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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Russische Lindrücke eines Kroaten

der Sonnenblume, und von eurer Persönlichkeit bleibt keine Spur. -- Der
Buddhismus, dessen Grundgedanken hier zum Ausdruck kommen, meldete sich
in Rußland schon in den ersten Zeiten des Christentums als dessen gefährlicher
Rivale. Tolstoi war nicht der erste, den er bezaubert hat. Der Glaube an die
Verschmelzung des Menschen mit Gott, so daß vom Menschen nichts übrig bleibt,
ist eine Idee der Duhoborzen und anderer Sektierer, deren es immer zu Tau¬
senden gegeben hat, und gegenwärtig zu Millionen in Rußland gibt. Vergebens
kämpfen der Heilige spröd und die ganze rechtgläubige Kirche gegen sie, ver¬
gebens werden sie in diesem Kampf von den individualistischen von Nietzsche,
dem Dichter der Symbolisten und Prediger des Individualismus, beeinflußten
Theologen, von den theokratischen Philosophen von Solovjeff*) bis zu Mereschkowski
unterstützt.

In einem kürzlich erschienenen Roman von A. Zolotarew wird der Gegensatz
zwischen Rußland und dem Westen in religiöser Beziehung auf neue Weise
beleuchtet. Dort heißt es: "Ist es nicht, als hätten sich unsere russischen Kirchen
mit ihren runden Wölbungen und Kuppeln vom Himmel herabgelassen, und
sehen die Kirchen in Paris nicht aus, als wären sie aus der Erde gewachsen!
In den unsrigen läßt Gott sich liebreich auf die Erde herab, in diesen aber --
steigt der Mensch selber zum Himmel empor... er steigt empor und allerlei
Ge-ier und Teuselsgezücht zieht ihn zurück und will ihn nicht loslassen ..." So
denken die Russen über ihre Religiosität und über den Positivisnins des Westens, es
ist ihre alte Idee, die hier nur wieder ein neues Bild gefunden hat. Wenn die
gelben, von der Abendsonne vergoldeten Kuppeln des Kremls aufflammen, sehen sie
riesigen Sonnenblumen gleich. Dunkel, gebückt steht unter diesen Flammen¬
kelchen die Schar der Gläubigen, der Podsolnuschki. Auch hier grübeln sie über
Gott, bedenken, daß sie nichts sind, daß die Hülse abfallen, in die schwarze Erde
versinken und alles mit den ewigen "Urstoffen" verschmelzen wird. Aber jeder
grübelt für sich allein, schlägt das Kreuz für sich allein, kommt und geht für
sich allein. Auch der Geistliche dort vor dem Lesepult vor dem Altar und der
"Henker Pforte" betet allein, begibt sich allein in das "himmlische Reich"
hinter der "Heiligen Pforte" und bringt von dort den Segen. Die byzan¬
tinische Seligkeit war einzig auf das Heil der Einzelseele gerichtet, sie erlaubte
leine Wiedergeburt der Gesellschaft, keine Welterlösung. (Vergleiche Solovjeff,
"Der heilige Wladimir und die christliche Gesellschaft".) Das ist das Bekenntnis
der national-russischen Isolierung von nichtrussischen Völkern und das Bekenntnis
der Isolierung jedes einzelnen Menschen. So deiill auch Tolstoi: gemeinsam
ist nur das irdische Tun, das Göttliche hat jeder für sich. Dieser rechtgläubigen
Vereinzelung steht der Universalismus der katholischen Küche gegenüber, die alle
Völker umfassen will, indem sie gerade umgekehrt sagt: gemeinsam ist unsere



") Wir weisen gleich hier schon auf die eben zu erscheinen beginnende deutsche Über¬
setzung "Ausgewählter Werke" Solobjesfs hin (Jenn, E, Diederichi), Die Schristleitung,
Grenzboten II 1914 2r
Russische Lindrücke eines Kroaten

der Sonnenblume, und von eurer Persönlichkeit bleibt keine Spur. — Der
Buddhismus, dessen Grundgedanken hier zum Ausdruck kommen, meldete sich
in Rußland schon in den ersten Zeiten des Christentums als dessen gefährlicher
Rivale. Tolstoi war nicht der erste, den er bezaubert hat. Der Glaube an die
Verschmelzung des Menschen mit Gott, so daß vom Menschen nichts übrig bleibt,
ist eine Idee der Duhoborzen und anderer Sektierer, deren es immer zu Tau¬
senden gegeben hat, und gegenwärtig zu Millionen in Rußland gibt. Vergebens
kämpfen der Heilige spröd und die ganze rechtgläubige Kirche gegen sie, ver¬
gebens werden sie in diesem Kampf von den individualistischen von Nietzsche,
dem Dichter der Symbolisten und Prediger des Individualismus, beeinflußten
Theologen, von den theokratischen Philosophen von Solovjeff*) bis zu Mereschkowski
unterstützt.

In einem kürzlich erschienenen Roman von A. Zolotarew wird der Gegensatz
zwischen Rußland und dem Westen in religiöser Beziehung auf neue Weise
beleuchtet. Dort heißt es: „Ist es nicht, als hätten sich unsere russischen Kirchen
mit ihren runden Wölbungen und Kuppeln vom Himmel herabgelassen, und
sehen die Kirchen in Paris nicht aus, als wären sie aus der Erde gewachsen!
In den unsrigen läßt Gott sich liebreich auf die Erde herab, in diesen aber —
steigt der Mensch selber zum Himmel empor... er steigt empor und allerlei
Ge-ier und Teuselsgezücht zieht ihn zurück und will ihn nicht loslassen ..." So
denken die Russen über ihre Religiosität und über den Positivisnins des Westens, es
ist ihre alte Idee, die hier nur wieder ein neues Bild gefunden hat. Wenn die
gelben, von der Abendsonne vergoldeten Kuppeln des Kremls aufflammen, sehen sie
riesigen Sonnenblumen gleich. Dunkel, gebückt steht unter diesen Flammen¬
kelchen die Schar der Gläubigen, der Podsolnuschki. Auch hier grübeln sie über
Gott, bedenken, daß sie nichts sind, daß die Hülse abfallen, in die schwarze Erde
versinken und alles mit den ewigen „Urstoffen" verschmelzen wird. Aber jeder
grübelt für sich allein, schlägt das Kreuz für sich allein, kommt und geht für
sich allein. Auch der Geistliche dort vor dem Lesepult vor dem Altar und der
„Henker Pforte" betet allein, begibt sich allein in das „himmlische Reich"
hinter der „Heiligen Pforte" und bringt von dort den Segen. Die byzan¬
tinische Seligkeit war einzig auf das Heil der Einzelseele gerichtet, sie erlaubte
leine Wiedergeburt der Gesellschaft, keine Welterlösung. (Vergleiche Solovjeff,
„Der heilige Wladimir und die christliche Gesellschaft".) Das ist das Bekenntnis
der national-russischen Isolierung von nichtrussischen Völkern und das Bekenntnis
der Isolierung jedes einzelnen Menschen. So deiill auch Tolstoi: gemeinsam
ist nur das irdische Tun, das Göttliche hat jeder für sich. Dieser rechtgläubigen
Vereinzelung steht der Universalismus der katholischen Küche gegenüber, die alle
Völker umfassen will, indem sie gerade umgekehrt sagt: gemeinsam ist unsere



") Wir weisen gleich hier schon auf die eben zu erscheinen beginnende deutsche Über¬
setzung „Ausgewählter Werke" Solobjesfs hin (Jenn, E, Diederichi), Die Schristleitung,
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[0333] Russische Lindrücke eines Kroaten der Sonnenblume, und von eurer Persönlichkeit bleibt keine Spur. — Der Buddhismus, dessen Grundgedanken hier zum Ausdruck kommen, meldete sich in Rußland schon in den ersten Zeiten des Christentums als dessen gefährlicher Rivale. Tolstoi war nicht der erste, den er bezaubert hat. Der Glaube an die Verschmelzung des Menschen mit Gott, so daß vom Menschen nichts übrig bleibt, ist eine Idee der Duhoborzen und anderer Sektierer, deren es immer zu Tau¬ senden gegeben hat, und gegenwärtig zu Millionen in Rußland gibt. Vergebens kämpfen der Heilige spröd und die ganze rechtgläubige Kirche gegen sie, ver¬ gebens werden sie in diesem Kampf von den individualistischen von Nietzsche, dem Dichter der Symbolisten und Prediger des Individualismus, beeinflußten Theologen, von den theokratischen Philosophen von Solovjeff*) bis zu Mereschkowski unterstützt. In einem kürzlich erschienenen Roman von A. Zolotarew wird der Gegensatz zwischen Rußland und dem Westen in religiöser Beziehung auf neue Weise beleuchtet. Dort heißt es: „Ist es nicht, als hätten sich unsere russischen Kirchen mit ihren runden Wölbungen und Kuppeln vom Himmel herabgelassen, und sehen die Kirchen in Paris nicht aus, als wären sie aus der Erde gewachsen! In den unsrigen läßt Gott sich liebreich auf die Erde herab, in diesen aber — steigt der Mensch selber zum Himmel empor... er steigt empor und allerlei Ge-ier und Teuselsgezücht zieht ihn zurück und will ihn nicht loslassen ..." So denken die Russen über ihre Religiosität und über den Positivisnins des Westens, es ist ihre alte Idee, die hier nur wieder ein neues Bild gefunden hat. Wenn die gelben, von der Abendsonne vergoldeten Kuppeln des Kremls aufflammen, sehen sie riesigen Sonnenblumen gleich. Dunkel, gebückt steht unter diesen Flammen¬ kelchen die Schar der Gläubigen, der Podsolnuschki. Auch hier grübeln sie über Gott, bedenken, daß sie nichts sind, daß die Hülse abfallen, in die schwarze Erde versinken und alles mit den ewigen „Urstoffen" verschmelzen wird. Aber jeder grübelt für sich allein, schlägt das Kreuz für sich allein, kommt und geht für sich allein. Auch der Geistliche dort vor dem Lesepult vor dem Altar und der „Henker Pforte" betet allein, begibt sich allein in das „himmlische Reich" hinter der „Heiligen Pforte" und bringt von dort den Segen. Die byzan¬ tinische Seligkeit war einzig auf das Heil der Einzelseele gerichtet, sie erlaubte leine Wiedergeburt der Gesellschaft, keine Welterlösung. (Vergleiche Solovjeff, „Der heilige Wladimir und die christliche Gesellschaft".) Das ist das Bekenntnis der national-russischen Isolierung von nichtrussischen Völkern und das Bekenntnis der Isolierung jedes einzelnen Menschen. So deiill auch Tolstoi: gemeinsam ist nur das irdische Tun, das Göttliche hat jeder für sich. Dieser rechtgläubigen Vereinzelung steht der Universalismus der katholischen Küche gegenüber, die alle Völker umfassen will, indem sie gerade umgekehrt sagt: gemeinsam ist unsere ") Wir weisen gleich hier schon auf die eben zu erscheinen beginnende deutsche Über¬ setzung „Ausgewählter Werke" Solobjesfs hin (Jenn, E, Diederichi), Die Schristleitung, Grenzboten II 1914 2r

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/333>, abgerufen am 25.07.2024.