindungen dort ihren Hauptsitz. Die beiden letzten Umstände sowie besondere Privilegien und außergewöhnliche Erleich¬ terungen haben es bewirkt, daß auch heute noch Schanghai die „Wall Street" von China darstellt und nicht, wie man sonst annehmen möchte, die Hauptstadt Peking. Auch heute noch gibt es außerhalb Schanghais in ganz China nicht eine einzige täglich erscheinende Zeitung, die so hohe Auflageziffern nach¬ weisen kann, wie sie die führenden Blätter dieser Stadt haben. Für die allgemeine Beurteilung des chine¬ sischen Presseniveaus ist es nun sehr interessant und wichtig zu verfolgen, worauf die seit¬ herigen Erfolge in der Presseentwicklung be¬ ruhen, wie sich insbesondere vor und während der letzten Revolution die chinesische Presse entwickelt hat, und wie ihr Depeschen- und Nachrichtendienst jetzt organisiert ist. Zu diesen drei Gesichtspunkten sollen in den fol¬ genden Zeilen einige neue Beiträge geliefert werden. Auf die Rolle, die Schanghai seit vierzig Jahren als chinesischer Zeitungsmittelpunkt spielt, wurde bereits kurz hingedeutet. Ins¬ gesamt hat man in der chinesischen Presse scharf zu unterscheiden zwischen dem Einfluß, den zahl¬ reiche pilzartig aus der Erde schießende und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/338>, abgerufen am 13.11.2024.