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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Vererbung beim Menschen

lagen unserer verheerendsten Krankheiten, wie Tuberkulose und Krebs, harren
noch ihrer Lösung.

Anderseits fällt der -- theoretische und praktische -- Ertrag des bereits
geleisteten Werkes schwer ins Gewicht. Die Anthropologie hat im Lichte der
modernen Erbforschung ein ganz anderes Gesicht gewonnen: sie ist die Lehre
der Erbanalyse menschlicher Sippen geworden. Der Begriff der "Verwandt¬
schaft", auf die stammesgeschichtlichen Verhältnisse angewandt, hat sich in über¬
raschender Weise geklärt: ist meßbar geworden durch die Zahl gleicher Erbein¬
heiten und die Gleichartigkeit ihrer Verkettungsart.

Praktische Nutzanwendungen lassen sich schlüssig und wissenschaftlich begründen.
Zwar sind wir selten oder nie in der Lage, im Einzelfall die Beschaffenheit
eines Kindes im voraus zu bestimmen. Das Durchschnittsergebnis der Gesamt¬
geschwisterschaft ist aber wohl einer allgemeinen Prophezeiung -- im günstigen
oder ungünstigen Sinne -- zugänglich. Wir können einer Fremdehe zweier mit
verschiedenen Anlagen belasteter Erbträger weit ruhiger zusehen, als der drohen¬
den Häufung der gleichen krankhaften Erbstücke bei Verwandtschaftsehen.

Auch Ergebnisse allgemeinster praktischer und theoretischer Wertigkeit liefert
die Erblehre, als das wahre zentrale Problem der Biologie.

Wie der Organismus schonungslos entartete Zellen opfert, wie der Chirurg
ein krankhaftes Organ schonungslos entfernt, beide, um das Ganze zu retten:
so sollten auch die höheren organischen Einheiten, der Sippschaftsverband, der
Staatsverband sich nicht in übergroßer Ängstlichkeit vor dem Eingriff in die
persönliche Freiheit scheuen, die Träger krankhaften Erbgutes daran zu verhindern,
schädigende Keime durch die Generationen hindurch weiterzuschleppen. Der Weg
der Analyse steht offen, jetzt sollte auch der Weg der Synthese oder wenigstens
des Schutzes vor Zersetzung eingeschlagen werden. Die Grundsätze solchen
Handelns hat ein neuer Zweig der Hygiene, die Rassenhygiene, auszuarbeiten
begonnen, getreu dem alten Grundsatze der Gesundheitslehre, daß Vorbeugen
besser ist denn Heilen.

Für den Menschen gilt ebenso klar wie für jeden anderen Organismus,
daß er nicht das bedeutet, was er ist, sondern das, was er zu vererben im¬
stande ist. Woraus praktisch die wichtige Forderung fließt, daß das Erbgut
als kostbarster Besitz des Menschen vor Vernichtung und Erkrankung, vor allem
durch Verhinderung seiner Vermengung mit ungünstigen und disharmonischen
Gener bei der Fortpflanzung zu schützen ist. Erbgut ist nicht Eigentum, sondern
Fideikommiß: von den Altvordern ererbt, und geschaffen, um zu treuen Händen
verwaltet zu werden, zum Wohl der Nachfahren.

I.
Erblichkeit normaler Eigenschaften:


Haut- und Hautorgane:
Hautfarbe (dunkel v gegen hell, sonst?)
Gelber Hautton der Hottentotten (ki)
Haarfarbe (dunkel I) gegen hell)
Vererbung beim Menschen

lagen unserer verheerendsten Krankheiten, wie Tuberkulose und Krebs, harren
noch ihrer Lösung.

Anderseits fällt der — theoretische und praktische — Ertrag des bereits
geleisteten Werkes schwer ins Gewicht. Die Anthropologie hat im Lichte der
modernen Erbforschung ein ganz anderes Gesicht gewonnen: sie ist die Lehre
der Erbanalyse menschlicher Sippen geworden. Der Begriff der „Verwandt¬
schaft", auf die stammesgeschichtlichen Verhältnisse angewandt, hat sich in über¬
raschender Weise geklärt: ist meßbar geworden durch die Zahl gleicher Erbein¬
heiten und die Gleichartigkeit ihrer Verkettungsart.

Praktische Nutzanwendungen lassen sich schlüssig und wissenschaftlich begründen.
Zwar sind wir selten oder nie in der Lage, im Einzelfall die Beschaffenheit
eines Kindes im voraus zu bestimmen. Das Durchschnittsergebnis der Gesamt¬
geschwisterschaft ist aber wohl einer allgemeinen Prophezeiung — im günstigen
oder ungünstigen Sinne — zugänglich. Wir können einer Fremdehe zweier mit
verschiedenen Anlagen belasteter Erbträger weit ruhiger zusehen, als der drohen¬
den Häufung der gleichen krankhaften Erbstücke bei Verwandtschaftsehen.

Auch Ergebnisse allgemeinster praktischer und theoretischer Wertigkeit liefert
die Erblehre, als das wahre zentrale Problem der Biologie.

Wie der Organismus schonungslos entartete Zellen opfert, wie der Chirurg
ein krankhaftes Organ schonungslos entfernt, beide, um das Ganze zu retten:
so sollten auch die höheren organischen Einheiten, der Sippschaftsverband, der
Staatsverband sich nicht in übergroßer Ängstlichkeit vor dem Eingriff in die
persönliche Freiheit scheuen, die Träger krankhaften Erbgutes daran zu verhindern,
schädigende Keime durch die Generationen hindurch weiterzuschleppen. Der Weg
der Analyse steht offen, jetzt sollte auch der Weg der Synthese oder wenigstens
des Schutzes vor Zersetzung eingeschlagen werden. Die Grundsätze solchen
Handelns hat ein neuer Zweig der Hygiene, die Rassenhygiene, auszuarbeiten
begonnen, getreu dem alten Grundsatze der Gesundheitslehre, daß Vorbeugen
besser ist denn Heilen.

Für den Menschen gilt ebenso klar wie für jeden anderen Organismus,
daß er nicht das bedeutet, was er ist, sondern das, was er zu vererben im¬
stande ist. Woraus praktisch die wichtige Forderung fließt, daß das Erbgut
als kostbarster Besitz des Menschen vor Vernichtung und Erkrankung, vor allem
durch Verhinderung seiner Vermengung mit ungünstigen und disharmonischen
Gener bei der Fortpflanzung zu schützen ist. Erbgut ist nicht Eigentum, sondern
Fideikommiß: von den Altvordern ererbt, und geschaffen, um zu treuen Händen
verwaltet zu werden, zum Wohl der Nachfahren.

I.
Erblichkeit normaler Eigenschaften:


Haut- und Hautorgane:
Hautfarbe (dunkel v gegen hell, sonst?)
Gelber Hautton der Hottentotten (ki)
Haarfarbe (dunkel I) gegen hell)
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[0320] Vererbung beim Menschen lagen unserer verheerendsten Krankheiten, wie Tuberkulose und Krebs, harren noch ihrer Lösung. Anderseits fällt der — theoretische und praktische — Ertrag des bereits geleisteten Werkes schwer ins Gewicht. Die Anthropologie hat im Lichte der modernen Erbforschung ein ganz anderes Gesicht gewonnen: sie ist die Lehre der Erbanalyse menschlicher Sippen geworden. Der Begriff der „Verwandt¬ schaft", auf die stammesgeschichtlichen Verhältnisse angewandt, hat sich in über¬ raschender Weise geklärt: ist meßbar geworden durch die Zahl gleicher Erbein¬ heiten und die Gleichartigkeit ihrer Verkettungsart. Praktische Nutzanwendungen lassen sich schlüssig und wissenschaftlich begründen. Zwar sind wir selten oder nie in der Lage, im Einzelfall die Beschaffenheit eines Kindes im voraus zu bestimmen. Das Durchschnittsergebnis der Gesamt¬ geschwisterschaft ist aber wohl einer allgemeinen Prophezeiung — im günstigen oder ungünstigen Sinne — zugänglich. Wir können einer Fremdehe zweier mit verschiedenen Anlagen belasteter Erbträger weit ruhiger zusehen, als der drohen¬ den Häufung der gleichen krankhaften Erbstücke bei Verwandtschaftsehen. Auch Ergebnisse allgemeinster praktischer und theoretischer Wertigkeit liefert die Erblehre, als das wahre zentrale Problem der Biologie. Wie der Organismus schonungslos entartete Zellen opfert, wie der Chirurg ein krankhaftes Organ schonungslos entfernt, beide, um das Ganze zu retten: so sollten auch die höheren organischen Einheiten, der Sippschaftsverband, der Staatsverband sich nicht in übergroßer Ängstlichkeit vor dem Eingriff in die persönliche Freiheit scheuen, die Träger krankhaften Erbgutes daran zu verhindern, schädigende Keime durch die Generationen hindurch weiterzuschleppen. Der Weg der Analyse steht offen, jetzt sollte auch der Weg der Synthese oder wenigstens des Schutzes vor Zersetzung eingeschlagen werden. Die Grundsätze solchen Handelns hat ein neuer Zweig der Hygiene, die Rassenhygiene, auszuarbeiten begonnen, getreu dem alten Grundsatze der Gesundheitslehre, daß Vorbeugen besser ist denn Heilen. Für den Menschen gilt ebenso klar wie für jeden anderen Organismus, daß er nicht das bedeutet, was er ist, sondern das, was er zu vererben im¬ stande ist. Woraus praktisch die wichtige Forderung fließt, daß das Erbgut als kostbarster Besitz des Menschen vor Vernichtung und Erkrankung, vor allem durch Verhinderung seiner Vermengung mit ungünstigen und disharmonischen Gener bei der Fortpflanzung zu schützen ist. Erbgut ist nicht Eigentum, sondern Fideikommiß: von den Altvordern ererbt, und geschaffen, um zu treuen Händen verwaltet zu werden, zum Wohl der Nachfahren. I. Erblichkeit normaler Eigenschaften: Haut- und Hautorgane: Hautfarbe (dunkel v gegen hell, sonst?) Gelber Hautton der Hottentotten (ki) Haarfarbe (dunkel I) gegen hell)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/320>, abgerufen am 13.11.2024.